Mittwoch, 25. Juli 2018

Chile 2018 - Teil V: Wind, Sand und Sterne

Text: Eva Irmler
Fotos: Günter Schmidt


Letzte Tage in Chile


Am Tag nach unserem Gipfelversuch am Ojos del Salado ließen wir es morgens gemütlich angehen und blieben liegen bis die Sonne den nächtlichen Raureif an der Innenseite des Dachs aufgetaut und weitgehend getrocknet hatte. Überhaupt war es in der Nacht erstaunlich kalt geworden in der Hütte, sogar unser Wasser war wieder partiell eingefroren.

Nach dem aus Kuchenrest und Müsliriegeln bestehenden Frühstück packten wir ohne Eile unsere Sachen. Die ab jetzt nicht mehr benötigte Bergausrüstung wurde schon mal weggepackt und dafür anderes wieder hervorgeholt.

Währenddessen zogen am Himmel immer mehr Wolken auf und oben um den Gipfel des Ojos jagten sie tatsächlich mit beachtlicher Geschwindigkeit. Hier im Lager dagegen wehte zwar durchaus auch ein kräftiger Wind, aber beileibe kein Sturm.

"Unsere" kleine Schutzhütte am Fuß des Ojos.

Trotzdem war ich froh, dass wir nun bald wieder in tiefere und wärmere Gefilde kommen würden, allein schon damit ich nie wieder statt einer Toilette an diesen absolut dem Wind ausgesetzten, buchstäblich beschissenen Abhang hinter Hütten und Zeltplatz gehen musste … Man kann sich schon fragen, ob es bei einem fest installierten und stark frequentierten Lagerplatz wie dem Refugio Atacama nicht möglich und nötig wäre, eine andere Lösung (z.B. Plumpsklo) zu finden. Natürlich müsste sich dann aber auch regelmäßig jemand darum kümmern und daran wird es wohl haken.

Um die Mittagszeit machten wir uns schließlich auf den Weg zurück zur Straße und Richtung Copiapó. Die sowieso schon eindrucksvolle Landschaft erhielt durch die Wolken an diesem Tag noch einmal einen ganz neuen Charakter und wir stoppten folglich unzählige Male zum Fotografieren oder einfach nur Schauen.

Zum Abschied zeigt sich der Ojos del Salado noch einmal.

Ufos.

Der Weg zur Lagune führte zunächst bis 15 km vor dem Kontrollposten auf der altbekannten und nach der Baustelle bestens ausgebauten Straße zurück. Dabei legten wir auch noch einmal einen ausführlichen Halt beim Rio Lama (manchmal auch R. Lamas) ein, diesmal wollten wir die auf multiplen Schildern angekündigte „Cascada“ mit eigenen Augen sehen. Für einen Bach, der mitten durch die Wüste fließt, war dieser kleine Wasserfall dann auch durchaus beachtlich. Mehr beeindruckte mich aber, wie viel Leben gleich sprießt, kaum dass irgendwo ein bisschen Wasser vorhanden ist.

Die Kaskade des Rio Lama.

Da wir für die Rückfahrt die Alternativstrecke über die Laguna Santa Rosa (C-601) wählten, kamen wir nicht mehr am Grenzposten vorbei, konnten uns also auch nicht bei den Grenzern zurückmelden. Unser Eindruck war aber sowieso gewesen, dass die Registrierung bei unserer Ankunft einige Tage zuvor nur sehr pro forma stattgefunden hatte, und wir machten uns daher keine Sorgen, dass wegen dieses Versäumnisses nach uns gesucht werden würde. (Im Umkehrschluss hätten wir uns auch nicht auf Hilfe von dieser Seite verlassen, wenn wir am Ojos irgendwelche Probleme bekommen hätten.)

Auf einer ziemlich ausgefahrenen Schotter- und Sandpiste ging es Richtung Lagune, was uns doch etwas wunderte, da dies eine durchgängige und üppig beschilderte Nebenstrecke nach Copiapó war. War hier das Geld für die Straßenerhaltung überwiegend in Schilder geflossen, während die Piste als solche lediglich alle Jubeljahre mal grob eingeebnet wurde? - Es schien fast so.

Erst gegen 16 Uhr erreichten wir schließlich unser Tagesziel und steuerten einen Aussichtspunkt über der Laguna Santa Rosa an, der dann aber wieder mal viel zu sehr dem Wind ausgesetzt war und daher als Vesperplatz völlig ungeeignet. Also rollten wir gleich auf die andere Seite der Lagune, wo es eine Hütte der Naturschutzbehörde (Corporación Nacional Forestal = CONAF) und eine private Lodge mit Campingmöglichkeit geben sollte.

Laguna Santa Rosa
.
Die CONAF-Hütte war bei unserem Eintreffen unbesetzt. Günter stieg sogar aus und ging einmal um das Häuschen herum, aber offenbar war niemand da. So entfiel die ansonsten fällige Eintrittsgebühr für das Naturschutzgebiet fürs Erste.

Bei der ziemlich heruntergekommen wirkenden Lodge ein paar hundert Meter weiter schien es dann zunächst genauso zu sein. Erst als wir einen Blick in den mit „Cocina“ (Küche) überschriebenen Raum warfen, regte sich dort in einem Hinterzimmer jemand. Es erschien ein zwar noch relativ junger, aber doch schon reichlich kauziger Typ, der hier wohl für Lodge und Campingplatz zuständig war. Leider sprach er mal wieder quasi nur Spanisch und so fiel die Kommunikation schwierig und rudimentär aus. Und wir kapierten auch erst, als er schon dabei war, die Rechnung zu schreiben, dass er nicht 15000 Pesos insgesamt, sondern pro Person berechnete – ein ziemlich happiger Preis für einen Zeltplatz mit nicht fließendem, sondern aus Regentonnen zu schöpfendem kaltem Wasser und der Möglichkeit, abends im „Aufenthaltsraum“ der Lodge (= Schlafraum für Nicht-Camper) zu sitzen.

Da es zunächst noch recht sonnig und zudem vor der Lodge endlich einmal windgeschützt war, verzehrten wir dort an einem großen runden Tisch unser arg verspätetes Mittagsvesper. Danach spazierten wir an die Lagune, wo die Flamingos, Enten und Gänse allerdings ziemlich scheu waren und sich praktisch nur in dem Bereich aufhielten, der für Besucher gesperrt war, da hier eine sensible Vogelart brütete – allerdings nicht zu dieser Jahreszeit. Außerhalb der Brutsaison mussten wir uns meiner Ansicht nach nicht daran halten, aber geholfen hat uns das dann auch nicht viel, da die Vögel, sowie wir uns näherten, die Flucht ergriffen.

Flamingos auf der Flucht.

Die Guanakoherde, eine der Besonderheiten des Gebiets um die Laguna Santa Rosa, da diese Wildkamelart sonst eher im südlichen Chile anzutreffen ist, war zwar etwas weniger scheu, blieb aber ebenfalls auf Distanz.

Auch die Guanakos dürfen wir nur von fern bewundern.

So schlenderten wir bald zurück, suchten einen der mit Mauern und Matten vor dem Wind geschützten Zeltplätze aus und bauten unser Zelt auf.

Zu unserer Überraschung waren wir abends nicht mehr die einzigen Gäste: Ein Suzuki Jimny mit Dachzelt gesellte sich zu unserem Pickup, dem eine Deutsche und ein Italiener, beide geschätzt um die 30 entstiegen. Die Reisegefährten waren bereits seit 3 Monaten in Chile unterwegs, doch nun würden sich ihre Wege bald trennen, da sie für die verbleibende Zeit in Südamerika unterschiedliche Ziele hatten.

Abends beim Essen - bei uns gab es noch einmal Eintopf aus Nudeln, Tomatensoße und grünem Dosenspargel, Claudio, der Neapolitaner, bereitete dagegen ein ziemlich lecker wirkendes Risotto mit ebenfalls grünem Spargel, aber eben frischem, zu - ergab sich ein sehr nettes Gespräch. So erfuhren wir noch etwas mehr über unsere Zufallsbekannten, die lustigerweise von Beruf Ökologin und Astrophysiker waren … Am folgenden Tag wollten die beiden eigentlich zur Laguna Verde fahren, waren aber unsicher, ob der kleine Benzintank des Jimny plus 10 l-Kanister für die komplette Strecke ausreichen würden. Und als sie dann noch hörten, dass die Straßenbauarbeiten den Zugang zu Lagune und heißen Quellen praktisch unmöglich machten, kamen ihnen erst recht Bedenken.

Relativ früh verzogen wir uns in unser Zelt, aber an Schlaf war zunächst nicht zu denken, da direkt hinter den Zeltplätzen der Stromgenerator ratterte. So vertrieben wir uns die Zeit mit lesen oder einem Hörbuch, in der Hoffnung, dass bald auch der Verwalter der Lodge zu Bett gehen und dem Lärm ein Ende bereiten würde. Nach etwa einer Stunde geschah dies zum Glück auch und fortan herrschte paradiesische Ruhe.

Die Nacht war für die Höhe – wir befanden uns immerhin noch auf ca. 3500 m – erstaunlich mild, da zum ersten Mal überhaupt hier in Chile der Himmel komplett bedeckt war.

