Samstag, 11. Januar 2025

Allgäu und Meer - Herbst 2024 I

Ein unfreiwillig kurzer Ausflug in die Camargue mit Auftakt und Abschluss im Allgäu




Text: Eva Irmler







Auf nach Südfrankreich!



Im Frühjahr waren wir auf dem Weg nach Spanien durch den Süden Frankreichs mehr oder weniger ungebremst durchgerauscht, dabei hätte es auch hier durchaus noch für uns neue und interessante Ecken gegeben. In den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten hatten wir zwar die verschiedensten Teilabschnitten der südfranzösischen Küste besucht, die Calanques zwischen Marseille und Cassis jedoch waren selbst für Günter noch unbekanntes Terrain. Diese Lücke gedachten wir in diesem Herbst unter anderem zu schließen, wobei wir in den drei Wochen, die uns zur Verfügung standen, ganz gemächlich und mit vielen Zwischenstopps dorthin reisen wollten. 

Dass letztlich alles ganz anders kam, deuten Titel und Überschrift schon an – doch dazu später …


Montag, 23. 9. 2024 – Thônes, Camping Tréjeux


Den Samstag vor der geplanten Abreise ließen wir ganz gemütlich angehen, standen spät auf, packten dann alles zusammen und beluden peu à peu das Auto. Anderntags sollte es erstmal nur für eine kleinere Wanderung ins Allgäu gehen und dann weiter in die Ravensburger Gegend zu Günters Mutter. In Süddeutschland war für Sonntag noch gutes Wetter prognostiziert, während rund um den Genfer See, wo wir ursprünglich unsere erste Station geplant hatten, bereits am Sonntagabend Regen einsetzen sollte. Und am Montag, dem Tag, an dem wir hätten dort wandern wollen (auf den Grand Chavallard bei Fully), drohte ganztägig übelstes Sauwetter. Außerdem streikte bei der Schwiegermutter die Heizung und Günter wollte zumindest versuchen, diese wieder in Gang zu bringen.

So machten wir uns also mit dem vollbepackten „Max“ kurz nach 10 am Sonntagmorgen auf den Weg ins Allgäu. Nach einer für mich etwas stressigen Anreise über in puncto Versorgung mit öffentlichen WCs extrem wüstenhafte Bundesstraßen (es gibt auf dieser Strecke genau null!), erreichten wir schließlich am späten Vormittag den Parkplatz im Ostertal, einem Nebental des Gunzesrieder Tals bei Sonthofen. Von hier sollte es auf das Rangiswanger Horn (1612 m) gehen, eine nette Rundwanderung, die teils auf steilen Pfaden durch Wald und direkt unterhalb des Gipfels über Gras und Schrofen, teils auf gemütlichen Forst- und Almwegen verlief. Ziemlich gut besucht war die Gegend an diesem Sonntag, was wir für den ersten Teil der Wanderung bis unterhalb des Ofterschwanger Horns erwartet hatten, führt auf dieses doch eine Bahn hinauf. Auf dem zweiten, deutlich abgelegeneren Wegstück nach der Abzweigung zu „unserem“ Gipfel hätten wir dagegen auf mehr Einsamkeit gehofft. 


Blick zur Nagelfluhkette mit dem Hochgrat


Sonthofen und der Grünten


Gipfel in Sicht!


Ifen


Mittagsrast auf dem Rangiswanger Horn


Mit am besten gefiel mir bei dieser Tour die Passage durch sumpfige Wiesen und ein Wäldchen mit lauschigem Bach beim Abstieg, die zum Glück durch (an diesem Tag durchgehend trockene) Bohlenwege entschärft ist. Doch auch die Gipfelaussicht auf die Nagelfluhkette einerseits und die Gipfel der Allgäuer Hochalpen andererseits war trotz Dunst nicht zu verachten. Leider war das Wetter längst nicht so schön wie erhofft, sondern von Anfang an recht diesig, später zogen überdies zunehmend Wolken auf - Vorboten des angekündigten Wetterumschwungs.


Etwas dunstige Aussicht auf die Allgäuer Hochalpen


Lauschiger Bach am Wegesrand beim Abstieg


Die Hüterin der Alm


An der Angerhütte und fast zurück beim Parkplatz


Nach ca. 4 Stunden liefen wir wieder beim Auto ein und schafften es anschließend gerade so zur verabredeten Zeit (18 Uhr) zur Schwiegermutter. Und nachdem Günter wider Erwarten tatsächlich ihre Heizung zum Anspringen überredet hatte, wurde es noch ein gemütlicher Abend, dem eine angenehm ruhige Nacht folgte.

Am Montagmorgen machten wir uns nach dem Frühstück dann flott auf den Weg. Aufgrund der miesen Wetterprognose für die Schweiz wollten wir gleich bis in die Gegend von Annecy in Frankreich durchfahren. Morgens zeigte sich der Himmel noch heiter bis wolkig, als wir mit der Fähre (20€) von Meersburg nach Konstanz übersetzten, uns durch den Konstanzer Stadtverkehr mit dem derzeit sehr unübersichtlichen Baustellengewirr fädelten und bei Kreuzlingen ohne Kontrolle in die Schweiz einreisten. 


Abfahrt in Meersburg


Konstanz ist in Sicht ...


... und die Schweiz ist nicht mehr fern.


Auch beim wenig später nötigen ersten WC-Stopp war es noch trocken, doch kaum waren wir weitergefahren, fing es auch schon an zu schütten. Wo sollten wir da bloß unsere Mittagsbrotzeit verspeisen? Nach mehreren vergeblichen Versuchen, einen einigermaßen hübschen, möglichst überdachten Flecken dafür zu finden, kapitulierten wir, stellten uns auf den nächstbesten Autobahnparkplatz und vesperten im Aufbau. Mittlerweile zeigte die Uhr nämlich bereits halb zwei, das Frühstück um acht war demnach schon ferne Vergangenheit und der Hungertod nahe … 

Bei der Weiterfahrt durch die Schweiz regnete es toujours mehr oder weniger heftig. Erst kurz vor der französischen Grenze bei Genf ließ es allmählich nach und sogar die Sonne spitzte gelegentlich hervor.

Von dort war es dann nicht mehr sonderlich weit bis zu unserem ersten Ziel, der Ortschaft Thônes am Flüsschen Fier. Die Rezeption des etwas versteckt gelegenen, recht weitläufigen Campingplatzes war bei unserer Ankunft nicht besetzt, weshalb Günter die dort angeschlagene Nummer anrief. Wir sollten uns „installieren“ wo wir wollten, hieß es, anderntags werde um 10 Uhr abkassiert. Falls wir den Platzwart verpassten, sollten wir das Geld (10€?) einfach in einen dafür vorgesehenen Briefkasten einwerfen.

Beim Ankommen hatte ich im ersten Moment gedacht, dass der uralte Waschraum an der Rezeption (3 Urinale zur Begrüßung, 2 WCs, 2 Lavabos, 4 Miniduschen in einem Art Toitoitoi-Häuschen davor) alles wären, was es hier gab. Zum Glück stellte sich aber heraus, dass weiter hinten auf dem Areal noch eine brandneue und ziemlich große Sanitäranlage vorhanden war, in deren Nähe wir uns dann einen Platz aussuchten. Zwar war der Untergrund hier noch ziemlich nass und sumpfig, aber immerhin blieb es von oben her für den Rest des Tages trocken. 

