Montag, 12. November 2018

Lakakh 2018 - Teil II: Shara La und Shara Peak

Text: Eva Irmler
Fotos: Günter Schmidt


Zum Shara La


Unsere Begleitmannschaft und die Packpferde ließen am ersten Trekkingtag noch sehr lange auf sich warten, dabei hatten wir selbst auch schon 4,5 Stunden für den Anmarsch nach Pullu gebraucht. Zum Glück hatten wir wenigstens unsere leichten Daunen- und die Regenjacken in die Tagesrucksäcke gepackt, so dass wir es auf der windigen Hochebene zunächst ganz gut aushalten konnten.

Warten auf die Pferde bei zweifelhaftem Wetter.

Nach etwa einer Stunde meinte Jimmy, dass er wohl besser mal nachsehen gehe, wo denn unser Tross bleibe. Uns schlug er vor, solange in dem verlassenen Kloster auf dem Hügel Schutz vor dem Wind und den gelegentlichen Graupelschauern zu suchen. In dem recht nüchternen Klosterraum war es dann zwar auch noch eher frisch, aber draußen war es zwischenzeitlich so garstig, dass wir froh waren, diese Rückzugsmöglichkeit zu haben.

So langsam ging es schon schwer Richtung Abend, da konnten wir nur hoffen, dass die Pferde es noch vor Einbruch der Dunkelheit schaffen würden. – Tatsächlich kamen sie gegen halb fünf endlich über den Hügel getrabt. Wir schauten uns das Schauspiel noch eine Weile von unserer erhöhten Position im Kloster an, bis wir uns dazu durchringen konnten, uns Wind und Wetter zu stellen.

Endlich tut sich was - das Küchenzelt ist schon aufgebaut.

Als wir schließlich unten am Lagerplatz angekommen waren, stand schon das Küchenzelt und Dawa, unser Koch für die kommenden zwei Wochen, begrüßte uns mit Tee und Nudelsuppe. Und anschließend konnten wir zum ersten Mal unser Zelt beziehen, ein waschechtes und sehr geräumiges Expeditionszelt der Marke Eureka.

Unser Camp: das orange Zelt ist für uns, das graue für Guide Jimmy,
 Koch und Helfer übernachten im Küchenzelt.

Mittlerweile hatten wir auch erfahren, was die Mannschaft so lange aufgehalten hatte: zwei Pferde waren durchgegangen und abgehauen, eines davon sogar mit einem Teil des Gepäcks. Der Pferdemann hatte dann zunächst versucht, sie wieder einzufangen, aber vergeblich. So blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als mit den restlichen 6 Tieren erst mal zum Lagerplatz weiterzuziehen. Bis es endgültig dunkel wurde startete er an diesem Abend noch zwei Suchaktionen, unterstützt vom Küchengehilfen, den wir deshalb erst später kennenlernten, doch die Ausreißer blieben bis auf weiteres unauffindbar.

Leider hatte die Episode mit den wilden Pferden für mich gleich mal recht bittere Folgen: Noch am selben Abend musste ich feststellen, dass mein E-Reader den Geist auf gegeben hatte. Das Display hatte eine deutlich spürbare Delle und er ließ sich nicht mehr zum Starten bewegen. Erst am nächsten Morgen zeigte sich dann, dass dem MP3-Player dasselbe Schicksal widerfahren war, während bei meiner Ersatzbrille zum Glück lediglich das Etui in tausend Stücke zerbrochen war. Als ich Jimmy die Bescherung zeigte, erfuhr ich, dass meine Tasche tatsächlich eines der abgeworfenen Gepäckstücke und vermutlich zusätzlich auch noch unter die Hufe eines Pferdes gekommen war.

Jimmy schleppt unsere (äußerlich unversehrten) Taschen an.

Ändern ließ sich dies nun leider schon nicht mehr und eigentlich hätten wir ja auch durch unsere Erfahrungen in Nepal wissen können, dass es unklug ist, Zerbrechliches ins Gepäck für die Lasttiere zu packen. Wenigstens hatte ich in weiser Voraussicht noch ein dickes Taschenbuch eingepackt, so dass ich nicht völlig ohne Lesestoff dastand, und als „Musikmaschine“ musste nun eben mein Handy herhalten.