Als wir anderntags aus dem Zelt krochen, stellten wir fest, dass wir in einer ganz anderen Welt aufgewacht waren: Die Wolken hingen so tief, dass die höheren Berggipfel alle nicht sichtbar waren, und die Lagune lag absolut unbewegt da, weshalb sich die umliegenden Hügel eins zu eins darin spiegelten. Insgesamt wirkte die Landschaft auf uns so schon fast isländisch!


Über Nacht von Chile nach Island versetzt ;)

Nach dem Frühstück, bei dem auch schon bald die anderen beiden auftauchten, packten wir zügig zusammen und verabschiedeten uns. Dabei erzählten wir, dass wir vorhatten, am übernächsten Tag in den Nationalpark „Pan de Azúcar“ zu fahren, und erfuhren, dass die beiden dies ebenfalls planten. Also ein Wiedersehen? Man würde sehen…

Wir zuckelten dann im Lauf des Tages nach Copiapó, wobei es zunächst noch einmal über einen ganz ordentlichen Pass ging (ca. 4100 m hoch), später durch ein nahezu endloses, teils sehr tief eingeschnittenes Tal, in dem zwar nur ein dünnes Rinnsal floss, das aber offenbar ausreichte, üppiges Grün, ja mitunter sogar Bäume sprießen zu lassen.

Richtung Küste lichten sich die Wolken.

Bunte Hügel und große Gräser (Fuchsschwanz- oder Pampasgras)

Gegen Ende, als wir fast schon wieder das Tal erreicht hatten, in dem die Hauptroute Richtung Paso San Francisco (31-CH) verlief, machten wir in der beeindruckenden Schwemmebene des Bächleins auf ein paar Felsen Mittagsrast.

Leben sprießt aus der kleinsten Ritze -
 wenn sich darunter noch ein Schluck Wasser verbirgt.

Copiapó bzw. das Hotel Wara erreichten wir gegen 15.30 Uhr, nachdem wir gleich am Stadtrand bei erster Gelegenheit den Tank aufgefüllt hatten. Erstaunlicherweise hatten wir die Grenzen unseres Dieselvorrats längst noch nicht ausgereizt, obwohl die Warnleuchte auf den letzten 30 km geleuchtet hatte: mindestens 20 l waren noch im Tank und den Reservekanister hatten wir nicht angerührt.

Im Hotel fand offenbar eine Konferenz statt, jedenfalls war der Parkplatz mit lauter roten Toyota-Pickups zugestellt und es war diesmal deutlich mehr Betrieb. Da konnte man nur hoffen, dass es abends nicht allzu laut werden würde.

Zunächst bezogen wir aber unsere diesmal sogar noch einen Tick größeren Hütten und natürlich stellte wir uns nach einer Woche "Entzug" gleich mal ausgiebig unter die Dusche.

Es folgten ein sehr gemütlicher Nachmittag, ein üppiges Abendessen mit extrem bemühtem Jungkellner und eine erstaunlich ruhige Nacht. Offenbar war ich so müde (und der Rotwein zum Abendessen wird auch das seine dazu beigetragen haben), dass mich selbst die deutlich vernehmbare Geräuschkulisse der Konferenz nicht vom Einschlafen abhielt.

Morgens schliefen wir richtig lange aus, denn das Frühstück hatten wir erst auf 9.30 Uhr bestellt. Allem Anschein nach waren wir die einzigen verbliebenen Gäste, die Konferenzteilnehmer waren wohl noch in der Nacht abgereist.

Die Zeit bis wir das Zimmer verlassen mussten nutzten wir auch diesmal bis zum Anschlag aus. Das Reisetagebuch war noch längst nicht wieder auf dem neuesten Stand, außerdem sollten die verbleibenden Tage grob durchgeplant werden und bot sich hier die letzte Gelegenheit, für unsere finale Nacht in Antofagasta ein Hotel zu buchen.

Doch schließlich waren wir wieder auf dem Weg in den Nationalpark Pan de Azúcar, diesmal jedoch über eine alternative Strecke, die angeblich durch richtige Sandwüste führen sollte. Zunächst war davon allerdings nicht viel zu sehen, denn überall waren die Sandhügel mit grauen verdorrten Gewächsen überzogen. Vor ein paar Wochen oder Monaten, als dies frisches Grün und vielleicht sogar Blüten waren, sah das sicher toll aus…

Zurück in der Zivilisation nahe Copiapo.

Irgendwann entdeckten wir doch noch eine „unbefleckte“ Sanddüne, etwas abseits von der Straße zwar, aber es führte eine Piste dorthin. Zunächst schafften wir es problemlos, in die Nähe der Düne bis zu einer Art Aussichtshügel zu kommen. Das genügte Günter aber noch nicht, er wollte das Auto als Größenmaßstab direkt vor der Düne ablichten – und dabei wäre es fast passiert: um ein Haar hätten wir festgesessen … Letztlich ging es aber gerade noch einmal gut, und nachdem die Fotos im Kasten waren, konnte es weiter gehen Richtung Küste.

Pickup vor beinahe verhängnisvoller Düne.

In Caldera, einem kleinen, deutlich touristischen Küstenstädtchen, suchten und fanden wir ein Restaurant zum Mittagessen. Danach rollten wir frisch gestärkt weiter an der Küste entlang. Leider war es dabei mit dem Sonnenschein bald vorbei und wir fuhren in eine Zone mit zunehmend dichterem Küstennebel, der uns bis zu unserem Ziel, dem Campingplatz im Nationalpark Pan de Azúcar, treu blieb.

Pan de Azucar im Küstennebel (Camanchaca).

Copiapoa cinerascens

Eigentlich hatten wir vorgehabt, uns dort eventuell eine Hütte zu mieten, doch da die Frau an der Rezeption des Platzes von einem Sonderpreis nichts wissen wollte, den Günter morgens im Internet entdeckt hatte, und auf dem Normaltarif bestand (65000 Pesos statt 37000), nahmen wir schnell davon Abstand. Fürs Zelten waren zwar auch noch stolze 14000 Pesos fällig, und das bei fließend kaltem Wasser und zwei Stunden (kalter) Duschmöglichkeit pro Tag, aber geschenkt.

So suchten wir uns auf dem weitläufigen Gelände (nahezu der gesamte Strand wurde von unzähligen kleinen Strohdächern gesäumt, die Richtung Meer durch niedrige Mauern geschützt waren und außerdem je einen Picknicktisch und eine Grillmöglichkeit bereithielten) den in unseren Augen „besten“ Platz aus. In einiger Entfernung zum Eingang und möglichst dicht am Meer sollte es sein und natürlich nicht allzu vermüllt. Bei ein paar Felsen, die zum Land hin Sichtschutz boten und vielleicht den Wind noch zusätzlich bremsen würden, wurden wir schließlich fündig.

Spätnachmittags machten wir einen Spaziergang am Strand, wobei sich die Vögel hier mal wieder ziemlich kamerascheu zeigten. Abgesehen von einer Menge grau gefärbter Möwen gab es hauptsächlich verschiedene Watvögel: zweierlei Austernfischer, mal mit dem typischen schwarz-weißen, mal mit ganz schwarzem Gefieder, und dann mehrere Schwärme winziger Watvögelchen (vermutlich Sanderlinge), die ständig in hektischer Bewegung waren, hin und her gescheucht von den Wellen – und nun auch noch von uns …

Austernfischer-Paar

Sanderlinge?

Nach dem Abendessen wurde es uns bald zu kühl und feucht auf der Bank am Zelt und wir zogen uns ins Auto zurück zum Lesen, Wein trinken, Tagebuch schreiben.

In der Nacht war es im Zelt dann sehr warm und abgesehen vom Meeresrauschen, das teils schon ein richtiges Donnern war, absolut ruhig.

Allerdings war dies auch mit die feuchteste Nacht der gesamten Reise: vom Meer her gischtete es, der Nebel nässte und im Lauf der Nacht mischte sich auch noch echter Nieselregen darunter, so dass unsere Kartons auf der Ladefläche morgens von unten und oben mit Wasser vollgesogen waren. Gut, dass dies erst jetzt zum Ende unserer Zeit in Chile passierte. Und auch gut, dass es hier auf dem Platz Unmengen von Mülltonnen gab, so konnten wir einen großen Teil unseres akkumulierten Mülls und die unbrauchbar gewordenen Pappschachteln loswerden.

Der Himmel war an diesem Morgen so grau wie gehabt, trotzdem wollten wir noch eine kleine Wanderung zum Mirador oberhalb der Bucht machen.

Erst beim Verlassen des Platzes fiel uns auf, dass unsere beiden Bekannten von der Laguna Santa Rosa tatsächlich ebenfalls hier genächtigt hatten. Den Plan, zur Laguna Verde zu fahren, hatten sie letztlich aufgegeben und lieber eine näher gelegene Lagune, die Laguna Negro Francisco, besucht. Und nun schwärmten sie regelrecht von der klaren, kalten Nacht mit herrlichem Sternenhimmel, die sie dort erlebt hatten.

Nach kurzem Gespräch trennten sich unsere Wege wieder und wir machten uns auf zum Ausgangspunkt unserer Mini-Wanderung. Doch schon in der Nachbarbucht legten wir einen weiteren Zwischenstopp ein.

Geier für Chile.

Hier hatten Fischer gerade ihren Fang ausgenommen und an einer Stange aufgehängt, was die hier an der Küste allgegenwärtigen Truthahngeier (so häufig wie bei uns die Krähen), jede Menge Möwen und ein weiße Katze mit zwei verschieden farbigen Augen angelockt hatte.

