Donnerstag, 29. Oktober 2015

Expedition zum Putha Hiunchuli - Teil 4: Gipfelversuch

Text: Eva Irmler
Fotos: Günter Schmidt


Aufbruch zum Gipfel


Nach einem weiteren Ruhetag im Basislager, der leider nicht für alle die gewünschte Erholung brachte – bei Günter bahnte sich eine Erkältung an und ein anderer Teilnehmer kämpfte mit einer Nebenhöhlenentzündung, die letztlich verhinderte, dass er über Lager I hinaus kam – standen uns nun der finale Aufstieg und der Gipfelversuch bevor.

Die Wettervorhersage, die Markus regelmäßig aus Dresden bekam, sprach zwar von einem baldigen Umschwung, aber es bestand eine reelle Chance, dass bis zum übernächsten Tag, für den der Gipfelsturm geplant war, das gute Wetter noch halten würde. So oder so hatten wir die Zeit, die für den Aufbau der Lagerkette und die Akklimatisation vorgesehen war, schon nahezu ausgeschöpft; wir hätten höchstens noch einen Tag länger abwarten können, was aber bei dieser Prognose nicht sinnvoll erschien.

Am Morgen des 27. Oktober machten wir uns also voller Spannung ein letztes Mal an den Aufstieg diesmal gleich bis zum Lager II. Während in der Früh noch die Sonne wärmte, zog es gegen Mittag mehr und mehr zu und ein eisiger Wind kam auf. Bei der Mittagsrast im Lager I krochen wir beide daher in eins der dort verbliebenen Zelte, und kochten uns eine warme Suppe. Anschließend ging es wieder auf den Gletscher, was wegen der Wolken und der fortgeschrittenen Tageszeit eine recht schattige Angelegenheit wurde. Zusätzlich hatte ich mich noch bei der Wahl der Kleidung verschätzt, was nun dazu führte, dass ich hinter dem außergewöhnlich langsam aufsteigenden Günter, dem seine Erkältung zu schaffen machte, erbärmlich fror.

So war es ein Glück, dass wir in Lager II diesmal nicht noch das Zelt aufbauen mussten und nach der Ankunft zügig mit dem Schneeschmelzen und Kochen anfangen konnten. Die Nacht war nicht ganz so kalt wie bei unserem ersten Aufenthalt hier, aber trotzdem recht unruhig, denn wieder bekamen wir beide mehr oder weniger starkes Kopfweh und zusätzlich plagte auch mich jetzt noch ein trockener Höhenhusten.

Morgens musste dann alles relativ zügig zusammengepackt werden, denn unser Zelt sowie fast die komplette Ausrüstung sollte mit ins Lager III. Der anfängliche Sonnenschein, der unser Zelt beim Frühstück noch erwärmte, verleitete mich auch heute dazu, mich zu dünn einzupacken - ein Fehler, der sich schon bald rächte, denn noch vor unserem Abmarsch hatte der Himmel sich komplett bedeckt und es ging wieder derselbe eisige Wind wie am Vortag. Die Füße in den gut isolierten Schalenbergstiefeln wurden mit der Zeit auch mit dünnen Socken warm, kritischer waren die Hände, die trotz körperlicher Anstrengung einfach nicht auftauen wollten.

Kalt!

Der erste Teil des Aufstiegs ging über ein besonders steiles Stück Gletscher, das Jamba und Lila einige Tage zuvor mit einem Fixseil ausgestattet hatten. Dieses wurde nun zwar nicht gebraucht, da die Schneeauflage überall noch griffig genug war, aber eben dieser Schnee sorgte auch dafür, dass der Aufstieg unendlich mühsam wurde, weil man ständig einbrach oder in den Fußstapfen der Vorangehenden herumrutschte. Am oberen Ende des Steilhangs wartete Günter auf mich, der heute trotz viel schwererem Rucksack wieder deutlich flotter unterwegs war, und ich konnte mir seine Daunenfäustlinge borgen; meine eigenen hatte ich dummerweise so verstaut, dass ich unterwegs keinen Zugriff darauf hatte.

Etwas oberhalb der Steilstufe bei zunehmend schlechtem Wetter

Weiter ging’s mit endlich warmen Händen und in etwas flacherem Gelände, wobei sich inzwischen der Wind schon fast zum Sturm gesteigert hatte und alle Spuren im Nu verwehte. Da waren die Bambusstäbe, die Jamba und Lila vor uns in regelmäßigen Abständen als Wegmarkierung in den Schnee steckten, bald die einzige Orientierungsmöglichkeit, extrem wichtig nicht zuletzt auch wegen der jetzt kaum mehr erkennbaren Gletscherspalten.