Gegen Abend marschierten wir in 30 Minuten zu Fuß ins gar nicht mal so nahe Dorf, und kehrten zum Pizzaessen im „Le Talinum“ ein. Andere Möglichkeiten hätte es an diesem Montag praktisch nicht gegeben. Unsere Pizzen schmeckten dann ganz ok, den Salat hätten wir uns dagegen besser gespart und schon wieder einmal hatten wir uns mengenmäßig ordentlich übernommen …


In Frankreich angekommen: abends in Thônes



Dienstag, 24. 9. – Allevard les Bains, Camping Clair Matin


Nach einer wohltuend ruhigen Nacht am rauschenden Bach „Le Malnant“ verlockte der verregnete Morgen nicht wirklich zu frühem Aufstehen. Tags zuvor hatten wir noch gemeint, dass 10 Uhr viel zu spät für unserer Abreise sei, wir also auf den Kassierer unmöglich warten könnten, doch letztlich kam das dann gerade so hin. Die morgendliche Dusche ließ nichts zu wünschen übrig, jede Menge heißes Wasser floss aus dem Duschkopf und in der ungewöhnlich groß dimensionierten Kabine war es angenehm warm. 

Während wir frühstückten blieb es weitgehend trocken und die Wolken lockerten ganz allmählich auf. So beschlossen wir, die für heute angedachte Wanderung auf den „Dent de Cons“ (2062 m) trotz des zu erwartenden „Batz“ auf den Wegen in Angriff zu nehmen. Kurz vor 10 erschien der Campingplatzwart und verlangte tatsächlich sensationell günstige 10€ für die Übernachtung, Wenig später rollten wir von dannen und für einen ersten kleinen Einkauf noch am Lidl in Thônes vorbei.

Über den Col du Marais ging es anschließend ins Val de Chaise, von wo uns Google zunächst auf dem (gesperrten) Holzweg Richtung Parkplatz „Le Raffort“, dem Ausgangspunkt der Wanderung, lotste. Mithilfe einiger geschickt gewählter Zwischenstopps gelang es Günter jedoch, die Navigation auf die richtige Route via Ugine zu zwingen, wo wir noch einen spontanen Tankstopp einlegten, da der Diesel uns hier mit 1,60 €/l günstig erschien. 

Um 20 vor 12 kamen wir dann „schon“ auf dem Parkplatz im feuchten Wald an. Gevespert wurde daher noch im Aufbau und dann schnürten wir endlich unsere Wanderstiefel und machten uns auf den Weg. Gerade da fielen dann auch die ersten Regentropfen, obwohl einen Augenblick zuvor sogar noch die Sonne einen Kurzauftritt hatte … Letztlich kam es aber während der knapp 4-stündigen Wanderung nie ernsthaft zum Regnen. Feucht war und blieb es allerdings und die Wege waren stellenweise (an recht vielen Stellen …) unangenehm glitschig. Insbesondere Günter, dessen gerade mal eineinhalb Jahre alten Wanderschuhe leider bereits wieder in sehr üblem Zustand waren, das Sohlenprofil nicht mehr der Rede wert, hatte damit zu kämpfen. Doch auch meine noch fast perfekten Sohlen nützten natürlich nur so lange was, wie das Profil nicht komplett mit Schmodder zugesetzt war.


Noch ein Blick Richtung Tal, ehe wir von den Wolken
verschluckt werden.

 
Mit der Zeit tauchten wir in die Wolken ein, die von da an die Aussicht ins Tal komplett vernebelten. Am Pass „Col de la Sellive“ wechselten wir auf die Südseite des Bergs, wo uns ein unangenehm kühler, böiger Wind ins Gesicht blies. Vielleicht war es ein Glück, dass uns hier den Blick in den Abgrund verwehrt war, denn wir querten nun, teils auf erdig-nassen Pfaden, teils über glücklicherweise meist trocken geblasene Felsen, den extrem steilen Hang unterhalb des Gipfels. In Serpentinen und mit wenigen Seilsicherungen ging es schließlich auf den Grat, an dem wir uns wieder Richtung Norden wandten und über ein paar Vorgipfelchen dann vollends unser Ziel erreichten.


Grau in grau am Col de la Sellive


Am Abhang - zum Glück gelegentlich mit Seil.


Auf dem breiten Gipfelgrat

 
Diesen letzten Abschnitt am angenehm breiten Grat fand ich wieder recht entspannt, während die ausgesetzte Querung, die rational betrachtet auch nie echt schwierig war, mir durchaus ein gewisses Muffensausen bereitet hatte. Dort oben überraschten wir auch mindestens eine Gams und mehrere (Schnee-?)Hühner. 

Andere Wanderer waren an diesem Tag dagegen keine unterwegs, wobei sich die Tour bei schönem Wetter wohl durchaus großer Beliebtheit erfreut. Soll ja auch ein toller Aussichtsgipfel sein. Leider konnten wir das höchstens ahnen und am Gipfel zog es zudem so garstig, dass wir bald schon wieder das Weite suchten. 


Geschafft - am Gipfel des Dent de Cons (2062 m) ...


... ist es eher ungemütlich frisch.


Kurz reißen die Wolken auf und geben den Blick ins Tal frei.
Die Bergkulisse (Mont Blanc!) bleibt jedoch leider verborgen.


Die Überschreitung weiter am Grat entlang Richtung Norden sah zwar, soweit man sie von oben einsehen konnte, spektakulär und abenteuerlich aus, stellte sich aber letztlich eher als die einfachere Abstiegsvariante heraus. Auch hier ging es erst immer wieder über Felsstüfchen, meist aber auf erdigen Wegen und recht bald wieder durch Vegetation. So wäre ein Ausrutscher zwar lästig und eventuell schmerzhaft gewesen, aber allzu weit hätte man nicht abstürzen können.


Abstieg am Grat


Rutschpartie im feuchten Farnwald


Ein Glückspilz?


Zurück beim Auto parkte tatsächlich noch ein anderer Pickup-Camper dort. Vermutlich wollten dessen Bewohner, die wir allerdings nicht antrafen, dort oben nächtigen. Uns jedoch zog es wieder ins Tal, wobei der zunächst ausgesuchte Campingplatz südlich von Grenoble uns jetzt doch zu weit entfernt erschien. Es ging bereits auf 16.30 Uhr zu und die Anfahrt hätte schon im Idealfall über 2 Stunden gedauert. Dann noch duschen und ein Restaurant suchen? – Den letzten Ausschlag gab Google, das uns einen Stau in der Gegend um Grenoble meldete, der uns noch einmal 39 Minuten kosten sollte. 