Catch of the Day.

Auch ein paar Pelikane hockten auf den Vogelfelsen, allerdings waren die wieder hauptsächlich mit Ruhen und Gefiederpflege beschäftigt.


Danach der Fußweg zum Mirador: eine flach ansteigende Rampe, bestens angelegt durch ein Spalier von Kandelaber-Kakteen (Eulychnia iquiquensis), die aber offensichtlich überwiegend am Absterben oder bereits abgestorben waren.

Suchbild mit Guanako.

Der Ausblick von oben auf die Küste und die namengebende zuckerhutförmige Insel war nett, aber nun ja … Auf letzterer soll es Humboldt-Pinguine und Seeotter geben, allerdings darf man das Eiland nicht betreten, nur mit dem Boot umschiffen, was wir in Anbetracht des trüben Wetters gar nicht erst erwogen hatten.

Letzter Blick auf die "Zuckerhut"-Insel.

Im Lauf dieses Tages machten wir dann noch sehr viel Strecke. Anfangs ging es weiter durch den Pan de Azúcar-Park, der nicht nur den Küstenstreifen umfasst, sondern ein Stück ins wüstenhafte Hinterland reicht und dort, wie wir schon auf dem Herweg gesehen hatten, tolle vielfarbige Gesteinsformationen aufweist. Da aber leider die Sonne auch hier nicht schien, waren diese nun viel weniger fotogen als erhofft.

Der Küstenort Taltal dagegen präsentierte sich als eine sonnige Insel im Nebelmeer, womit wir direkt an der Küste am wenigsten gerechnet hätten.

Taltal

Hier pausierten wir für eine Pizza, die es an der Strandpromenade bei einer Art Imbiss mit Sitzplätzen im Freien gab. In dem um die Mittagszeit recht verschlafenen Ort war die Zahl der streunenden Hunde mal wieder auffallend groß und unangenehmerweise hefteten einige davon sich nach dem Essen erst mal an unsere Fersen. Zum Glück verloren sie aber bald das Interesse, als sie merkten, dass es bei uns nichts zu holen gab.

Weiter ging’s erst auf der bekannten Strecke bis Paposo und dann gerade aus weiter, auf der zunächst mehr schlechten als rechten Ruta 1, die auf dem Weg nach Antofagasta eine interessante und etwas abenteuerliche Alternative zur Panamericana sein sollte.

Auf der Ruta 1.

Eigentlich hatten wir gedacht, dass wir an diesem abgelegenen Küstenabschnitt bestimmt einen Übernachtungsplatz finden würden, aber wir fuhren und fuhren und es war hier fast noch schlimmer als beim letzten Mal zwischen Paposo und Taltal. Immer wenn wir eine Bucht näher in Augenschein nahmen, mussten wir feststellen, dass da schon jemand campierte oder wohnte und/oder es lag jede Menge Müll herum, oder aber das ganze scheiterte daran, dass uns die Zufahrt zu steil und zu sandig war.

Zeltplätze entdeckten wir an der Küste zwar nicht, ...

... aber dafür jede Menge ...

... unterschiedliche Lebensformen.

Als die Sonne, die jetzt am Abend über weite Strecken auch an der Küste wieder schien, sich schon stark dem Horizont zuneigte, erreichten wir den Punkt, an dem die Straße landeinwärts abdrehte. Das Meer blieb zurück und es ging steil hoch ins Küstengebirge bis auf knappe 1000 m Höhe.


Kurz nach Sonnenuntergang erreichten wir ein Plateau, auf dem eine deutliche Fahrspur  von der Straße wegführte. Der folgten wir ein Stück weit und beschlossen schließlich, hier unser Zelt aufzuschlagen. Das dafür auserkorene Areal musste zwar noch von ein paar größeren Steinbrocken befreit werden, aber dann war es ein ganz annehmbarer Zeltplatz. Wir schafften es gerade noch, in der Dämmerung alles aufzubauen, gevespert wurde aber schon im Schein der Stirnlampen hinten auf der Ladeklappe.

Entgegen meinen Befürchtungen war es überhaupt nicht kalt hier oben, da der Wind vom Meer her inzwischen eingeschlafen war, und so blieb es auch die ganze Nacht. Günter ergriff diese letzte und durch die angenehme Temperatur ungewöhnlich entspannte Möglichkeit, den phänomenalen Nachthimmel über der Atacama zu fotografieren. Der Himmel war hier zwar schon nicht mehr so absolut klar und dunkel wie in den abgelegensten Wüstengegenden, zumal Antofagasta nur noch 60 km Luftlinie entfernt war. Trotz dieser Einschränkung war aber immer noch die komplette Milchstraße zu erkennen und eine solche Unzahl von Sternen wie man es bei uns nicht mal unter allerbesten Bedingungen in den Alpen sehen kann.


Morgens schien bei uns bald die Sonne, während unten an der Küste sich ein Wolkenmeer ausbreitete – zum Glück saßen wir jetzt nicht da drunter!


So frühstückten wir letzte Müslireste mit den letzten Äpfeln, tranken ungesüßten Tee, da sowohl das Kaffeepulver als auch der Zucker schon ausgegangen waren, und machten uns dann ans große Packen.

Da wir nicht wussten wie der Hotelparkplatz in Antofagasta aussehen würde und wir hier sowieso ungestörter waren, wollten wir das allermeiste schon mal so zusammenpacken, wie wir es für den Heimflug brauchten. Die eine Reisetasche war dann schon bald mit der Bergausrüstung plus Schlafsäcken und Isomatten rappelvoll und gefühlt mindestens am, wenn nicht über dem Gewichtslimit. So musste alles andere (Zelt, Kocher, Topf, Becher und die Steigeisen) zu den Klamotten in die andere Reisetasche – vom Volumen her kein Problem, aber wie würde es mit dem Gewicht ausgehen, wenn zum Schluss auch noch zwei paar Halbschuhe dazu kämen?

Schließlich war alles verstaut, hatte Günter die 18 l-Reserve aus dem Kanister in den Tank gefüllt und auch alle anderen morgendlichen Verrichtungen waren erledigt, so dass wir uns auf den kurzen Weg nach Antofagasta machen konnten. 138 km sollten es noch sein und trotz Schotterpiste kamen wir gut voran. Wie auch schon tags zuvor staunten wir, wie gut diese kaum befahrene Nebenstrecke (während all der Stunden, die wir hier verbracht hatten, waren gerade mal 3 Autos vorbei gekommen) über viele Kilometer ausgebaut war.

So erreichten wir recht flott die Hauptroute, auf der wir vor Tagen Richtung Küste gerollt waren. Kurz vor deren Einmündung in die Panamericana und dem hässlichen Industriegebiet La Negra am Rand von Antofagasta bogen wir abermals auf eine Nebenstrecke ab, die uns durch ein arg vom Bergbau zerfressenes, kurviges Tal schließlich etwas südlich der Stadt ans Meer brachte.

Hier machten wir noch einmal Brotzeit an einem leider schon wieder sehr vermüllten Strandabschnitt, weshalb wir uns lieber wieder auf unsere Ladeklappe setzten. Aber immerhin gab’s Meerblick und die Möwen waren sehr unterhaltsam: unser trockenes Mais-Knäckebrot verschmähten sie zwar am Ende, aber zuerst führten sie sich eins zu eins so auf wie im Trickfilm „Findet Nemo“ ...(Meins! Meins! Meins!).

Die letzten Kilometer in die Stadt führten vorbei an deutlich aufgeräumteren Stränden. Noch ein letzter Tankstopp und dann waren wir schnell und eigentlich viel zu früh beim Hotel „Pan Americana Antofagasta“, einem Koloss direkt am Yachthafen. Nicht schön, nicht neu, aber tolle Lage und mit extrem pompöser Lobby.

Das Einchecken ging schnell, dass wir ca. 1,5 Stunden zu früh waren – kein Thema. So bezogen wir unser Zimmer mit Meerblick für eine Nacht, wie wir dachten, holten unser Gerümpel aus dem Auto und dann stellte ich mich erst mal unter die wohlverdiente Dusche.


Währenddessen wollte Günter uns schon mal für den Flug am nächsten Morgen nach Santiago de Chile einchecken – und das Unheil nahm seinen Lauf:

Erst jetzt fiel Günter auf, dass sich die Flugzeit geändert hatte und dass wir nun statt um 9 Uhr morgens erst nachmittags um 15.45 Uhr fliegen sollten. Als er daraufhin die Mails durchforstete, die wir im Vorfeld der Reise von Sky-Airlines bekommen hatten, musste er zu unserem Entsetzen feststellen, dass uns dies schon am 28.2. angekündigt worden war, was uns leider völlig durch die Lappen gegangen war ...

Da war nun guter Rat teuer, denn mit dem Nachmittagsflug würden wir unseren Anschluss nach Amsterdam komplett verpassen. Mehrere radebrechende Telefonate mit einer Sky-Service-Hotline und unzählige „Please Hold the Line“ später hatte Günter endlich eine halbwegs des Englischen mächtige Servicekraft am anderen Ende der Leitung, und es kristallisierte sich als einzig sinnvolle Option heraus, noch am selben Abend nach Santiago zu fliegen.

