Dienstag, 27. Oktober 2015

Expedition zum Putha Hiunchuli - Teil 3: Einrichten der Hochlager

Text: Eva Irmler
Fotos: Günter Schmidt

Erster Aufstieg zum Lager I


Unsere erste Annäherung an den Berg begann anderntags eher gemütlich. Bis alle fertig gepackt hatten war es schon 10 Uhr. Mit den schweren Rucksäcken (meiner knapp 14kg, Günters über 18 laut Markus‘ Gepäckwaage) fiel das Gehen natürlich gleich nochmal schwerer als durch die dünne Höhenluft sowieso schon und so kamen wir eher langsam voran.


Die ganze Truppe war diesmal noch gemeinsam gestartet, nur Markus folgte erst in einigem Abstand. Jamba und Lila waren schon am Tag zuvor beim Lager I gewesen, um die Lage zu sondieren (kein Wasser!) und Zelte und anderes Material hoch zu schaffen, und kamen deshalb diesmal nicht mit. So passierte es, dass wir bereits nach den ersten paar hundert Metern eine falsche Abzweigung nahmen und uns schon ziemlich weit in ein verkehrtes Seitental verstiegen hatten, bevor es uns auffiel. Markus, der mittlerweile hinterher gekommen war, lotste uns über einen Moränenhang ins richtige Tal, was uns wohl insgesamt mindestens eine 3/4h zusätzlich und entsprechend mehr Kraft gekostet hat.

Dabei war der Weg auch so schon nicht ohne, mit viel grobem Schotter und Blockwerk, auf dem gegen Ende auch noch Schnee lag. Scheinbar endlos ging’s durch viele kleine Senken mit den entsprechenden Gegenanstiegen und natürlich waren immerhin 500 Hm zu überwinden, was im Vergleich zu mancher Trekkingetappe oder Wanderung in den Alpen zwar nicht nach viel klingt, aber auf inzwischen deutlich über 5000m und bei noch nicht sonderlich weit gediehener Akklimatisation reichte es allemal für ein anstrengendes Tagespensum.


Irgendwann, als ich schon nicht mehr daran zu glauben wagte, erreichten wir dann doch den Platz für unser Lager I auf 5400m, unmittelbar am Fuß des eigentlichen Gletschers. Der Moränenschotter, auf dem das Lager errichtet werden sollte, war dick eingeschneit, die Plattformen, die unsere Vorgänger hergerichtet hatten, aber gut zu erkennen. Weil die Sonne sich auch schon wieder gewaltig dem (Berg-)Horizont zuneigte – wir waren erst zwischen 4 und 5 angekommen – und außerdem durch die seit Tagen erste Wolke zeitweise verdeckt wurde, bauten wir schleunigst die Zelte auf.

Lager I am Morgen

Kaum waren wir fertig, hatte sich die Sonne auch schon endgültig verabschiedet und wie immer wurde es schlagartig eiskalt. Sowohl bei Günter als auch bei mir hatten sich im Lauf des Tages leichte Kopfschmerzen eingestellt, was jeden Handgriff zusätzlich mühsam machte. Und zu tun gab es noch viel: Zelt einräumen, die Leinen mit möglichst vielen Steinen beschweren, was sich in der Nacht gleich als ziemlich nützlich erwies, weil es zeitweise gewaltig stürmte, Schnee holen, Schnee schmelzen, Essen kochen, die Trinkflaschen mit heißem Wasser füllen… Da war es gut, dass wir zwei Kocher zur Verfügung hatten, denn so konnten wir immer in einem Topf den Schnee schmelzen, dann umfüllen und im zweiten das Wasser zum Kochen bringen, während im ersten gleich neuer Schnee vor sich hin taute, was viel Zeit sparte.


Nach dem Essen waren wir trotzdem so durchgefroren, dass wir uns das Zähneputzen schenkten und uns gleich für  eine sehr lange, kalte Nacht in die Schlafsäcke verkrochen. Weil an Schlaf aber zunächst noch nicht zu denken war, vertrieben wir uns die Zeit mit Musik- oder Hörbuch-Hören. Mich trieb noch mehrmals ein dringendes Bedürfnis nach draußen, was in dem verschneiten Blockgelände jedes Mal ein rechtes Geschlitter und Gestolper war. Erst gegen Mitternacht gewann die Müdigkeit die Oberhand über Kopfweh, verstopfte Nase und alle andere Unbill und ich konnte endlich einschlafen.

Morgens kam die Sonne erst um halb 10 ins Lager und vorher war es schlicht zu kalt, um an einen Aufbruch zu denken. Beim Frühstück hatte sich mein Kopfweh zwar verflüchtigt, allerdings war es mit meinem Appetit trotzdem nicht allzu weit her. So brachte ich gerade mal einen Früchteriegel und etwas Grießbrei mit Schokolade runter, was sich leider bei den folgenden Hochlagerübernachtungen jedes Mal so ähnlich wiederholte.