Unser erstes Abendessen fand, wie nahezu alle folgenden Mahlzeiten auf dem Trekking, im Küchenzelt statt, da es sich natürlich nicht gelohnt hätte, für uns zwei Hansel noch ein zusätzliches Essenszelt mitzuschleppen. Außerdem hatte dieses Arrangement den unbestreitbaren Vorteil, dass uns beim Essen von den Kochern eingeheizt wurde. Als Tisch diente uns dabei eine metallene Transportkiste, die mit einem Tischtuch zugedeckt wurde, und als Sitzgelegenheit zwei Campinghocker – die einzigen, alle anderen mussten mit Matten auf dem Boden vorlieb nehmen.

Auf einer solchen Matte (zugleich seinem Schlafplatz) residierte auch Koch Dawa hinter seinen beiden Benzin-Kochern, die während unserer Mahlzeiten praktisch im Dauerbetrieb bullerten. Abgesehen von den drei Gängen (Suppe, Hauptgericht, Nachtisch), aus denen unser Abendessen stets bestand, wollten ja auch noch ungezählte Liter Wasser abgekocht werden.

Der Koch und sein Helfer bei der Arbeit.

Da die Zahl der Töpfe und Teller, des Bestecks usw. sehr begrenzt war, bestand die Hauptaufgabe des Helfers darin, immer wieder zwischendurch nach draußen zu flitzen und das eine oder andere Teil zu spülen. Die Geschirrtücher, die dabei zum Einsatz kamen, sahen schon am ersten Abend ziemlich mitgenommen aus, zumal sie teilweise zusätzlich noch als Topflappen herhalten mussten. Da konnten wir nur hoffen, dass noch genügend Ersatz im Gepäck bzw. vielleicht auch mal ein Waschtag vorgesehen war …

An diesem ersten Abend hielt sich unser Appetit sehr in Grenzen, sicher auch weil sich die ungewohnte Höhe inzwischen bei uns beiden mal wieder durch leichte Kopfschmerzen bemerkbar machte. So konnten uns Suppe, Reis, Dal (= Linsen, aus dem Schnellkochtopf!) und Blumenkohl-Möhren-Paprika-Gemüse nicht wirklich begeistern. Nachdem Dawa uns noch Tee und Wasser in unsere Flaschen abgefüllt hatte, zogen wir uns bald ins Zelt zurück, in der Hoffnung auf eine endlich einmal ruhige Nacht.

Doch leider war uns diese wieder nicht beschieden: Während die übrigen Pferde frei in der Landschaft umherstreifen durften und schon alsbald über alle Berge waren, wurden zwei Maultiere, aus welchem Grund auch immer, etwa 3 m neben unserem Zelt angepflockt und bimmelten uns mit kurzer Unterbrechung die ganze Nacht die Ohren voll. Und diesmal fielen die durchdringenden Glockentöne nicht nur lästig, sondern waren richtiggehend schmerzhaft für unsere eh schon malträtierten Schädel.

Die beiden "Übeltäter" vor dem Zelt ihres Herrn und Meisters.

Morgens wurden wir um 7.30 Uhr mit Tee geweckt und eine halbe Stunde später brachte Küchenhelfer Stanzin uns noch warmes Waschwasser vorbei. Unser Kopfweh verflüchtigte sich dann zum Glück ziemlich schnell und bald war auch klar, dass wir an diesem Tag einen außerplanmäßigen Ruhetag einlegen würden, den der Pferdemann nutzen wollte, um zusammen mit Jimmy nach seinen ausgebüxten Tieren zu suchen. Uns war’s im Grunde genommen auch ganz recht, noch einmal auf derselben Höhe zu schlafen und nicht gleich wieder 300 oder 400 m höher, wie es eigentlich vorgesehen war.

So verbrachten wir einen geruhsamen Vormittag im Zelt und genossen die herrliche Ruhe – die Maultiere hatte der Pferdemann entweder nun auch freigelassen oder mitgenommen.

Nach dem Mittagessen machten wir beide uns dann zu einer kleinen Akklimatisierungstour auf. Das Ziel war ein Höhenrücken, von dem aus wir hofften, einen Blick ins Nachbartal werfen zu können. Zunächst ging es also bei schönstem Sonnenschein über die Hochebene und auf einer kleinen Brücke über den Bach, anschließend recht schweißtreibend, aber dank geruhsamem Tempo nicht allzu atemlos, bis zu einem ersten Absatz. Hier errichtete Günter auf einem Felsen einen stattlichen Steinmann, der uns beim Abstieg den rechten Weg weisen sollte. Spuren gab es an diesem Hang nämlich unendlich viele, die wohl hauptsächlich von den Yaks und Ziegen stammten, die hier im Sommer weiden.