So blieb uns nichts anderes übrig, als gerade mal zwei Stunden nach unserer Ankunft alles vollends flugfertig einzupacken, unser schönes, teures Hotelzimmer wieder zu räumen (auf den Kosten dafür blieben wir letztlich sitzen) und im Samstagabendverkehr zum Flughafen zu kriechen.

Unseren Pickup stellten wir auf dem Parkplatz für die Mietwagen ab, den Benzinkanister, die unbenutzte Schaufel und ein paar Lebensmittel, sowie die letzte angebrochene Gaskartusche ließen wir einfach auf der Ladefläche zurück und den Schlüssel warfen wir in die Box am Schalter der Autovermietung, der jetzt (samstags nach 14 Uhr) genauso wenig besetzt war wie er es morgens früh um 7 gewesen wäre.

Beim Aufgeben der Reisetaschen hatten beide diesmal 1,5 kg Übergewicht (der Sand? ;)), so dass wir letztlich unsere Halbschuhe noch ins sowieso schon prallvolle Handgepäck stopften. Danach war vor dem Abflug (20.50 Uhr) noch locker Zeit für ein Abendessen.

Für Santiago hatte Günter vom Hotel in Antofagasta aus zum Glück noch ein Zimmer direkt am Flughafen buchen können. So blieb es uns wenigstens erspart, die ganze Nacht und den halben folgenden Tag bis zu unserem Weiterflug um 15.30 Uhr auf irgendwelchen unbequemen Sitzen auszuharren.

Nachdem wir in Santiago gelandet waren und unser Gepäck abgeholt hatten, lieferte uns der im Zimmerpreis inbegriffene Shuttle Service schnell und unkompliziert im Hotel La Quinta ab und dank der freundliche Rezeptionistin waren dort innerhalb weniger Minuten alle Formalitäten erledigt. Uff – dann noch ein Glas Wein für jeden (das Günter der Hotel-Bar abbettelte, obwohl diese eigentlich jetzt, kurz nach 23 Uhr, so eben geschlossen hatte) und dann endlich schlafen!

Wirklich ruhig war es zwar nicht, da vor dem Fenster eine Schnellstraße vorbeiführte, die Fassade (oder was auch immer) singende Geräusche machte und gelegentlich Flugzeuge über uns hinwegdonnerten, aber das spielte in dieser Nacht dann auch schon keine Rolle mehr.

An unserem letzten Morgen in Chile konnten wir uns nun immerhin viel Zeit lassen – der einzige Vorteil, den unsere Organisationspanne brachte. Also begaben wir uns erst nach neun gemütlich zum Frühstück und blieben dann umso länger sitzen. Unser Zimmer durften wir bis 12 Uhr behalten und direkt im Anschluss brachte uns ein Taxi wieder zum Flughafen.

Ab Santiago de Chile verlief unsere Heimreise ohne weitere ernsthafte Komplikationen. Nur die üblichen Mühseligkeiten, die lange Flüge mit mehrmaligem Umsteigen nun mal mit sich bringen, stellten unsere Geduld auf die Probe: das endlose Sitzen im Flieger, die praktisch nicht vorhandene Nachtruhe und bei jedem Zwischenstopp hieß es wieder aufs Neue Anstehen in den verschiedensten Warteschlangen und mussten unzähligen Kontrollen durchlaufen werden. Von letzteren die unverständlichste war die Passkontrolle bei der Zwischenlandung in Rio de Janeiro, wo wir ja weder ins Land einreisen wollten noch folglich wieder ausreisten.

Noch einmal der Flug über die Anden - einer der hohen
Schneegipfel in der Ferne könnte der Aconcagua sein.

Doch schließlich landeten wir am 16.4. fast pünktlich um 17 Uhr in München und waren dank Daniels „Shuttle“-Diensten bald darauf wieder zuhause.

Fazit und Ausblick


Gut 3 Monate nach unserer Rückkehr kann ich für unser Chile-Abenteuer eine durchweg positive Bilanz ziehen (die Härten und Anstrengungen sind inzwischen ja längst verdaut ;)).

Meine anfänglichen Bedenken waren unbegründet: alles hat sehr gut geklappt, sowohl organisatorisch (abgesehen von der übersehenen Flugzeit-Änderung), als auch was das Bergsteigen angeht. Unsere in den letzten Jahren gewonnenen Erfahrungen im Höhenbergsteigen, insbesondere auch im Hinblick auf  die Akklimatisation, waren offenbar ausreichend, um unter bestimmten Voraussetzungen auch auf eigene Faust Berge jenseits der 6000er-Marke besteigen zu können.

Allerdings muss ich auch zugeben, dass wir trotzdem viel Glück hatten, vor allem was das Wetter betrifft, aber auch insofern wir beide die ganze Zeit weitgehend von Krankheiten und Verletzungen verschont blieben. Andernfalls hätte es schnell relativ brenzlig werden können, zumal wir an nahezu allen Bergen völlig allein waren.

Chile als Reiseland hat alle meine Erwartungen vollkommen erfüllt oder sogar übertroffen und das obwohl wir ja nur einen winzig kleinen, sehr speziellen Teil des Landes erleben konnten.

Die Atacama mit ihren scheinbar endlosen Weiten, die Kahlheit der Wüste im Kontrast zum üppigen Grün gelegentlicher Flusstäler, die Einsamkeit in Wüste und Gebirge (eine heilsame Erfahrung, wenn die Welt zuhause mal wieder zu eng und voll erscheint ...), aber auch der Kampf mit der dünnen Luft, dem permanenten Wind und dem Sand, und, last but not least, natürlich der überwältigende Sternenhimmel sind starke Eindrücke und Erfahrungen, die von dieser Reise bleiben werden.


Nachts am San Pedro.

PS:

Mittlerweile steht nun auch der zweite Teil des Projekts 6x6 schon beinahe: im September werden wir 3 ½ Wochen in Ladakh, im äußersten Nordwesten Indiens verbringen, und wieder soll es auf drei Sechstausender gehen …

Donnerstag, 12. Juli 2018

Chile 2018 - Teil IV: San Francisco und Ojos del Salado

Text: Eva Irmler
Fotos: Günter Schmidt


Nevado San Francisco


Nach einem guten, reichhaltigen Frühstück kosteten wir noch die letzten Stunden im Hotel aus, ehe wir uns zum Einkaufen in den „Lider“ im Zentrum von Copiapó begaben. Den „Einkehrschwung“ zum Mittagessen verpassten wir anschließend aus diversen Gründen und so waren wir früher als gedacht unterwegs zu neuen Abenteuern.

Zunächst führte unser Weg durch ein landschaftlich sehr beeindruckendes Tal, in dem allerdings an vielen Stellen eifrig gebaggert wurde, um Rohre quer unter der Fahrbahn zu verlegen. Vermutlich sollte damit die Straße künftig vor größeren Überschwemmungen bewahrt werden. Und obwohl dies eine recht unbedeutende Nebenstrecke Richtung Paso San Francisco und Argentinien war, fanden wir den Verkehr anfangs noch erstaunlich stark, was vermutlich den Minen im Einzugsgebiet geschuldet war.

Mit der Zeit wurde mir durch das Holpern über die vielen „Desvios“ (= Umleitungen) immer flauer im Magen, aber irgendwann bekam ich den Verdacht, dass auch Hunger eine Rolle spielen könnte. So fuhren wir schließlich ein Stück in die Wüste zu ein paar größeren Felsen und verspeisten dort unser Spätnachmittagsvesper. Richtig gemütlich war es aber nicht, denn hier ging schon wieder ein recht frischer Wind, der uns nach kurzer Zeit gern wieder ins Auto steigen ließ.

Unterwegs in die Einsamkeit.

Bald darauf ging die Straße erstens in Schotter über und zweitens zog die Steigung kräftig an bis zu einem namenlosen Pass auf etwa 4500 m. Oben angekommen konnten wir einen ersten Blick auf schneebedeckte Gipfel erhaschen – vermutlich die „Tres Cruces“.


Nach kurzer Abfahrt erreichten wir die Hochebene mit dem Salar de Maricunga (ca. 3800 m) und den Grenzkontrollposten, der schon hier, knapp 100 km vor dem eigentlichen Grenzübergang zu passieren war.

Wir wagten es nicht, einfach durchzufahren, obwohl der Posten offensichtlich unbesetzt war und wir ja auch gar nicht nach Argentinien ausreisen wollten. Nach längerem Suchen traf Günter die Grenzer in einem Nebengebäude an, wo sie wohl schon den vorzeitigen Feierabend vor dem Fernseher eingeläutet hatten. Einer der Polizisten notierte sich dann unsere Namen, Passnummern, das Autokennzeichen und das Datum, an dem wir wieder zurück sein wollten. Ansonsten gab er uns hauptsächlich gute Ratschläge und Mahnungen mit auf den Weg. Weder interessierte er sich sonderlich für unser Difrol-Permit, noch wollte er unsere Pässe einbehalten, wie wir es in einigen Reiseberichten gelesen hatten.

Weitere fünf Minuten Fahrt brachten uns ans Ufer einer Lagune, wo wir im relativen Windschatten des Pickups und eines Hügels unser Zelt aufbauten. Abends gab es noch einmal Vesper, diesmal ergänzt um eine frisch gekaufte und ganz hervorragende Avocado. Und dann ging‘s ins Zelt für eine wirklich paradiesisch ruhige Nacht.