Kaum war die Sonne da, ging plötzlich alles ganz schnell. Anscheinend hatten unsere Mitstreiter schon in den Startlöchern gesessen, so dass wir mit die letzten waren, die ihre sieben Sachen beisammen hatten – außer dem Zelt und Kochequipment mussten wir sowieso das meiste wieder mit ins Basislager nehmen – und uns auf den beschwerlichen Rückmarsch machen konnten. Rechtzeitig zum Mittagessen kamen wir dort an und konnten gleich einen Teil der durch die Strapazen der letzten beiden Tage verbrauchten Kalorien wieder auffüllen.

Gletschertische an der Abstiegsroute von Lager I

Das Essen, das unser Koch Rup Lama und seine Crew für uns zubereiteten, war während der ganzen Expedition sehr reichhaltig und im Anbetracht der Umstände auch recht wohlschmeckend. Natürlich wurde es mit der Zeit doch eher eintönig, da mit zunehmendem Abstand zur Zivilisation keine frischen Zutaten mehr zur Verfügung standen. Hatte es anfangs noch verschiedene Gemüsesorten gegeben, lief es gegen Ende ein ums andere Mal auf Blumenkohl hinaus. Fleisch gab es schon bald nur noch in Form von Frühstücksfleisch aus der Büchse. Am besten waren immer noch jede Form von Gebäck und das Omelette, für das ein Träger den ganzen weiten Weg Unmengen an Eiern geschleppt hatte. Und auch der dem Emmentaler ähnliche Käse, der über die ganzen 3  ½ Wochen nicht ausging, schmeckte fast zu jeder Tageszeit.

Träger mit Küchenutensilien und "zerbrechlichen Gütern" auf dem Weg ins Basislager

Für den Rest des Tages war dann nur noch Erholung angesagt, aber die war auch bitter nötig.

Blauschafe in den Felsen nahe beim Basislager

Am folgenden Ruhetag stand neben Verrichtungen wie Wäsche waschen schon wieder Packen für den nächsten Aufstieg auf dem Programm. Diesmal würden wir in Lager I und Lager II je eine Nacht bleiben, dementsprechend brauchten wir mehr Verpflegung und auch zum ersten Mal die komplette Bergausrüstung, da es oberhalb von Lager I auf den Gletscher gehen würde. Günter und ich beschlossen außerdem, auch unsere Thermarest-Matten mit hoch zu schleppen. Die leichteren Falt-Isomatten hatten sich im Lager I als nicht ausreichend erwiesen.

Das Basislager und "unser" Berg (rechts oben)

Zweiter Aufstieg zum Lager II


In der Nacht vor unserem zweiten Aufstieg vom Basislager ging es Günter so richtig mies, an irgendetwas hatte er sich den Magen verdorben. Entsprechend gedämpft war unsere Stimmung an diesem Morgen. Nach dem Frühstück, das für Günter praktisch ausfiel, und nachdem wir die Schlafsäcke und alles, was wir sonst in der Nacht noch gebraucht hatten, in unseren Rucksäcken verstaut hatten, machten wir uns wieder auf den Marsch zum Lager I.

Der Gletscherbach im unteren Teil des Aufstiegs.

Diesmal hatte ich den schwereren Packen zu schultern, weil bei Günter das Zelt wegfiel, das ja schon im ersten Hochlager stand - bei seiner momentanen Verfassung ein Glück! Trotzdem war ich diejenige von uns beiden, die schon am allerersten Steilhang schier verzweifeln wollte, und auch der weitere Aufstieg fiel mir fast noch schwerer als beim ersten Mal. So kamen wir erst nach 15 Uhr im Lager I an, wo wir uns gleich in unserem Zelt verkrochen.

Teepause auf dem Weg zu Lager I, die gesamte Route bis zum Gipfel im Blick

Zwei von unseren Mitstreitern hatten in Absprache mit Markus das Lager I an diesem Tag übersprungen und waren mit Jamba und Lila gleich zum Platz für Lager II aufgestiegen, wir waren dagegen froh, erst mal angekommen zu sein. Günter raffte sich dann noch dazu auf, Schnee für eine Suppe und unsere Trinkflaschen zu schmelzen, wenn er auch selbst immer noch keinen Appetit hatte; zu seiner Übelkeit hatte sich mittlerweile noch Kopfweh gesellt. Irgendwann rang er sich dazu durch 2 Ibuprofen-Tabletten zu schlucken, was glücklicherweise die erhoffte Besserung brachte, so dass er in der Nacht gut schlafen konnte und morgens wieder deutlich fitter war. Auch der Appetit war wieder da, während meiner – siehe oben.