Zum Campingplatz von Allevard sollten es dagegen annehmbare 45 Minuten sein, so entschieden wir uns für diese Alternative. Der Platz erwies sich zwar nicht als der allertollste, die Sanitäranlangen waren uralt und es gab zwar jede Menge Duschen und Urinale, doch an normalen, auch von Frauen nutzbaren WCs hatte man seltsamerweise sehr gespart. Die Dusche hielt dann immerhin sehr heißes, wenn auch leider eher spärlich fließendes Wasser bereit, und alles andere würde letztlich schon auch einigermaßen passen, hofften wir. Zudem wollten wir ja auch hier wieder nur für eine Nacht Station machen.

Für das Abendessen genügten diesmal 10 Minuten Fußmarsch ins Zentrum des kleinen, wohl schon etwas in die Jahre gekommenen Badeorts. Im „Ici ou chez vous“ gab es dann für mich Ravioli bleu (mit Blauschimmelkäsesauce überbacken) und für Günter Entrecôte mit Pommes und ebenfalls Blauschimmelkäsesauce, was beides ganz ok war, doch hätten wir angesichts der teils euphorischen Bewertungen mehr erwartet. Und über den unterirdisch schlechten Beilagensalat schweige ich mich lieber ganz aus. Da die Portionen eher klein ausfielen, gönnten wir uns zum Nachtisch noch ein Nougat glacé mit Rote-Beeren-Sauce, das uns dann am Ende mit dem Restaurant wieder versöhnte. 


Mittwoch, 25. 9. – Puyloubier, Camping le Cézanne 


Die beiden heiteren Niederländer auf dem Campingplatz in Allevard kicherten zum Glück nicht mehr lange, nachdem wir in die Schlafsäcke gekrochen waren, so schliefen wir recht gut und recht lang. Bereits nachts hatte es aufgeklart und morgens schien tatsächlich die Sonne, allerdings lag unser Platz ziemlich schattig unter großen Bäumen, so kam ein Frühstück im Freien auch diesmal nicht in Frage. 

Unser erster Stopp an diesem Tag sollte Sisteron sein, wo wir zu Mittag essen wollten und außerdem die eindrucksvolle Zitadelle, sowie der Felsdurchbruch der Durance an deren Fuß besichtigt werden sollten. Letzterer wird auch „Porte de Provence“, also das Tor zur Provence genannt, das wir folglich an diesem Tag durchqueren würden. Anscheinend sollte südlich davon tatsächlich ein spürbar milderes Klima herrschen und sogar Olivenanbau möglich sein – wir waren gespannt!

Nach einer ungeplanten Ehrenrunde durch Grenoble (Baustellen überall, nur spärliche, winzige Hinweisschilder, die wenig Zeit gewährten, um die richtige Entscheidung zu treffen; und schon ist man auf dem Weg nach Lyon, statt Richtung Gap …) erreichten wir Sisteron gegen 12 Uhr. Bis wir uns durch die superenge Ortsdurchfahrt zum Parkplatz „Plan de l’Eau“ direkt an der Durance gequetscht, das hier glücklicherweise vorhandene öffentliche WC benutzt hatten und auf dem Weg ins Städtchen waren, war 13 Uhr bereits vorüber. Offenbar hatten wir damit die hiesige Essens-Rushhour erwischt, denn in allen Restaurants, die wir ausprobierten, blitzten wir zunächst ab. 

Im „L’Oppidum“ machte man uns dann immerhin Hoffnung auf einen Tisch in 10 Minuten. Also noch eine kurze Runde durch die Altstadtgassen gedreht, den Uhrturm und den gerade im Abbau befindlichen Bauernmarkt abgelichtet, dann konnten wir tatsächlich an einem 2er-Tischchen Platz nehmen. Souris d’Agneau (Lammhaxe) mit Polenta und Risotto mit Pilzen, Erbsen und viel Trüffelöl mundeten dann so hervorragend, dass sich das kurze Warten auf jeden Fall gelohnt hatte. Und auch der geteilte „Cheesecake“ passte prima zum Espresso.


Sisteron: Uhrturm und Wochenmarkt in Auflösung


Das zwischenzeitlich (wieder einmal ;)) befürchtete Verhungern war also auf die bestmögliche Art und Weise abgewendet und so konnte es entspannt ans Besichtigen der Zitadelle gehen. Diese wurde nicht nur an der höchsten Stelle der Ortschaft errichtet, sondern hat selbst noch mindestens vier oder fünf Ebenen, die es zu „erwandern“ gilt. Vom Eintritt (7.50€ pro Nase) ließen wir uns diesmal nicht abschrecken, wenn wir auch von den Ausstellungen, Filmen und dergleichen, die darin inbegriffen waren, kaum Gebrauch machten. Von daher beruht, was ich im Folgenden zur Geschichte der Zitadelle schreibe, weitgehend auf Wikipedia und zum Teil auch auf einer in der Festung mitgenommenen Broschüre: 

Besiedelt war die Gegend von Sisteron wohl schon seit mindestens 4000 Jahren, die Römer hatten hier ein befestigtes Lager, doch eine Burg im engeren Sinn wurde erst im 11. Jahrhundert errichtet. In ihrer heutigen Form entstand die Zitadelle ab dem 16. Jahrhundert, wurde aber, ebenso wie die Stadt Sisteron in den Hugenottenkriegen mehrfach belagert, teilweise zerstört und auch anschließend immer wieder baulich verändert. Zuletzt diente sie im Zweiten Weltkrieg den deutschen Besatzern zeitweise als Internierungslager für politische Gefangene. Diese konnten zwar bis Juli 1944 offenbar alle entweder fliehen oder wurden befreit, die Festung und die Stadt jedoch im August desselben Jahres von Briten und US-Amerikanern bombardiert und schwer beschädigt. Auch viele Tote (ca. 100) waren in der Stadt zu beklagen. 1956 gründete sich ein Verein (A.T.M.= Arts, Théâtre, Monuments), der den Wiederaufbau der Zitadelle zum Ziel hatte. Zuletzt wurde zwischen 1970 und 1980 die Kapelle innerhalb der Festung restauriert und mit neuen bunten Glasfenstern versehen.


Citadelle de Sisteron mit der Kapelle


Neben der bestens erhaltenen bzw. wieder aufgebauten Burganlage selbst bildete für uns natürlich auch die Aussicht auf die Landschaft hier am Tor zur Provence einen wichtigen Teil des Besichtigungsprogramms. Insbesondere beeindruckten die Tiefblicke hinab auf die Durance mit der alten Steinbrücke, die einmal die erste ihrer Art an diesem Fluss gewesen war, und den Buëch, der hier von Westen kommend in die Durance mündet, aber auch der Blick hinüber zum imposanten, gerippten Rocher de la Baume, an dem gerade reger Kletterbetrieb herrschte.


Der Rocher de la Baume jenseits der Durance,
die hier das "Tor zur Provence" geschaffen hat.


Blick von der Zitadelle auf Sisteron mit der
 Cathédrale Notre-Dame-des-Pommiers


Pont und Rocher de la Baume - am Felsen wird eifrig geklettert.