Am Salar de Maricunga -
gelegentlich kommt sogar nachts ein Auto vorbei ...

Da wir anderntags (5.4.) viel Zeit hatten – wir wollten ja lediglich bis zum Ausgangspunkt für die Besteigung des Cerro San Francisco fahren, gerade mal 90 km entfernt – ließen wir uns mit dem Aufstehen Zeit bis halb neun, als die Sonne schon längst unser Zelt wärmte. Draußen war es aber doch noch recht frisch, so dass Günter zwar den Kaffee auf der Ladefläche des Pickups kochte, wir uns aber fürs Frühstück wieder ins Zelt zurückzogen.


Gegen 10.30 Uhr waren wir dann auf zunächst erstaunlich guter, frisch asphaltierter Straße Richtung Paso San Francisco unterwegs.

Vicunjas crossing!

Blick über den Rio Lama Richtung Salar de Maricunga.

Etwa 50 km vor dem Pass holte uns aber das dicke Ende ein: Hier wurde die Straße gerade grundlegend saniert und es ging mit mehreren Umleitungen auf grobem Schotter weiter – eigentlich bis auf den Staub nicht weiter schlimm, nur hatte es die Nebenwirkung, dass alle offensichtlichen Zugänge zur Laguna Verde durch einen tiefen Graben versperrt waren. In den Reiseberichten, die wir im Vorfeld gelesen hatten, war öfter von einer Hütte die Rede gewesen, in oder bei der manche Bergsteiger hier genächtigt hatten, von dieser fehlte jede Spur. Und auch der Zugang zu der Badebucht mit den heißen Quellen, wo wir uns eigentlich unsere Mittagsrast gedacht hatten, war durch die Erdarbeiten verschüttet.

Vom richtigen Platz und im richtigen Moment -
die scheinbar unberührte Idylle der Laguna Verde.

Erst am jenseitigen Ende und ziemlich weit von der eigentlichen Lagune entfernt fanden wir eine Einfahrt und kochten dort bei ein paar flachen, angenehm warmen Steinen das geplante Mittagessen.


Anschließend machten wir einen kurzen Spaziergang auf einen Hügel in der Nähe, der Aussicht auf die Lagune und die umliegenden Berge wegen.

Blick zurück zum Auto, auf der Passstraße sind mehrere
Motorräder Richtung Argentinien unterwegs.

Die Passhöhe (4726 m) und Grenze zu Argentinien war nach der Mittagspause schnell erreicht. Wir warfen dort einen Blick in die wenig einladende Schutzhütte und stellten fest, dass sich zuletzt am 1.4. jemand ins Hüttenbuch eingetragen hatte. Auch einige Liege- und andere Radler hatten sich vor noch nicht allzu langer Zeit an den Wänden verewigt.

Am Paso San Francisco, im Hintergrund unser nächstes Ziel.

Direkt vom Pass zweigte die beschilderte (!) Schotterpiste Richtung Nevado San Francisco (manchmal auch Cerro S.F. genannt) ab, der wir nun folgten. Nach dem ersten noch relativ ebenen, aber auch schon sehr steinigen Stück, steilte die Piste bald merklich auf und Auto und Fahrer mussten mächtig kämpfen, um nicht stecken zu bleiben. Ausgerechnet an den steilsten Stellen war die Piste auch noch ziemlich sandig, aber alles ging gut und wir schafften es auf 5160 m, wo die Fahrspur endete.

Auch hier waren im ansonsten recht grob-schottrigen Gelände, wie am San Pedro, Plattformen für mehrere Zelte hergerichtet. Nur ein wenig mussten wir unsere noch einebnen, damit das Zelt, mit leichtem Gefälle zu den Füßen hin, genau darauf passte. Nach dem Aufbau ruhten wir uns erst mal im Zelt aus, da draußen zwar die Sonne schien, aber wie üblich der Wind blies, und sich die Höhe diesmal doch sehr in Form von Kreislaufschwäche und Kurzatmigkeit bemerkbar machte – kaum verwunderlich, hatten wir uns doch in nur wenig mehr als 24 h von 440 m auf über 5000 m bewegt. Ohne die vorherige Akklimatisierung wäre dies völlig undenkbar gewesen.


Später am Nachmittag packten wir dann unsere kleinen Rucksäcke, denn wir hatten uns darauf geeinigt, diesmal statt der dicken Bergstiefel nur die normalen Wanderschuhe anzuziehen und so konnten auch die Steigeisen im Auto bleiben. Schon zweimal hatten wir jetzt die schweren Schalenbergstiefel getragen, ohne sie wirklich zu brauchen, und so kurz vor dem Ojos wollte ich auch nicht riskieren, mir noch einmal Blasen an den Zehen zu holen.

Abends saßen wir noch im Auto, erst zum Vesper, dann bewunderten wir den Sonnenuntergang, und anschließend war es immer noch sehr früh zum Schlafengehen, so las ich noch eine Weile mit Stirnlampe und Günter schaute die Fotos des Tages an.

Die Laguna Verde - nach Sonnenuntergang in Blau.

Bald kroch aber die Kälte auch ins Auto und so verkrochen wir uns in die Schlafsäcke. Der Wecker wurde auf 6.15 Uhr gestellt, was trotzdem über 10h „Schlaf“ bedeutete. Wie üblich in solchen Höhen, war es damit aber nicht sonderlich weit her. In dieser Nacht hatte ich unter anderem wieder einmal eine Phase, in der ich ständig wegdöste und nach wenigen Sekunden hellwach aufschreckte, da ich keine Luft mehr bekam.

Trotz allem fühlte ich mich am 6.4. morgens beim Weckerklingeln einigermaßen fit und so konnten wir uns gegen 7.15 Uhr noch in der Dämmerung auf den Weg machen. Die ersten paar Höhenmeter über den Schotterhang hinter dem Zelt waren dann aber gleich wieder Grauen pur: kalte Füße und Hände, wegloses Gestolper, die Daunenjacke am Anfang bei Windstille noch zu heiß und ständig musste ich husten und bekam keine Luft.

Als wir diesen ersten Hang erklommen hatten, es zunächst kurz in eine Senke hinabging und wir zudem auf einen richtigen Pfad stießen, wurde es allmählich besser. Nur die Füße wollten und wollten nicht auftauen – kein Wunder, denn die Wanderstiefel waren über Nacht im Auto geblieben und deshalb ziemlich steif gefroren. - Mit in den Schlafsack wollten wir die denn doch nicht nehmen und im Vorzelt wären sie vermutlich mindestens genauso kalt geworden.

Der Weg zog sich dann mal mehr, mal weniger steil einen Hang hinan und irgendwann erreichte uns auch die Sonne (ca. 9.30 Uhr).

Noch sind wir im Schatten, aber nicht mehr lange!

Leider frischte praktisch zeitgleich auch der Wind wieder auf, wobei er wenigstens zunächst meist von hinten kam. Bei ein paar Felsen gab es eine erste Rast mit Tee und Eincremen, und als wir das Ende des langen Hangs erreicht hatten und auf den Sattel zwischen den beiden Gipfeln des San Francisco zusteuerten, legten wir in einem einigermaßen windgeschützten Bachbett eine weitere Pause ein, bei der wir uns zum Tee noch einen Schokoriegel gönnten.

Danach wurde es aber so unwirtlich, dass wir bis zum Gipfel nur noch gelegentlich verschnauften oder über den weiteren Weg beratschlagten. Hier oben lag nun tatsächlich relativ viel Schnee, auf dem zumindest stellenweise doch Steigeisen hätten ratsam sein können. Wir fanden aber immer wieder Möglichkeiten, entweder die Schneefelder an flachen Stellen zu queren oder auf Felsen auszuweichen.

So kämpften wir uns durch, bis wir um ca. 13 Uhr das weite Gipfelplateau des San Francisco erreichten.

Der Expeditionsbergsteiger am Gipfel des San Francisco ;)

Der höchste Punkt (6018 m) war mit einer Metallfigur an einer Stange markiert und außerdem gab es auch den in vielen Bergsteigerberichten erwähnten ominösen Metallkoffer mit dem Gipfelbuch, in dem Günter uns verewigte.

Insgesamt lud der Gipfel nicht sehr zum Verweilen ein, da der Wind sich mittlerweile um Sturmstärke bemühte und von allen Seiten zugleich zu kommen schien. Trotzdem wollten natürlich ein paar Fotos gemacht werden und auch Tee und ein Müsliriegel konnten nicht schaden, wenn wir auch kein wirklich gemütliches Fleckchen für eine Rast fanden.

Gigantischer Ausblick - wenn es nur nicht so verdammt kalt wäre!

Bei all dem Gejammer über Wind und Kälte soll aber nicht unerwähnt bleiben, wie beeindruckend die Aussicht von hier oben war: Zur einen Seite präsentierte sich die Laguna Verde in tiefstem Türkis, auf der anderen Seite in Argentinien eine weitere bizarr geformte Lagune in milchigem Grün, rundum ungezählte Berge und Hügel, teils mit intensiven Farbtönen von Orange über Rostrot bis Schwarz, und darüber die schneebedeckten 6000er – unter ihnen unser letztes und höchstes Ziel, der Ojos del Salado.

Gipfelpanorama mit dem Ojos in der Ferne.