Aus Richtung Shara La zogen dann bald wieder dicke graue Wolken heran und als wir nach einer Stunde unser Ziel auf knapp 5100 m erreichten, begannen auch schon die ersten Regentropfen und Graupelkörner herab zu peitschen. So traten wir flott den Rückzug an, für Regen waren wir nicht wirklich gerüstet, da ohne Rucksäcke unterwegs.

Blick zurück zur Hochebene mit unserem Lager.

Zurück am Camp waren mittlerweile auch Jimmy und der Pferdemann wieder eingetroffen. Das entlaufene Pferd mit der restlichen Ausrüstung hatten sie immerhin eingefangen, das andere aber blieb verschwunden.

Der Regen oder Graupel ließ an diesem Nachmittag noch lange nicht nach und es gab sogar ein paar Donnerschläge – wieder mal ein Gewitter auf fast 5000 Metern …

Kein Wort im Tagebuch über die folgende Nacht bedeutet wohl, dass es endlich, endlich ruhig war und wir zum ersten Mal auf dieser Reise wirklich gut geschlafen haben. J


Diese Gesellen haben uns morgens mit ihrem Schnauben geweckt.

Unseren dritten Trekkingtag begannen wir daher, trotz des nach wie vor wechselhaften bis bescheidenen Wetters, voller Tatendrang und beeilten uns, nach dem Frühstück schnell alles zusammenzupacken. Als wir dann schon praktisch startklar neben dem halb abgebauten Zelt standen, zog Jimmy jedoch erst los, um die Pferde einzusammeln. Wie sich herausstellte, hatte der Pferdemann noch einen allerletzten Versuch unternommen, seinen Ausreißer zu finden, weshalb sich jetzt der Rest der Mannschaft allein um das Beladen der Pferde kümmern musste. So verzögerte sich unser Abmarsch noch mal gewaltig, was aber letztlich kein Problem war, da die heutige Etappe zum Shara La Base Camp mit maximal 400 Hm und relativ wenig Strecke sowieso sehr übersichtlich zu werden versprach.

Schließlich gingen wir drei dann aber doch los, erst am Kloster vorbei und dann in mäßiger Steigung immer am Bach entlang. Anfangs war das Wetter noch ganz nett, es gab sogar Sonne, aber gegen Mittag trübte es wieder ein und erste drohende Regenschleier veranlassten uns dazu, die Regenjacken und Rucksacküberzüge herauszuholen.

Noch ist es recht heiter - auf dem Weg zum Shara La Base Camp.

Ein Yakhirte mit seiner Herde.

Gerade waren wir bei einem noch bewohnten Hirtenlager angekommen, als es ernsthaft zu graupeln anfing. Deshalb – und weil abzulehnen vermutlich auch unhöflich gewesen wäre – nahmen wir gerne die Einladung eines Hirtenpaares an, in ihr Zelt zu kommen.

Das Hirtenlager duckt sich an den Fuß des Berges.

Dieses war über einer niedrigen, kreisrunden Mauer aus aufgeschichteten Felsbrocken mithilfe von 2 Stützen im Inneren und vielen Verstrebungen außen aufgespannt und bestand aus Yakwolle. Obwohl relativ locker gewoben (oder gestrickt?), sind Zelte aus diesem Material bei Regen oder Schnee anscheinend dicht, da die Wolle bei Feuchtigkeit aufquillt. Nach oben gab es eine Öffnung, durch die es leicht hereinschneite und unter der direkt der mit getrocknetem Yakdung befeuerte Herd stand, von dem aus ein Ofenrohr nach draußen führte. Die Zelteinrichtung bestand neben dem Herd nur aus ein paar Teppichen, mit denen der nackte Erdboden ausgelegt war, Vorräte und sonstige Gerätschaften waren einfach in Nischen und auf Absätzen der Steinmauer verstaut.

Unsere Gastgeber in ihrem Zelt -
 selbst hier darf ein Bild des Dalai Lama nicht fehlen.