Schließlich kam der Platz für unser Lager III in Sicht, wo die Sherpas, Markus und alle Teilnehmer, die schneller gewesen waren, schon fieberhaft damit beschäftigt waren, Plattformen für die Zelte herzurichten. Alles sollte möglichst schnell gehen, da inzwischen ein richtiggehender Schneesturm tobte. Da kamen wir Expeditionsneulinge dann doch so langsam an unsere Grenzen und bei unserem Zeltaufbau lief so manches schief, insbesondere verabschiedeten sich 2 der 5 Zeltstangen auf Nimmerwiedersehen in den Abgrund. Zum Glück ließ das Zelt sich mit nur 3 Stangen doch noch so einigermaßen stabil aufbauen und sturmsicher mit seinen Nachbarn vertäut überstand es auch die folgende schwierige Nacht.

Dass es mit dem Gipfel wohl nichts werden würde, war eigentlich schon jetzt am Abend klar, auch wenn Markus noch einmal über das Satellitentelefon sogar zwei verschiedene Wetterberichte einholte. Der eine davon war dann tatsächlich etwas optimistischer und versprach im Lauf der Nacht eine Besserung, weshalb die Wecker auf 3 Uhr gestellt wurden.

Nachdem wir uns mühsam eingerichtet und diesmal mit nur einem Kocher (den zweiten hatten wir zur Gewichtsersparnis im Lager II zurückgelassen) genügend Schnee für Abendessen und Trinkflaschen geschmolzen hatten, wartete eine ungemütliche Nacht auf uns. Dabei waren das durch die fehlenden Stangen etwas geschrumpfte Zelt und der sich darauf akkumulierende Schnee noch das kleinere Problem. Beide schlugen wir uns diesmal mit heftigen Kopfschmerzen herum, so dass es zumindest für mich schon fast eine Erlösung war, als Markus den Gipfelgang in der Nacht abblies.

Morgens im Lager III: der Sturm hat jede Menge Schnee in die Außenschalen der Schuhe geweht.


Rückzug


Tatsächlich hörte es die ganze Nacht und auch am folgenden Tag nicht auf zu schneien.

Wir packen zusammen und steigen ab - das war's dann mit dem Gipfel!

Am anderen Morgen war dann schnell klar, dass selbst der Abstieg nicht einfach werden würde. Die Sicht war praktisch null, so dass oft nicht einmal die Markierungsstäbe zu erkennen waren. So half dann nur noch Markus‘ GPS  und zum ersten und einzigen Mal seilten wir uns an.


Damit die ganze Gruppe beieinander blieb und keiner verloren gehen konnte, banden wir uns alle 12 in ein einziges langes Seil ein, was das Gehen nicht eben erleichterte: Ständig lief man Gefahr, seinem Vordermann auf die Hacken zu treten, und man konnte auch nicht einfach mal stehen bleiben, um beispielsweise die beschlagene Brille zu putzen, weil man gnadenlos weitergezogen wurde. So schafften wir es aber wenigstens heil durch die Spaltenzone und am Beginn des Fixseils konnten wir uns wieder ausbinden, da hier auch die Sicht allmählich besser wurde.

Während des weiteren Abstiegs mussten wir nach und nach alles Material, das noch in den beiden unteren Lagern verblieben war, zusätzlich schultern, da uns keine Zeit für einen weiteren Gipfelversuch mehr blieb. So schwankten zuletzt alle, ganz besonders aber Jamba und Lila, unter unglaublichen Lasten, die uns an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit brachten.


Der sowieso schon weite Weg zog sich unter diesen Bedingungen noch einmal mehr in die Länge und der Neuschnee auf dem Blockgelände im unteren Abschnitt führte dazu, dass laufend irgendjemand ausrutschte und sich mühsam mit seinem schweren Packen wieder aufrappeln musste.

Letzter Teil des Abstiegs mit maximal viel Gepäck: den Schluss macht Jamba mit insgesamt 3 Zelten auf dem Rücken.

Günter und ich waren diesmal wieder bei den Langsameren und kamen erst nach Einbruch der Dunkelheit und volle 9h nach dem Aufbruch von Lager III ins Basislager zurück. Unsere Langsamkeit hatte aber für mich auch einen angenehmen Nebeneffekt, denn so kam ich gemeinsam mit einer anderen Frau in den Genuss eines speziellen Service unserer Küchenmannschaft: vor dem letzten Gegenanstieg standen auf einmal Rup Lama und einer seiner Gehilfen in der Dämmerung am Wegesrand und nahmen uns „Ladies“ unsere Rucksäcke ab!

Leider vergaß ich dabei, meine Stirnlampe dazubehalten und so mussten wir, als es bald darauf finster wurde, zu zweit mit nur einer Lampe durch die Dunkelheit stolpern.

An diesem Abend war allen die Erschöpfung und auch die Enttäuschung über die verpasste Gipfelchance anzumerken. Nach dem Abendessen verzogen sich daher alle recht bald in ihre Zelte, um erst mal auszuschlafen. Bei allem Frust stellte aber keiner die Entscheidung für den Rückzug in Frage, zu eindeutig war die Lage gewesen, und letztlich zählte jetzt nur noch, dass alle wieder heil und gesund ins Basislager zurückgekehrt waren.

Wieder im Basislager - jetzt ebenfalls tief verschneit