Blick nach Argentinien

Mächtiger Nachbar, der Vulkan Incahuasi (6621 m)

Beim Abstieg trauten wir uns immer öfter über die Schneefelder abzufahren, da die Sonne sie inzwischen meist leicht angetaut hatte. Wir mussten aber doch aufpassen, nicht auf den vereinzelten vereisten Stellen auszurutschen. Eigentlich kamen wir recht flott voran, im untern Teil waren die Wege ja häufig sandig, was das Absteigen sehr erleichterte. Nur der Wind machte uns zu schaffen, der uns unablässig kalt und garstig ins Gesicht blies.

Im oberen Teil des Abstiegs

Nach insgesamt acht Stunden waren wir dann zurück am Zelt, das ebenfalls schwer vom Sturm gebeutelt wurde und in und auf dem sich massenweise Sand abgelagert hatte. Während wir dabei waren, unsere Sachen zusammenzupacken, tauchte überraschend ein Besucher auf: ein junger Franzose, der anderntags den San Francisco besteigen wollte, fragte nach den Bedingungen am Berg. Die Nacht würde er in der Schutzhütte am Pass verbringen und den Berg direkt von dort angehen. Später, nachdem wir unsere Siebensachen gebändigt hatten, das Auto glücklicherweise wieder angesprungen war und Günter uns sicher ins Tal manövriert hatte, hatte er auch zu Fuß die Hütte schon fast erreicht.

Wirkt auf dem Foto weniger dramatisch als es sich anfühlte:
 Rückfahrt zur Passstraße.

Für uns stand nun die Suche nach einem Übernachtungsplatz an der Laguna Verde an, was wegen der Bauarbeiten nicht einfach zu werden versprach. Letzten Endes entdeckten wir einen Jeep-Track, der zu ein paar vielversprechenden Felsen am Ufer der Lagune zu führen schien, und tatsächlich gab es auch eine Möglichkeit, von der Straße dorthin zu gelangen.

Das Plätzchen, das wir für unser Zelt wählten, in einer Art Canyon an dem Ende der Lagune, an dem ein Fluss in dieselbe mündete, sah sehr lauschig aus: feiner Sand als Untergrund, die Lagune nicht weit, rosa Felsen vor der Tür – eigentlich ein Idyll, wenn nicht auch hier ständig dieser ekelhafte Wind durchgepfiffen hätte…


Und auch die Sonne verschwand an diesem Abend viel zu früh (schon vor 19 Uhr) hinter den Bergen. So blieb uns nach dem Abendessen nichts anderes übrig, als uns bald ins Zelt zurückzuziehen.
Schon um zwanzig nach acht krochen wir in die Schlafsäcke, allerdings las ich noch eine Zeitlang auf dem Kindle („Tief in Südamerika…“ – auch ein Reisebericht J) und Günter lauschte einem Hörbuch.


Ojos del Salado


Gegen Morgen, als der Wind noch vor Sonnenaufgang wieder einsetzte, wurde es bitterkalt, weshalb wir am 7.4. das Aufstehen so lange wie möglich hinauszögerten. Sogar im Zelt – und im Auto sowieso – war diesmal das Wasser eingefroren. So hatten wir morgens geradezu Mühe, den knappen Liter Wasser für den Kaffee zusammenzubringen, und zum Spülen musste Günter gleich mal Eis schmelzen. Auch das Einweichwasser für die am Vorabend angebrannten Nudeln war jetzt ein Eisklotz, mit dem sich aber wenigstens der Großteil des Angebrannten aus dem Topf löste. Doch das gebrauchte Spülwasser fror nach dem Ausgießen sofort wieder am Boden fest …

Die nächste Herausforderung nach dem Zusammenpacken war, aus dem Tal, in dem wir gezeltet hatten, wieder heraus zu kommen, da die Anfahrt ziemlich sandig und steil gewesen war. Bergab ging es immer irgendwie, aber bergauf?

Doch die Rückfahrt zur Straße glückte und nun ging es auf selbiger ein paar Kilometer zurück bis zur Abzweigung Richtung Ojos del Salado. Unmittelbar danach erreichten wir das Refugio Murray (4530 m), das erste von dreien auf dem Weg zum Ojos. Ein Pickup mit jeder Menge Wasser und Benzin auf der Ladefläche parkte daneben, aber die ziemlich kühle und auch sonst wenig heimelige Hütte schien leer.

Auf der Terrasse davor konnten wir dann schon fast luxuriös mit Tisch und Bank, in der Sonne und mit ausreichendem Windschatten unser mittägliches Vesper genießen. Dabei schweifte der Blick immer wieder Richtung Berge – einer von denen musste unser großes Ziel sein, aber welcher?

Bei der Anfahrt waren wir noch unsicher, doch bald war klar:
der Ojos del Salado ist der Gipfel rechts im Bild.

Kurz bevor wir uns auf den Weg zum Refugio Atacama machen wollten, preschte plötzlich ein weiterer Pickup heran und ihm entstieg erst eine Frau in Jogging-Leggins, dann ein Mann in Stadtklamotten mit Brille im Ausschnitt des Pullis und einem Hündchen, das ebenfalls in einen Pulli gesteckt war. So weit ich es verstanden habe – denn, mal wieder, er nur Spanisch, wir eher nicht – handelte es sich um einen Journalisten und seine Fotografin, die für ein Fotoshooting zum Fuß des Ojos del Salado wollten. Während die beiden noch erste Fotos beim Refugio Murray vorbereiteten, machten wir uns auf den Weg, aber schon nach wenigen Kilometern wurden wir überholt. Der Typ fuhr die Strecke wirklich ziemlich tollkühn und schnell.

Wir dagegen ließen uns Zeit. Die immerhin 22 km lange Anfahrtsstrecke war anfangs recht einfach zu befahren, später mussten immer mehr sandige Bachbetten gequert werden. An einer Stelle ging es auf der alten markierten Piste nicht mehr weiter und mehrere Gräben mussten in großem Bogen umschifft werden. Bei uns ging aber wieder alles gut, dagegen stand etwa zwei Kilometer vor dem Refugio ein Suzuki Jimny verlassen am Straßenrand. Später erfuhren wir, dass dieser der Mietwagen zweier deutscher Bergsteiger war, der es an der extrem sandigen Stelle einfach nicht mehr gepackt hatte.

Im „Refugio“, das aus einem ziemlich schief aufgestellten hölzernen Wohncontainer und einer mindestens 50 m davon entfernt platzierten, zeltartigen Schutzhütte bestand, waren vor uns zwei Gruppen eingetroffen, die beide schon eine Nacht hier geschlafen und an diesem Tag einen Ausflug zum höher gelegenen Refugio Tejos unternommen hatten, – eine vierköpfige chilenische Gruppe und die beiden Deutschen, die wie wir, den Ojos auf eigene Faust besteigen wollten.

Somit waren also beide Hütten voll belegt; selbstverständlich wurde uns angeboten, uns noch irgendwo mit dazu zu quetschen, aber wir bauten lieber unser Zelt auf. Auf der Ebene zwischen den beiden Hütten gab es einige recht geräumige Zeltplätze, die zur vorherrschenden Windrichtung (West) hin mit ziemlich hohen Steinwällen versehen waren. Wie immer nützte das nur bedingt was, aber zusammen mit dem dahinter geparkten Auto würde es schon reichen, hofften wir. 

 Refugio Atacama (5200 m)

Nachmittags saß ich zum Reisetagebuch-Schreiben lange im Auto auf der Sonnenseite, die zugleich leider auch die Windseite war, und hielt es vor Wärme kaum aus, während jeder Schritt nach draußen einem Kälteschock gleichkam.

Günter hatte die Chilenen nach der Wetter- und insbesondere Windprognose gefragt und zu diesem Zeitpunkt sah es anscheinend noch für alle kommenden Tage gleich schlecht aus. Man könnte also Glück oder Pech haben, es würde sich aber in jedem Fall empfehlen, sehr früh morgens (ca. 3 Uhr) zum Gipfel aufzubrechen, da der Wind im Lauf des Tages tendenziell heftiger zu werden pflegte.

So vertagten wir die Entscheidung, ob wir anderntags mit allen und allem zum Refugio Tejos aufsteigen und am Montag den Gipfel versuchen wollten, oder ob wir beim ursprünglichen Plan bleiben und erst mal nur eine Akklimatisierungstour machen würden.

Abends setzten wir uns mit unserem Kocher und dem Eintopf-Stampf aus Kartoffelpüree, Spargelcremesuppe, grünem Spargel aus der Dose und Serrano-Schinken in die Hütte zu den Chilenen. Doch mangels gemeinsamer Sprache kam kein Gespräch zustande und unser optisch nicht sehr ansprechendes Eintopfgericht schien zumindest bei der einzigen Frau im Team eher Ekel hervorzurufen … Uns hat’s aber geschmeckt und sättigend war’s allemal.

Danach verkrochen wir uns bei der Eiseskälte, die spätestens nach Sonnenuntergang Einzug hielt, bald im Zelt. Übrigens war unseres am Abend nicht mehr das einzige, zwei der Chilenen zogen offenbar auch etwas mehr Privatsphäre vor und hatten ein sehr expeditionsmäßiges Zelt in unserer Nachbarschaft aufgebaut.