Die Kathedrale Notre-Dame-des-Pommiers, zu der wir auf dem Rückweg zum Auto noch einen Abstecher machten, war leider geschlossen, trotzdem war es schon weit nach 16 Uhr, als wir uns mit dem „Max“ wieder aus den engen Gassen von Sisteron herausgewunden hatten. Von daher musste der Abstecher zu den „Pénitents des Mées“ leider entfallen, eindrucksvollen Konglomerat-Felsformationen, die wir nun nur im Vorbeifahren von der Autobahn aus kurz bewunderten.

Gut eineinhalb Stunden dauerte die zuletzt sehr kurvige Fahrt bis an den Fuß der Montagne Sainte-Victoire. Und tatsächlich war es hier sogar nach Sonnenuntergang noch so angenehm warm, dass wir im Freien essen und auch anschließend noch eine Weile sitzenbleiben konnten. 

Der Campingplatz, auf dem wir nun zwei Nächte verbringen wollten, war nach dem Maler Paul Cézanne benannt, der die Montagne Sainte-Victoire von seinem Haus bei Aix-en-Provence aus wohl immer vor Augen hatte und von diesem Anblick offenbar so begeistert war, dass er den Berg ganze 87 Mal malte. 

Der Platz war im Übrigen bei unserer Ankunft rappelvoll. Eigentlich wollte man uns abweisen, doch Günter ließ dann seinen Charme spielen (wie er behauptete 😉) und so erlaubte man uns, für eine Nacht in der Zufahrt eines unbewohnten Miet-Mobile-Homes zu stehen. Für die zweite Nacht war uns dann ein „richtiger“ Stellplatz versprochen.


Donnerstag, 26. 9. – Puyloubier, Camping le Cézanne


An diesem Tag zogen wir nur am späten Nachmittag innerhalb des Campingplatzes um, ansonsten durfte der „Max“ mal verschnaufen. Von unserem „Notstellplatz“ direkt an der Zufahrt zum Platz wanderten wir ans komplett andere Ende, das durch den Sportplatz der Ortschaft vom übrigen Campingplatz abgetrennt war. Diese Ecke des Platzes lag recht lauschig in einer Art altem Steinbruch, vielleicht auch ein natürliches Halbrund am Fuß des Berges. Und das kleine Sanitärhäuschen gleich nebenan bot überraschenderweise alles, was man brauchte: je zwei Duschen und WCs, sowie Spül- und Waschmöglichkeiten. Viel praktischer als im vorderen Platzteil war es sowieso, weil alles näher beieinander lag.

Morgens setzte pünktlich um 6.45 Uhr Regen ein, zwar nicht sonderlich heftig, aber dafür umso dauerhafter. Der Blick aufs Wetteronline-Regenradar offenbarte, dass es sich dabei scheinbar um ein Phantom handelte, lediglich ein winziges Regengebiet existierte dort, das aber längst nach Osten abgezogen sein sollte … Da konnten wir nur hoffen, dass sich die Wetterbesserung lediglich etwas verzögerte, damit es mit der geplanten Wanderung auf den Pic des Mouches doch noch klappte.

Bis wir aufgestanden waren und mit allem fertig, war es bereits kurz vor 11. Zuletzt war Günter noch eingefallen, dass es vielleicht nicht die schlechteste Idee wäre, für die kommenden 3 Tage (Wochenende …) schon mal den nächsten Campingplatz vorauszubuchen.
 
Doch dann waren die Wanderstiefel geschnürt, die Rucksäcke geschultert und am Sportplatz entlang ging es erst mal ins Dorf. Der bei LocusMap eingezeichnete durchgehende Wanderweg existierte tatsächlich, wobei an einer Stelle nur ein schmaler buckliger Pfad direkt zwischen zwei Grundstücken hindurchführte, wo uns außerdem innerhalb des einen Zauns ein kläffender Wachhund verfolgte … Der Dorfladen, in dem wir nur ein paar Scheiben Schinken fürs Vesper besorgten, stellte sich als erstaunlich gut sortiert heraus. Von diesem führte unser Weg über den Dorfplatz mit dem einladend wirkenden Bistrot („La Place“), in dem wir später für abends einen Tisch reservierten. 


Èglise Saint-Pons, Puyloubier


Auf den letzten Metern durchs Dorf hatten wir dann noch ein recht sonderbares Erlebnis: An einer Stelle lagen massenhaft Kastanien auf der Straße und der benachbarten Einfahrt eines Hauses. Doch als ich mich nach einem noch frischen und unbeschädigten Exemplar bückte, das zugegebenermaßen auf privatem Grund lag, aber gerade so, dass ich diesen nicht betreten musste, verbot mir ein Typ, den ich zuvor gar nicht bemerkt hatte und der auf den Stufen des Hauses saß, doch tatsächlich, diese aufzuheben …?! – So ein kleinkarierter Knallkopf! 

So gesehen war ich echt froh, als wir das Dorf, das dadurch mit einem Mal einen unfreundlichen Touch bekommen hatte, endlich hinter uns ließen und der „echte“ Wanderweg begann.
 
Tatsächlich schafften wir es aber, diesen bereits auf den ersten Metern wieder zu verlieren, und das, obwohl eine größere Gruppe Franzosen, die an ein paar Felsen rasteten, uns als Orientierungshilfe hätten dienen können. Wir dagegen hielten uns offenbar zu weit links und erreichten bald ein Kreuz auf einer Hügelkuppe. Anschließend versackte der zuvor deutliche Pfad immer mehr im Gestrüpp und es wurde immer schwieriger voranzukommen. Längst war uns klar, dass wir auf dem Holzweg waren, und bald erblickten wir auch ein paar Wanderer, die etwas weiter rechts einem steilen Pfad folgten. 

Durch ein Kiefernwäldchen und einen Graben schafften wir es dann wieder auf die richtige Spur, die gleich ordentlich anzog. Die Bäume ließen wir wenig später hinter uns und stiegen von da an meist über – teils ziemlich speckige – Kalkfelsen und Schotter bergan. 


Auf den Kalkfelsen wimmelt es von diesen (harmlosen,
 pflanzenfressenden) Tausendfüßlern (Tachypodoiulus niger).


Nach ca. einer Stunde erreichten wir das Ende des Hangs und nun ging es mit überwiegend gemäßigter Steigung immer mehr oder weniger am anfangs breiten Grat des Gebirgsrückens entlang. Zum Glück wuchsen hier wieder links und rechts des Pfads Büsche und teils auch niedrige Bäume, denn dort oben pfiff ein recht garstiger Westwind. Allzu kalt wurde es allerdings trotzdem nicht, jedenfalls solange man in Bewegung blieb. Insgesamt war es trotz der Wolken und nur wenigen Sonnenmomenten sogar ziemlich schweißtreibend und bereits ganz zu Anfang im Dorf hatte ich bereut, nicht in kurzen Hosen losgegangen zu sein.