Frisch gestärkt lud Günter sich bei der Gepäckverteilung gleich noch ein ganzes Zelt mit auf, was natürlich gerne angenommen wurde. Dann ging es - genau zur Halbzeit der Expedition - zum ersten Mal auf den Gletscher, mit Schalenbergstiefeln, die wir, wie fast alle anderen, für diesen Aufstieg schon ab dem Basecamp angezogen hatten, und Steigeisen, aber ohne uns anzuseilen. Im unteren Bereich des Gletschers gab es nicht besonders viele Spalten und die waren bei bestem Wetter und wenig Schneeauflage gut zu erkennen.


Das erste Stück Weg hatte es dann gleich in sich, über einen Steilhang, der stellenweise ziemlich vereist war, stiegen wir hinauf. Als wir schließlich etwas flacheres Gelände erreichten legten wir eine Ess- und Trinkpause ein, danach folgte bald eine zweite Steilstufe hinter der so langsam unser Tagesziel sichtbar wurde.


Ein paar Zelte standen ja schon in Lager II, das nahe an einer Felsrippe am rechten Rand des Gletschers und dicht unterhalb eines weiteren, noch steileren Aufschwungs lag. Hier kamen uns auch schon Jamba und Lila im Abstieg entgegen, die zuvor noch oberhalb von Lager II an einem Steilstück herumgeturnt waren und ein Fixseil angebracht hatten.


Heute war es für Günter und mich recht gut gelaufen und so kamen wir mit den ersten im Lager an. Mit Markus‘ Hilfe richteten wir eine Plattform für unser Zelt her – Eisbuckel mussten weggepickelt und Löcher im Schnee aufgefüllt werden bis eine halbwegs ebene Fläche von in etwa der richtigen Größe entstanden war. Kaum war das erledigt und das Zelt aufgebaut, verschwand schon wieder die Sonne hinterm Berg, obwohl es erst 15 Uhr war, und sofort fiel das Thermometer um gefühlt 20°C.

Im Lager II - schnell das Zelt aufbauen, gleich ist die Sonne weg!

Günter mühte sich noch ziemlich lang, das Zelt sturmfest abzuspannen, unter anderem setzte er unsere beiden Eisschrauben dafür ein, während ich die Inneneinrichtung des Zeltes übernahm und froh war, als er endlich auch reinkam und wir mit dem Kochen anfangen konnten (vorher geht nicht, weil im Eingangsbereich des Zeltes gekocht wird).

Unser Lager II lag auf etwas über 5800m und damit viel niedriger, als ursprünglich gedacht bzw. als bei vielen anderen Expeditionen. Lager III würde voraussichtlich auf etwa 6200m sein, wo sonst oft schon das zweite Hochlager errichtet wird. So waren die Etappen zwischen unseren Hochlagern eher übersichtlich und die Schlafhöhen eher niedrig, dafür wären am Gipfeltag satte 1000 Hm zu bewältigen.

Da es uns an diesem Abend zunächst beiden verhältnismäßig gut ging, verputzten wir große Teile des mitgebrachten Proviants. Günter hatte sowieso viel Nachholbedarf von seinem „Fasttag“ und auch mir schmeckte es noch. In der Nacht, die bei mir wie immer von diversen Gängen vors Zelt unterbrochen war - in den losen Außenschalen der Bergstiefel (die Stiefel jedes Mal komplett anzuziehen war einfach zu langwierig) und auf dem Gletscher gleich noch eine kritischere Angelegenheit als im Lager I - kehrten Günters Kopfschmerzen zurück, die er diesmal aber gleich mit Ibuprofen bekämpfte.

Morgens schien schon ab 7 Uhr die Sonne auf unser Zelt, taute alles auf, was in der extrem kalten Nacht – jemand hatte -16°C im Zelt (!) gemessen – gefroren war, und trocknete es anschließend sogar weitgehend. Obwohl ich mich ansonsten ganz gut fühlte, haperte es auch heute wieder mit dem morgendlichen Appetit, so dass ich mich letztlich lediglich mit einem Früchteriegel und etwas heißer Schokolade im Magen auf den langen Rückweg ins Basislager machte.



Der erste Teil des Abstiegs über den Gletscher bis Lager I war schnell geschafft, dafür brachte mich der Rest des Weges wieder an den Rand der Verzweiflung: dieses elend lange Tal und das Stolpern über die Felsblöcke nervte von Mal zu Mal mehr und es half auch kein bisschen, dass mein Rucksack jetzt deutlich leerer war als beim Aufstieg, da jede Menge Ausrüstung in den beiden Lagern geblieben war.

Auf dem Gletscher etwas oberhalb von Lager I - bis zum Basislager ist es noch weit...


Schließlich hatte aber auch diese Strapaze wieder ein Ende und wir konnten uns im Basislager erholen und neue Energie tanken. Der Nachmittag verging dann noch sehr gemütlich bei Kaffee, Tee und Kuchen: Markus zauberte dafür einen Schokokuchen und zwei Packungen „Kalter Hund“ aus einer speziellen Vorratstonne.

Vollmondnacht im Basislager