Die folgende Nacht verlief den Umständen (Höhe, Kälte) entsprechend erstaunlich angenehm. So langsam schienen wir uns an Höhen um 5000 m recht gut angepasst zu haben. Am Sonntagmorgen (8.4.) ließen wir uns sehr viel Zeit und frühstückten erst, als die Sonne schon längst auf unser Zelt brannte. Dabei fassten wir den Entschluss, heute nur mit ein paar wenigen Sachen (Wasser, Steigeisen) zum Refugio Tejos aufzusteigen und anschließend noch einmal hier „unten“ zu schlafen.

Also waren wir ganz auf einen eher geruhsamen Tag eingestellt. Doch unser Plan war noch kaum beschlossen, da wurde er auch schon wieder durchkreuzt: Einer der beiden Deutschen kam vorbei, um bei uns Toilettenpapier zu borgen, dabei fragte er uns auch nach unseren weiteren Plänen. Als wir meinten, wir hätten uns für Dienstag als Gipfeltag entschieden, erzählte er uns, dass die Chilenen auf dem Tisch in der Hütte den Ausdruck zweier halbwegs aktueller Wettervorhersagen hinterlassen hätten. Offenbar gehe aus beiden hervor, dass der Dienstag der mit Abstand schlechtere Tag für eine Besteigung des Ojos sei, da dann mit Windgeschwindigkeiten von 80 bis 100 km/h zu rechnen sei.

Wir vergewisserten uns noch, ob das alles so seine Richtigkeit hatte, und anschließend warfen wir unseren frisch gefassten Plan auch schon wieder über den Haufen: Dann würden wir eben doch schon heute das Refugio Tejos als Übernachtungsplatz anstreben – und zwar vorzugsweise mit dem Auto. Günter hatte zwar gewisse Zweifel, dass es der Nissan schaffen würde, nachdem er tags zuvor bei einem Fotoausflug schon die erste extrem feinsandige, relativ steile Stelle ausgemacht hatte, aber noch überwog die Zuversicht.

Basislagerleben beim Refugio Atacama.

Also packten wir alles so zusammen, dass in den Tagesrucksäcken schon mal die Sachen waren, die wir für die Gipfelbesteigung brauchten. Beim Refugio Tejos zu zelten wäre damit ja kein Problem, da alles dabei …

Gegen elf machten wir uns auf den Weg – und kamen leider nicht sehr weit: Schon bei besagter erster Problemstelle war schlicht kein Durchkommen für uns. Der Nissan wühlte sich fest, egal was Günter auch probierte. Mit Untersetzungsgetriebe fuhr er sowieso, im ersten Gang ging nix, im zweiten genauso wenig, auch die (bescheidene ;)) Gewichtsreduktion um die Beifahrerin half nicht und im Rückwärtsgang blieb das Auto noch früher hängen …

Wir hatten uns noch gewundert, dass die Chilenen schon in aller Herrgottsfrühe mit ihrem Pickup zum Refugio Tejos gestartet waren, aber nun wurde uns klar, weshalb: Morgens war sicher der Sand noch fester, weil gefroren, und man blieb nicht so leicht stecken.

Da half nun nichts, als die zweite und besonders bittere Planänderung des Tages: Noch einmal alles umpacken, diesmal in die großen Rucksäcke und anschließend zu Fuß die 600 Höhenmeter zum Refugio Tejos hochschleppen. Günter meinte zwar zunächst, in dem Fall sollten wir besser auf das Zelt verzichten, aber mir war die Vorstellung, mich mit sechs anderen in der Hütte zu drängeln, so zuwider, dass er bald ein Einsehen hatte.

Zusammen mit den vier Litern Wasser hatten wir diesmal dann wieder mindestens ebenso schwere Packen wie am San Pedro, vielleicht sogar noch etwas schwerere, da wir noch mehr warme Sachen (z.B. Daunenhosen) einpackten. Nach dem Mittagsvesper machten wir uns schließlich so gegen 13 Uhr auf die Socken, natürlich auch wieder mit den schweren Bergstiefeln, was schon bald für im eigenen Saft schwimmende Füße sorgte.


Ansonsten war die Schlepperei zwar mühsam, aber zunächst halbwegs erträglich – die Sonne schien, wir gingen langsam – einzig der Wind wurde im Lauf des Nachmittags wieder zu einem Problem: war es morgens noch ganz angenehm gewesen, nicht gerade windstill, aber doch gemäßigt, frischte es nun zunehmend auf und wurde so garstig kalt wie gehabt.


Als wir uns dem Refugio näherten, machten wir uns zunehmend Gedanken, wo wir ein geschütztes Fleckchen für unser Zelt finden sollten. Es gab zwar überall genügend riesige Felsbrocken, aber es war wieder mal wie verhext: hinter keinem war es wirklich windgeschützt.

Schließlich hatten wir das Hochtal erreicht, in dem das Refugio Tejos am Fuß des Ojos liegt, ohne einen geeigneten Zeltplatz gefunden zu haben (im Nachhinein betrachtet ein Glück, da ansonsten morgens der Anmarsch bis zum eigentlichen Einstieg am Berg zu einer unnötigen zusätzlichen Belastung geworden wäre). Hier oben gab es ebenfalls verstreute Felsen und nach einigem Suchen einigten wir uns auf einen, der aber auch nur wieder bedingt Windschutz bot.

Unser Hochlager beim Refugio Tejos.

Schon der Zeltaufbau geriet so zum Kampf, aber schließlich, als die Sonne schon hinter den Bergen verschwunden war, hatten wir uns so weit eingerichtet, dass wir ans Kochen gehen konnten: 2x Tee für den nächsten Tag, sowie mal wieder „unsere“ „leckere“ Teriyaki-Nudelsuppe aus dem „Lider“.

Zähneputzen entfiel angesichts der Eiseskälte draußen. Im Schlafsack wurde es aber wenigstens schnell angenehm warm – trotz oder wegen des vielen Gerümpels, das mit hinein musste (Innenschuhe, praktisch sämtliche Kleidung, die wir am nächsten Tag tragen wollten, Handschuhe, Mützen, Balaclava und je noch eine Flasche Wasser, damit sie nicht über Nacht gefror). Der Wecker wurde auf unchristliche 3.33 Uhr gestellt, was uns aber trotzdem noch satte 7 ½ h Nachtruhe versprach.

Die typischen höhenbedingten Probleme blieben dann zum Glück trotz der beträchtlichen und bislang unerreichten Schlafhöhe von 5800 m praktisch ganz aus. Überhaupt hielten sich diese Probleme diesmal bei uns beiden sehr in Grenzen im Vergleich zum Himalaya. Viel mehr kämpften wir mit Sand, Staub und Wind, Wind, Wind…

Viel zu schnell war die Nacht dann für uns beendet, aber als Günter einen ersten Blick aus dem Zelt warf, konnte er tatsächlich schon relativ weit oben am Berg Lichter erkennen – da waren andere wohl noch wesentlich früher aufgestanden!

Blick zum Ojos beim Aufstehen - unterhalb des großen Schneefelds
 rechts ein Lichtpunkt von den Stirnlampen anderer Bergsteiger.

So mühten wir uns also in unsere wärmsten Klamotten, leerten zum Frühstück eine der Thermoskannen, die dann gleich wieder mit frischem Tee befüllt wurde, und zwangen uns trotz kaum vorhandenem Appetit, je einen Müsliriegel zu essen. Inzwischen wussten wir aus Erfahrung, dass bei Touren mit extrem eisigen Temperaturen die Esspausen rar auszufallen pflegten und wir uns eher nur mal die Zeit nahmen, einen Schluck Tee (mit Zucker, eben deshalb ganz wichtig!) zu trinken, als einen der meist ziemlich harten Müsli- oder Schokoriegel zu essen.

Gegen 4.30 Uhr machten wir uns schließlich auf den Weg und durchquerten zunächst das kleine Hochtal bis zum Refugio. Schon als wir dieses erreicht hatten, war mir wieder unerträglich warm und ich beschloss, den Fleecepulli lieber in den Rucksack zu packen. Letzterer war eigentlich zu Anfang nahezu leer, enthielt er doch lediglich eine 1l-Thermosflasche mit Tee, Steigeisen, Ersatzhandschuhe, Mütze(n) und den Pickel, weshalb ich vermute, dass sein Eigengewicht fast höher war, als das des Inhalts.

Weiter ging’s, etwas erleichtert, aber dennoch hatte ich noch mindestens eine halbe Stunde mit zu viel Wärme zu kämpfen. Und schon die letzten paar hundert Meter leicht ansteigender Fahrweg bis zum (mit grünem Pfeil auf rotem Schild markierten) Beginn des eigentlichen Anstiegs zum Ojos del Salado erschienen mir unendlich lang. Dabei wartete die wirkliche Mühsal ja erst noch auf uns …

Der unterste Teil des Anstiegs folgte zwar einem klaren Pfad, ging aber durch extrem sandiges, felsdurchsetztes Gelände, so dass ich das Gefühl hatte, eine Sanddüne ersteigen zu müssen. Schließlich erreichten wir aber die ersten Schneeflecken und damit erstens festeren, da gefrorenen, Boden und zweitens etwas freieres Gelände, wo auch wieder der Wind seinen Auftritt hatte. Im ersten Moment begrüßte ich dies sehr, da ich von nun an zumindest kein „Hitze“-Problem mehr hatte, im Lauf des langen Tages begann ich den Wind, der sich nach und nach zum Sturm steigerte, jedoch mehr und mehr zu verfluchen …

Schon hier bei den ersten Schneeflecken, lange vor Tagesanbruch kamen uns plötzlich zwei Lichtpunkte entgegen: die beiden Deutschen waren bereits wieder im Abstieg, nachdem sie nach etwa der Hälfte (!) der 1000 m zum Gipfel umgekehrt waren, weil sie befürchteten, in ihren einfachen Bergstiefeln sonst Erfrierungen an den Füßen zu riskieren. Auf unsere Frage, ob die Chilenen auch schon vor uns aufgestiegen seien, erfuhren wir nun, dass es sich bei diesen gar nicht um Bergsteiger handelte, sondern um eine Gruppe von Geographen, die eine bessere Karte der Region erstellen wollten.