 
Kurze Lichtblicke


Nach einer Weile bemerkte ich beim eher gemächlichen Aufsteigen am Grat, dass meine Beine immer zittriger, die Knie weich wurden. Komisch, das kannte ich sonst nur, wenn es mir vor irgendeiner ausgesetzten Passage so richtig grauste, wofür es hier ja keinerlei Anlass gab, oder aber bei langen und extrem steilen Anstiegen. Doch dann dämmerte mir, dass unser Frühstück, das an diesem Morgen ausnahmsweise aus Croissants und Baguette mit Butter und Honig bestanden hatte (Günter hatte diese gleich beim Einchecken an der Rezeption mitbestellt), wohl längst nicht so nachhaltig sättigte wie das übliche Müsli. Und, siehe da, nach einer Pause und einer Stärkung ging das Wandern tatsächlich gleich wieder viel besser. Während wir noch am Wegesrand auf zwei Felsen rasteten, kam eine vielköpfige französische Wandergruppe vorbeimarschiert, sicher 20 Personen oder gar mehr und fast alle grüßten oder wünschten uns „Bon Appetit!“ 

Weiter gings und nun bald in die Wolkensuppe hinein, die uns leider wieder einmal bis zum Gipfel treu blieb. Am Pic des Mouches, dem mit 1011m höchsten Punkt der Montagne Sainte-Victoire, war uns also keinerlei Aussicht vergönnt und konnten wir lediglich ein paar stürmische Nebelaufnahmen an der Wetterfahne machen. Anschließend ließen wir uns lieber etwas unterhalb auf der windabgewandten Seite des Berges zum Vesper nieder. 


An der Gipfelwetterfahne gibt's heute wenig zu sehen ...


... außer unser beider Schemen.


Obwohl wir wirklich ein komplett windgeschützten Plätzchen gefunden hatten, fröstelten wir mit der Zeit in den nassgeschwitzten Klamotten und brachen daher nach relativ kurzer Rast gerne wieder auf. Eine sinnvolle Alternativroute für den Abstieg schien es nicht zu geben, so folgten wir einfach unserem Aufstiegsweg, nur den peinlichen „Verhauer“ ließen wir diesmal natürlich aus ... 


Weiter unten lockert sich der Nebel wieder auf.


Im Bergnebelwald


Von oben zeigten sich im Lauf des Tages im Übrigen immer mehr und größere Sonnenflecken im Tal, nur an der Montagne Sainte-Victoire schienen die Wolken geradezu festzukleben. Immerhin blieben wir entgegen unseren anfänglichen Befürchtungen und trotz der dunkel dräuenden Wolken von Regen während der Wanderung völlig verschont. Dennoch überraschte es uns etwas, dass auf dem Wanderweg bei diesen doch eher suboptimalen Bedingungen so viel los war. Erst mit der Zeit ging uns auf, dass die Überschreitung des Bergstocks Teil des GR-9, also eines der vielen französischen Weitwanderwege ist, was auch für die großen Rucksäcke eine Erklärung lieferte, die manche Wanderer geschultert hatten. 


Freitag, 27.9. – Salin-de-Giraud, Camping Les Bois Flottés, Camargue


Morgens war es in Puyloubier zwar noch bewölkt, aber angenehm warm, so dass wir draußen frühstücken konnten, und es versprach ein deutlich schönerer Tag zu werden als der vorige. Für diesen Fall hatten wir uns vorgenommen, noch einmal in der Montagne Sainte-Victoire zu wandern und zwar zum „Croix de Provence“, einem riesigen und weithin sichtbaren Kreuz am westlichen Ende des Gebirgsstocks. 

Wenige Kilometer Fahrt brachten uns zum Parkplatz „Plan de l’En Chois“ (an anderer Stelle auch „Anchois“ geschrieben), der um kurz vor 11 Uhr schon gut belegt war. Trotzdem fand sich für den „Max“ noch ein schattiges Plätzchen, so dass unsere kühlungsbedürftigen Lebensmittel nicht gleich völlig zerfließen würden. Unsere im Frühjahr neu gekaufte Kühlbox sorgte zwar während der Fahrt für mehr als ausreichende Kälte, doch ohne Stromversorgung wurde es doch in recht kurzer Zeit wieder recht warm darin. 

Schnell machten wir uns nun auf die Socken fast zeitgleich mit mehreren anderen Wanderern. Den knappen Vorsprung vor diesen wollte ich noch für einen Ausflug ins Gebüsch nutzen, während Günter bis zum ersten Fotospot vorausmarschierte. Irgendwie schaffte ich es anschließend, ihn beim Vorbeiwandern an einer kleinen Olivenplantage zu übersehen, und stürmte immer weiter den Pfad hinauf, bis dieser wieder im Wald verschwand und mir klar wurde, dass Günter ganz sicher nicht noch weiter voraus sein konnte. Vermutlich hatte ich mich einfach zu sehr darauf konzentriert, möglichst schnell hinterher zu kommen und daher nur auf den Weg geschaut, nicht aber links oder rechts. Und offenbar war auch Günter so ins Fotografieren vertieft, dass er mich nicht vorbeispurten sah … 

Eine Weile stand ich ratlos am Waldrand herum, doch Günter war nirgends zu sehen. Schließlich kam mir die Idee, ihm auf dem Handy eine Nachricht zu schreiben, woraufhin dann schnell klar wurde, wo er steckte. Immerhin hatte er so mehr als genug Zeit gehabt, den Berg mit dem Croix de Provence vor tiefblauem Himmel abzulichten.


Olivenbäume am Fuß der Montagne Sainte-Victoire


Wieder vereint ging es dann weiter bergan, am Refuge Cézanne vorbei zum Pas du Berger. Dort gabelte sich der Weg in einen „leichten“ und einen „schwierigen“ Anstieg. Um nicht weiterhin dem ausgetretenen „Opa-Trail“ (Günters Worte) zu folgen, entschieden wir uns für die schwierige Variante und haben es nicht bereut. Hier waren wir wirklich völlig einsam unterwegs und die Schwierigkeiten hielten sich doch sehr in Grenzen. Einmal ging es etwas steiler über recht abgespeckte Kalkfelsen hinauf und man musste mit den Händen ordentlich zupacken, doch ansonsten war alles normales Gehgelände und genügte es, sich gelegentlich irgendwo abzustützen.


Steiler Aufstieg zum Croix de Provence


Beim Pas des Moine stießen wir wieder auf den „normalen“ Aufstiegsweg und reihten uns in die Karawane der Wanderer ein, die hier von allen möglichen Seiten Richtung Croix de Provence strömten. Vorbei an der wegen Bauarbeiten geschlossenen „Prieuré Sainte-Victoire“ erreichten wir wenig später das imposante Kreuz, an dessen Fuß bereits unzählige Wanderer rasteten. Auch wir ließen uns nach den obligatorischen Fotos auf den Felsen dort nieder und verspeisten die mitgebrachte Brotzeit.


Croix de Provence


Blick Richtung Aix-en-Provence und Camargue


Anschließend stiegen wir noch ein Stück weit den Grat entlang Richtung Osten, um das Kreuz selbst, das viel zu groß war, um es aus unmittelbarer Nähe zu fotografieren, im Bild festhalten zu können. Im Abstieg folgten wir dem Normalweg, der zunächst lange über überraschend griffige Felsplatten führte, ehe er wieder in den uns schon vom Aufstieg bekannten Weg mündete. 