So waren wir denn doch allein am Berg unterwegs, was wir eigentlich hatten vermeiden wollen. Doch zumindest die Wegfindung war weder vor Sonnenaufgang noch danach ein echtes Problem. Apropos Sonne: gemeinerweise hing genau im Osten schon morgens eine fette Sturmwolke, so dass wir uns nur kurz über den Sonnenaufgang freuen konnten, ehe diese sich erst mal wieder für eine Weile verzog … Den Rest des Tages allerdings schien sie unentwegt, obwohl nach und nach immer mehr der für Höhenstürme typischen linsen- oder ufo-förmigen Wolken erschienen.

Die Sonne kommt!

Der Weg oder die Spuren führten zunächst sehr lange links vom größten Schneefeld im Zickzack bergan, was auch vom Refugio Tejos aus schon deutlich zu erkennen gewesen war, ebenso wie eine rechts vom Schneefeld ansteigende Hangquerung. Nur die Verbindung war uns nicht klar gewesen, und auch als wir den Punkt erreicht hatten, an dem uns der Hang endgültig zu steil wurde, war der Weiterweg alles andere als offensichtlich. Letztlich sahen wir keinen anderen Ausweg, als das Schneefeld hier zu queren. So mühten wir uns schon zum zweiten Mal in die Steigeisen (weiter unten hatten wir uns an einem kleineren und noch nicht sehr steilen Schneefeld auch schon entschieden, lieber auf Nummer sicher zu gehen), packten den Pickel aus und die Stöcke ein – und konnten mehr oder weniger problemlos queren.

Der Blick schweift weit über die komplette Anfahrts-
und Anmarschstrecke bis zur Laguna Verde in der Ferne.

Doch so langsam ging uns beiden die Kraft und auch die Zeit aus: auf 12 Uhr hatten wir den Umkehrzeitpunkt festgelegt, auch und vor allem wegen des für abends vorhergesagten Sturms. So quälten wir uns zwar noch eine ganze Zeit die Steigung jenseits des Schneefelds hoch, immer in der Hoffnung, doch wenigstens noch den Kraterrand zu erreichen.

Nicht wirklich am Ziel, aber fast am Ende ...

Aber bei einem großen Felsen kurz vor einem weiteren Schneefeld war dann endgültig Schluss: es war kurz nach zwölf, wir waren fix und fertig und mit 6685 m hatten wir beide einen neuen persönlichen Höhenrekord aufgestellt!

Unsere bisher höchste Aussicht.

Statt eines Gipfelfotos.

Hier legten wir eine verhältnismäßig ausführliche Rast ein und stärkten uns für den Abstieg mit Wasser (Günter hatte eine 1l-Flasche in seiner Daunenjacke hochgeschleppt und darauf hatten wir nun mehr Lust als auf den ewigen Tee) und Müsliriegeln – tatsächlich erst die zweite Mahlzeit nach einem Schokoriegel vor der Querung des Schneefelds, und das nach 7 ½ h und fast 900 Hm Aufstieg.

Beim Abstieg ließen wir – oder eigentlich hauptsächlich ich, Günter war gleich skeptisch – uns schon ziemlich am Anfang dazu verleiten einer anderen Spur als beim Aufstieg zu folgen, die länger in Abstiegsrichtung links des großen Schneefelds über Schotter bergab führte. Irgendwann wurde uns die Sache dann doch zu unheimlich, da wir befürchteten, weiter unten in einem der Büßereisfelder zu enden. So stand also wieder die berühmte Schneefeldquerung an, nur diesmal an einer noch eher unangenehmeren Stelle.

Also wieder die Steigeisen montiert, den Pickel gepackt und los ging’s. Der Schnee bzw. das Eis war hier aber sehr unterschiedlich, mal brach man knietief ein und musste sehen, dass man wieder aus dem Loch kam, ohne sich die Steigeisen in die gegenseitige Wade zu rammen (letzteres passierte uns zwar nicht, aber die Goretex-Überhosen haben bei uns beiden mal wieder gelitten), dann wieder folgten büßereisartig-bröselige Stellen oder, was natürlich am angenehmsten war, festes, tragfähiges Eis.

Von der Oberfläche her war es nicht immer klar erkennbar, um was für eine Art Eis oder Schnee es sich handelte, und so kam es, dass ich an einer Stelle unvermutet nicht nur einbrach, sondern auch mit den Füßen nach unten wegrutschte und mich plötzlich am Pickel hängend wiederfand… Ein Schreckmoment, aber nicht weiter schlimm – schnell hatte ich mich wieder aufgerappelt. Als mir praktisch dasselbe wenig später noch einmal passierte, zerrte dies doch schon deutlich mehr an meinen Nerven. Günter meinte, dass es in diesem Bereich wohl schon fast so etwas wie Gletscherspalten gab, und wich daraufhin den entsprechenden verdächtigen Stellen tunlichst aus. Von da an ging auch alles gut, dennoch war ich heilfroh, als ich wieder „festen“ Schotter unter den Füßen hatte und die Steigeisen ein letztes Mal loswerden konnte.

Schön anzusehen, aber besser zu umgehen - Büßereis.

Ab jetzt suchten wir uns wieder möglichst direkte Abstiegsspuren und rutschten, sofern immer der Untergrund weich genug war, in bewährter Manier den Hang hinab. Auf diese Weise hatten wir bald die untersten Schneefelder erreicht und konnten über Fels und Sand wieder zur Fahrspur knapp oberhalb der Hütte zurückstolpern.

Endlich erreichten wir unser Zelt, das im erbarmungslosen Wind knatterte und außerdem schon fast eine kleine Sanddüne im Innern angesammelt hatte. Und es war einfach haarsträubend, wie sandig mittlerweile alle unsere Sachen waren. Besonders übel fand ich dies bei den Schlafsäcken, die nicht nur außen, sondern auch innen mit dem feinen Gesteinsmehl paniert waren. Das hatten wir davon, dass wir mit einem eigentlich für so raues Klima eher ungeeigneten Zelt unterwegs waren: weder das Außenzelt, das unten immer mindestens 5 cm Luft zum Boden hatte, noch das Innenzelt mit seinen großen Belüftungsnetzen schützten effektiv vor dem feinen Sand. Für den Moment war dies aber nicht zu ändern und so packten wir alles ein wie es war. - Und immerhin hatte das Zelt bis jetzt noch jedem Sturm getrotzt, ohne ernsthaft Schaden zu nehmen.


Mit den nun wieder deutlich schwereren Rucksäcken, die zudem bei uns beiden nicht optimal gepackt waren, schwankten wir dann noch einmal mindestens eine Stunde ins Tal. Sogar jede Menge Wasser hatten wir wieder mitgenommen, da wir, wie schon am San Pedro, viel zu großzügig kalkuliert hatten: letztlich hatten wir nur insgesamt 3 l Tee und maximal 1-2 l Wasser getrunken, d.h. etwa die Hälfte hatten wir umsonst geschleppt.

Die bedrohlichen Sturmwolken ...

... vermehren sich abends zusehends. 
Zum Glück sind wir rechtzeitig umgekehrt!

Bis wir das völlig verlassene Refugio Atacama wieder erreicht hatten, neigte sich die Sonne schon stark dem Horizont zu. Dies und der für die Nacht angekündigte Sturm bewogen uns, diesmal nicht wieder das Zelt aufzubauen, sondern die kleinere und neuere Schutzhütte zu beziehen, die im übrigen laut einer Inschrift erst 2017 in Zusammenarbeit mit der Münchner Bauinnung und mehrheitlich von Deutschen, sowie einigen Chilenen und Österreichern errichtet worden war. Die am Boden liegenden ziemlich schmuddeligen Matratzen verschmähten wir und quetschten unsere beiden Isomatten lieber in den Dachspitz, wo sie gerade so eben Platz fanden.

Dann wurde erst mal gekocht und danach wälzten wir uns bald in unser Nachtlager, was eher kompliziert war, da an einem Balken eine extreme Engstelle jede Bewegung erschwerte. Irgendwann lagen wir aber beide und hatten es zwar beengt aber halbwegs bequem. Allerdings meinte Günter nach einer Weile, dass er lieber mit dem Kopf Richtung Tür liegen würde, da es ihm sonst zu klaustrophobisch werde. Und als wir nach erfolgreichem Wendemanöver wieder zur Ruhe gekommen waren, musste ich ihm recht geben: So atmete man doch sehr viel freier.

Der zurückliegende Tag war lang und anstrengend genug gewesen und nun stand endlich einer erholsamen Nacht nichts mehr im Weg.