Bei der Weiterfahrt Richtung Camargue kamen wir zunächst nicht sonderlich weit, denn schon nach wenigen Kilometern versperrten mehrere Busse die schmale Straße. Unmassen von Kindern mit ihren Lehrer*innen wollten diese besteigen, was ewig dauerte und entsprechend zu endlosen Staus in beiden Richtungen führte. Zum Glück fuhr der Bus unmittelbar vor uns dann irgendwann tatsächlich als erster los und wir konnten in seinem Kielwasser bergab schwimmen. Wobei: auch dabei kam es noch ein paarmal zu Komplikationen, weil auf den wirklich sehr schmalen Straßen kein Gegenverkehr am Bus vorbeipasste und dessen Fahrer einfach so lange stehen blieb, bis die entgegenkommenden Autos wohl oder übel zu einer breiteren Stelle zurückgestoßen hatten …

Irgendwann war dann doch die Autobahn erreicht und es ging an Aix-en-Provence vorbei Richtung Arles, dann auf Landstraßen vollends bis nach Salin-de-Giraud. Diese Ortschaft wirkte buchstäblich wie eine Retortenstadt: lauter gleichförmige Ziegel-Reihenhausriegel mit schlauchartigen Gärten dahinter, vermutlich im späten 19. Jahrhundert für die Salinenarbeiter und ihre Familien errichtet.
 
[Laut Wikipedia wurde der Ort tatsächlich 1856 als Quartier für die Salinenarbeiter gegründet, die von mir beschriebenen Reihenhäuser wurden jedoch erst ca. 40 Jahre später von der belgischen Chemiefirma Solvay, die sich damals hier niederließ, für ihre Belegschaft gebaut.]


Platanenallee in Salin-de-Giraud


Der Camping Les Bois Flottés de Camargue, auf dem uns Günter ja schon tags zuvor für drei Nächte eingebucht hatte, stellte sich als sehr weitläufig heraus und doch wurde uns eine Lücke zwischen lauter bereits belegten Plätzen zugewiesen. Die Reihe gegenüber blieb dagegen während unseres gesamten Aufenthalts praktisch leer … 

Auf der rückwärtigen Seite grenzte unser Platz an einige Hütten, deren Außenhaut leider nur aus Zeltstoff bestand (laut Platzplan handelte es sich um sogenannte „Tentes Maori“ …), und die unmittelbar benachbarte war an einen sehr speziellen Menschen vermietet: Entweder er telefonierte lautstark oder er redete mit sich selbst oder kommentierte, was er im Fernsehen sah … Insofern freuten wir uns nicht sonderlich auf die Nacht. 

Davon abgesehen war alles halbwegs annehmbar, WCs, Duschen usw. funktionierten, es gab Toilettenpapier und sogar Seifenspender, der Étang bzw. die Salinen lagen direkt vor der „Haustür“. Windig war es hier am Abend und folglich zu kühl zum Draußensitzen. 

Vor dem Abendessen irrten wir noch in der Ortschaft herum, um einen Laden zu finden. Petit Casino war zu, vielleicht sogar für immer, doch in der Épicerie ein paar Straßenecken weiter gab es immerhin Bananen und Wein. Für das sehr frisch und lecker wirkende sonstige Obst und Gemüse hatten wir leider keine Verwendung, doch neben dem Salz aus der örtlichen Saline wurde auch roter Langkornreis aus der Region angeboten, von dem wir ein paar Päckchen als Mitbringsel für zuhause mitnahmen. Käse und Salami sahen auch nicht schlecht aus, aber Günter wollte verständlicherweise nicht schon wieder kilogrammweise Zeug auf dem Rücken heimschleppen. Erst am Abend zuvor hatten wir vor dem Essen im Bistrot „La Place“ im Dorfladen von Puyloubier noch einen Sechserpack Wasser gekauft, den er auf dem länglichen Heimweg zum Campingplatz schultern musste. 

Der Service und das Essen dort waren im Übrigen ganz hervorragend gewesen – mit einer bedauerlichen Ausnahme: Günters Octopus hatte leider Schuhsohlenkonsistenz. Das Restaurant auf unserem Campingplatz, das wir an diesem Abend aufsuchten, bildete dazu einen echten Negativkontrast: Die Burger mit Pommes waren zwar gerade noch so akzeptabel, aber mit 19€ eigentlich zu teuer. Schlimmer fanden wir aber, dass die Kellnerin uns – und ich vermute nicht nur uns – ziemlich herablassend, fast schon unfreundlich behandelte, weshalb wir uns am Ende ausnahmsweise das Trinkgeld komplett sparten.



In der Camargue



Samstag, 28. 9. – Salin-de-Giraud, Camping Les Bois Flottés …


Dank der neu erworbenen Silikon-Ohrstöpsel, die tatsächlich hielten, was sie versprachen, war die erste Nacht in der Camargue auch für mich eine recht entspannte, trotz des seltsamen Nachbarn und des Industrie-Gebrumms, das hier während der Nacht ein permanentes Hintergrundgeräusch bildete. Klar war es, die Sterne in erstaunlicher Zahl sichtbar und so auch entsprechend frisch. Von daher starteten wir wieder recht spät in den Tag und konnten dann immerhin schon draußen in der Sonne die tags zuvor bestellten Pains au chocolat und Baguette mit Butter und Honig frühstücken.

Anschließend ging es gleich mit dem Auto Richtung Strand und Meer mit einem ersten Stopp am „Point d’observation des salins“. Vom erhöhten Aussichtspunkt ließen wir den Blick über die weite Ebene mit den riesigen rötlich gefärbten Salzwasserbecken schweifen. Sonst gab es lediglich noch eine beeindruckende Halde aus bereits gewonnenem Salz zu bewundern, so fuhren wir bald weiter. 


Salinen und ein ferner Leuchtturm


Erste Flamingos und eine Salzhalde





Ein paar erste Flamingos am Wegesrand forderten einen kurzen Fotostopp und dann erreichten wir zügig das Ende der Straße an der Plage de Piémanson. An diesem endlos weiten Sandstrand peitschte an diesem Morgen bei strahlender Sonne ein wahrhaft stürmischer Wind Wellen und Sand auf. 


Parkplatz mit Aussicht an der Plage de Piémanson


Endlose Weiten ...


... am windgepeitschten Sandstrand.


Ursprünglich war geplant, am Strand entlang bis zur Rhône-Mündung zu wandern, doch dazu sollte es aus verschiedenen Gründen nicht kommen. Zunächst war es schon fraglich, ob die Zeit dafür reichen würde, weil das Restaurant „La Grand Ponche“ irgendwo im Nirgendwo des Hinterlandes der Salinen, bei dem Günter für den Abend hatte reservieren wollen, ihm morgens geschrieben hatte, dass sie nur mittags geöffnet hätten. So hatte er für 13 Uhr reserviert oder es zumindest versucht, denn auf seine entsprechende Mail hatte er keine Antwort mehr erhalten.

Und während wir so am Strand entlang marschierten, erst noch mit Schuhen, später barfuß, klingelte irgendwann Günters Handy mit einer Ravensburger Telefonnummer. Weil wir gleich vermuteten, dass es um seine Mutter gehen könnte, nahm er ab und fand sich zu seinem Schrecken mit der Ravensburger Polizei verbunden. – Auf diese Art erfuhren wir, an unserem ersten Tag am Meer, dass seine Mutter ein paar Tage zuvor unter recht dramatischen Umständen ins Krankenhaus eingeliefert worden war. – O.K. … das war harter Tobak, das musste erst mal sacken … Nun war also eingetreten, was wir schon lange befürchtet hatten, und ausgerechnet jetzt, wo wir gerade maximal weit weg waren … 


Noch in seliger Unwissenheit spazieren wir
Richtung Rhône-Mündung ...


... und wenig später sehr besorgt und voller Fragen zurück.


Von nun an stand Günters Handy nicht mehr still. Offensichtlich wurde seine Nummer, jetzt wo sie endlich bekannt war, von einem zum anderen weitergereicht. Und alles am Strand, wo er über dem Tosen der Wellen und des Winds Mühe hatte, auch nur das Wesentliche zu verstehen. Bald machten wir daher kehrt und trabten zum Auto zurück, von wo Günter mit dem behandelnden Arzt im Krankenhaus immerhin halbwegs verständlich kommunizieren konnte. Später konnte er auch mit seiner Mutter selbst noch kurz telefonieren, die leider sehr mitgenommen und teils auch wirr klang. Ganz allmählich sickerte so in unser Bewusstsein, dass wir wohl unsere Reise würden abbrechen müssen, denn wer sollte sich sonst in den ersten Tagen um die Schwiegermutter kümmern, wenn sie Mitte der folgenden Woche aus der Klinik entlassen wurde?
 
Zwar setzten wir dann unser „Programm“ an diesem Tag wie geplant fort, doch die Gedanken drifteten derweil natürlich immer wieder in die Heimat ab, zu dem, was dort wenige Tage nach unserer Abreise passiert war und wie es in der Zukunft wohl weitergehen würde.

Zum Restaurant „La Grand Ponche“ schafften wir es bis 13 Uhr nicht ganz, was aber keine Rolle spielte, denn das Restaurant war alles andere als überlaufen: Bei unserer Ankunft war genau ein Tisch auf der Terrasse besetzt. Drei Tage später würde man hier zum Saisonende schließen, weshalb die Karte bereits ziemlich eingeschränkt war. Doch sowohl das „Pavé de Toro“ (Rindersteak, medium bestellt, aber sehr französisch blutig serviert, mit rotem Camargue-Reis und Ratatouille), als auch die „Gardianne de Toro“, eine Art saurer Rinder-Eintopf mit Oliven und Möhren, in Rotwein eingelegt und gekocht und mit weißem Reis serviert, schmeckte ganz hervorragend. Noch ein großes Glas voll Pannacotta mit Schokosauce zum Espresso und zumindest unsere Mägen waren wieder glücklich. 

Anschließend steuerten wir den Parkplatz beim Phare de la Gacholle an, spazierten zum Leuchtturm und zurück, was aber in der flachen, recht einförmigen Landschaft nicht sonderlich aufregend war. Hier waren definitiv Radler im Vorteil, denn zwischen den Étangs verliefen jede Menge gut fahrbare und ausgeschilderte Radrouten. Zu Fuß fanden wir es dagegen eher öde, weil man viel zu langsam vom Fleck kam … 


Phare de la Gacholle


In der Ferne die Montagne Sainte-Victoire
 (aus Cézannes Perspektive)


Feuerlibelle


So ging es bald weiter und noch einmal zu einem Strand, der ein beliebter Kitesurf-Spot ist, dem Plage Beauduc. Zuerst wunderten wir uns noch, dass Google für die an sich übersichtliche Strecke dorthin fast 45 Minuten veranschlagte. Doch recht schnell endete dann der Asphalt und eine beeindruckende Schlaglochpiste begann, die zwar den „Max“ vor kein größeres Problem stellte, aber für uns schon recht unangenehm holprig ausfiel. Günter hatte wie immer am meisten Spaß an der Fahrt durch die teils riesigen und tiefen Wasserlöcher, so dass unser Gefährt bald von braunen Spritzern übersät war.
 
An einer Stelle mussten wir uns mit angelegten Spiegelohren zwischen zwei massiven Metallpfosten durchzwängen und staunten am Ende der Straße nicht schlecht, wer sonst alles da durchgepasst hatte. Hier waren wir auf einem zwar inoffiziellen, aber offenbar geduldeten Camperstellplatz und Zeltplatz gelandet, der ziemlich gut besucht war. Einziger Service: viele Mülltonnen; dagegen keine WCs, von Duschen ganz zu schweigen. Kein Wunder also, dass bei ziemlich vielen Campern separate WC-/Duschzelte zu entdecken waren. 

Am Strand und im Wasser davor herrschte dann ein buntes Treiben von unzähligen Kitesurfern in allen erdenklichen Phasen der Könnerschaft. Anfänger hatten es bei dem Sturm sichtlich schwer, während viele andere die steife Brise gerade genossen. Wir schauten, staunten, fotografierten und kehrten schließlich ziemlich durchgepustet zum Auto zurück.


Bei Kitesurfern offensichtlich extrem beliebt - Plage Beauduc.


Auch an Land wird der heftige Wind genutzt.




Strandgut


Auf der Rückfahrt verfiel Günter auf die Idee, sich von mir beim Durchfahren einiger besonders tiefer Pfützen fotografieren zu lassen … Abgesehen davon, dass er mit dem Ergebnis eh nicht zufrieden war (falsch belichtet, allerdings durch seine eigene Voreinstellung; nur auf einem der Fotos spritzte es so richtig schön …), hatte er dabei auch noch sein offenes Seitenfenster vergessen, was seiner linken Seite, dem Sitz und allem anderen, was sich in dieser Ecke des Autos befand, gar nicht gut bekam. Vom Auto selbst ganz zu schweigen, das hatte bis übers Dach des Aufbaus eine komplette Schlammpackung bekommen … 


Ein Foto mit Folgen ...


Die für die Camargue so typischen schwarzen Stiere und weißen Pferde mussten anschließend doch auch noch abgelichtet werden. Dann ein Mini-Einkauf im ziemlich geplünderten Spar von Salin-de-Giraud und schließlich rollten wir wieder zum Campingplatz. 


Dürfen in der Camargue nicht fehlen: schwarze Stiere ...


... und weiße Pferde


Nach dem Vesper im Aufbau versuchte Günter das verdreckte Inventar des Autos so gut es ging zu reinigen, was nur teilweise leidlich gelang. Jedenfalls bedurfte es später zuhause noch einiger Arbeitsstunden bis wieder alles sauber war. Etwas später kehrten auch unsere jungen Campingplatz-Nachbarn mit „hübschen“ hellbraunen „Verzierungen“ am Auto zurück. Offenbar waren sie ebenfalls beim Kitesurfer-Strand gewesen und laut eigener Aussage zwar über die Anfahrtsstrecke geschlichen, jedoch …


Dreck-Max


Sonntag, 29. September – Salin-de-Giraud, Camping Les Bois Flottés


Einen letzten Tag wollten wir uns noch in der sonnigen Camargue gönnen, ehe wir uns anderntags notgedrungen auf den langen Heimweg ins herbstlich-graue Süddeutschland machen würden. Günters Mutter wussten wir vorerst gut versorgt im Krankenhaus und bis zu ihrer Entlassung am Mittwoch würden wir es auf jeden Fall in die Heimat geschafft haben.

Zum Abschluss wollten wir uns wenigstens dieses eine Mal auf unsere Roller schwingen und so etwas tiefer in das Netz der Dämme und Wege eindringen, die durch die Étangs führen. Und weil es am Vortag so „schön“ gewesen war, fuhren wir dafür noch einmal große Teile der Holper- und Wasserlochstrecke Richtung Plage Beauduc. Diesmal stoppten wir aber ehe die Strecke endgültig nach Westen und zum Strand abdrehte an einer Art Kreuzung, wobei alle anderen Wege, die sich hier trafen, längst für den Autoverkehr gesperrt waren. 

Mit den Rollern gings dann auf einem der gesperrten Wege anfangs entlang einer Stromtrasse ins Labyrinth der Étangs hinein. Zum Glück half Google bei der Orientierung, denn Wegweiser gab es hier so gut wie keine. Unser Ziel war letztlich der „Port du Grau de la Dent“, ein kleiner Sportboot-, Fischer- und Anglerhafen, der für die Allgemeinheit motorisiert nicht zu erreichen war. So angelten hier denn auch lediglich einige Männer, die an diesem Sonntag ihre Kinder mitgebracht hatten, sonst hatte sich niemand außer uns hierher verirrt.


Rollerrunde durch die Ètangs der Camargue


Die Flamingos und anderen Wasservögel sind hier auffallend
scheu und waten entweder unauffällig von dannen ...


... oder flüchten mit großem Getöse.


Phare de Faraman


Auf den Étangs trafen wir im Übrigen jede Menge Flamingos, Möwen, Kormorane und verschiedene Reiherarten an, doch allesamt waren derart schreckhaft, dass Günter große Mühe hatte, sie mal mit der Kamera zu erwischen, ehe sie auffällig unauffällig hinweggewatet oder gleich mit großem Getöse davongeflattert waren. 

Unmittelbar östlich des Hafens begann ein riesiges umzäuntes Areal, das sich in Privatbesitz befindet und für dessen Besuch – inklusive der Plage de la Courbe, zu der wir ursprünglich wollten – offenbar auch in der Nebensaison Eintritt fällig gewesen wäre. Auf der Suche nach einem geeigneten Platz für die Mittagspause hielten wir uns daher an die kleinen Strände etwas weiter westlich, die in völliger Einsamkeit dalagen. Badesachen hatten wir wieder einmal nicht mit, sonst wäre dies die erste und letzte Gelegenheit gewesen, wenigstens kurz ins Mittelmeer zu hüpfen. So aber war uns leider lediglich ein Fußbad vergönnt … 


An diesem kleinen Strand beim Port du Grau de la Dent endet
unser Ausflug ans südfranzösische Meer.


So nett die Anfahrt gewesen war, auf überwiegend sehr ordentlichen, feinkiesigen und gut verdichteten Fahrwegen, so holprig und hindernisreich wurde die Rückfahrt. Den gleichen Weg wieder einzuschlagen, schien uns zu langweilig, so folgten wir einem anfangs noch gut befahrbaren Weg an der Küste weiter westwärts. Leider war dieser dann später immer öfter unterbrochen, offensichtlich durch Sturmfluten beschädigt und teils auch vom Dünensand verschüttet. 


Noch ist die Strecke halbwegs ok ...


... doch schon bald wird's mühsam ...


... und immer mühsamer.


Sandstrand statt Schotterweg


Anfangs hoffte ich noch, dass die Wege, sowie wir uns landeinwärts wenden würden, wieder ähnlich gut wären wie bei der Hinfahrt. Doch stellte sich zu meinem Leidwesen dann heraus, dass dies eher die Ausnahme gewesen war und wir es nun auch hier überwiegend mit grob schottrigen, sandigen oder sonstwie holprigen, mühsam zu befahrenden Pfaden zu tun bekamen.

Einmal bogen wir in einen angenehm feinsandigen und festen Weg ein, nur um nach ein paar hundert Metern festzustellen, dass die Brücke, die es hier zum nächsten Deich geben sollte, nicht mehr existierte. Und zu allem Überfluss kamen wir auf den Holperstrecken nicht schnell genug voran, um den Massen an stechwütigen Mücken zu entkommen, die hier auf einmal die Gegend verunsicherten. Da zeigte es sich mal wieder, dass starker Wind auch seine Vorteile hat … 


Schöner Pfad, doch leider eine mückenverseuchte Sackgasse ...


Immerhin lotste Google uns von nun an ohne weitere „Dead Ends“ wieder zurück zum Auto, das wir erst gegen 16.45 Uhr nach insgesamt 22 km und ziemlich geschafft (jedenfalls ich) wieder erreichten. 
 
Zum Schluss ging es ein letztes Mal durch die Wasserlöcher zurück zum Campingplatz – auch heute wieder nicht ganz ohne „hübsche“ neue Spritzer auf der Windschutzscheibe (und sicher auch auf der übrigen Karosserie, doch da machte es ja keinen Unterschied …). 

Fürs Abendessen begaben wir uns zum einzigen geöffneten Nicht-Fastfood-Restaurant, das wir in Salin-de-Giraud entdecken konnten. Die Versorgung mit Essen und Lebensmitteln war hier in der Nachsaison wirklich eher suboptimal. Der Spar, in dem wir am Vortag noch eingekauft hatten, war nun erst mal für eine Woche wegen „Inventur“ geschlossen. Brot hatten wir morgens allerdings an völlig unvermuteter Stelle erstehen können: im Tabakladen neben der Épicerie, wo man die Baguettes im Akkord fertigbackte und für 1€ das Stück ausgab.
 
Im Hotel-Restaurant „Les Saladelles“ liefen wir dann eigentlich zu früh ein: Abendessen gab es erst ab 19.15 Uhr, wir standen bereits um 18.40 Uhr auf der Matte. Die fast zahnlose Alte an der Rezeption/Kasse wollte uns erst abweisen, als wir vorschlugen, so lange ein Bier zu nehmen und zu warten. Man sei hier keine Bar, Getränke nur zum Essen … Schließlich lenkte sie aber doch ein, als wir ihr versicherten, dass wir auf jeden Fall zum Essen bleiben würden. So lang fand ich die Wartezeit dann gar nicht (dank Handy und ein paar interessanten Zeitungsartikeln …) und Punkt 19.15 Uhr konnten wir tatsächlich bestellen. Noch einmal wählten wir „Pavé de toreau“ und „Gardianne“ (die Karte war auch hier stark eingeschränkt), nur diesmal hatte ich das Sauergulasch und Günter das Steak … Noch ein „Trois de Crème brûlée“ zum Abschluss, dann kehrten wir für eine letzte Nacht zum Campingplatz zurück. 




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