Hier wurden wir nun mit dem berühmt-berüchtigten Buttertee bewirtet, der wohl im ganzen Himalaya traditionell getrunken wird und für uns, wie erwartet, sehr gewöhnungsbedürftig schmeckte – salzig und sehr streng nach Yak. Jimmy erklärte, dass er aus Yakbutter, Wasser, Teeblättern, Salz und etwas Milch zubereitet werde. Da wir nichts anderes dabei hatten und Jimmy meinte, Geld zu geben wäre unangemessen, überreichten wir zum Dank für die Gastfreundschaft ein paar Schoko- und Müsliriegel aus unseren Vorräten.

Anscheinend verirren sich so selten Touristen in diese Gegend (nur alle 2-3 Jahre mal eine Trekkinggruppe), dass fremde Menschen hier immer noch fast eine Sensation sind. Deshalb sei man, nach Jimmys Einschätzung, einfach aus echter Neugier und Freundlichkeit bzw. Hilfsbereitschaft bereit, Fremde bei sich aufzunehmen und zu bewirten, ohne gleich eine Gegenleistung – geschweige denn Geld – zu erwarten. Unser Gastgeber hatte offenbar sogar angeboten, uns anderntags bei der Überquerung des Passes zu helfen, der für die Pferde, besonders bei viel Schnee, wohl wirklich sehr herausfordernd sein würde.

Irgendwann war dann zwar das Wetter noch immer nicht besser, aber wir verabschiedeten uns doch von den freundlichen Nomaden. Weiter ging’s über eine Stufe mit riesigen Felsblöcken und dann wieder flacher am Bach entlang, teils über Grashöcker, die stehengeblieben waren, nachdem die Yaks hier durchgetrampelt waren, teils über Felsen. Auch waren immer wieder Teile des Bachs zu queren, was aber stets problemlos möglich war.

Unser Lager mussten wir an diesem Tag schließlich etwas unterhalb des eigentlich vorgesehenen Platzes aufschlagen. Während wir an einem letzten steileren Aufschwung pausierten, stieg Jimmy flott die restlichen Meter auf, um nachzusehen, ob es dort oben überhaupt Wasser gab. Tatsächlich war dann sogar eher zu viel davon vorhanden - der ganze Lagerplatz war geflutet! So rannte Jimmy bergab den Pferden entgegen, um sie rechtzeitig aufzuhalten, und wir kamen langsam hinterher. Bis wir den als Alternative auserkorenen Platz erreichten, war schon ein Großteil des Gepäcks abgeladen und alle waren eifrig damit beschäftigt, die Zelte aufzubauen.

Schnell die Zelte aufbauen vor dem nächsten Graupelschauer.

Dabei wurde unsere Behausung (plus Toilettenzelt …) diesmal in einigem Abstand zu allen anderen auf einem separaten Hügel jenseits eines Grabens errichtet. Uns kam dies sehr entgegen, da wir so deutlich ungestörter waren als im ersten Camp. Abends unterhielt sich unsere Crew doch immer noch relativ lange im Küchenzelt und dabei ging es auch öfter mal etwas lauter zu. Allerdings war so auch der Weg für unseren Küchenhelfer recht weit, der uns Tee, Kekse und diesmal sogar das Mittagessen ans Zelt brachte.

Den ganzen restlichen Nachmittag und die ganze Nacht durch schneite es mehr oder weniger heftig. Schon beim Abendessen meinte Jimmy, dass es ganz vom Wetter abhänge, ob wir anderntags den Shara La in Angriff nehmen könnten. Für uns sollte es zwar kein Problem sein, den Pass auch bei Schnee zu queren, für die Pferde (und ihre Lasten und diejenigen, die mit ihnen unterwegs sind) werde es aber schnell gefährlich.

Am späteren Nachmittag hat sich das Wetter
 nicht zu seinem Vorteil verändert.

Am folgenden Morgen sah es daher eigentlich zunächst eher schlecht für die geplante Überschreitung aus, denn es lagen 5 cm Schnee im Camp – nicht viel, aber bei Tagesanbruch schneite es immer noch leicht. Erst gegen halb acht riss der Himmel allmählich auf und machte uns etwas Hoffnung.

Wintercamping auf fast 5100 Metern.

Der Yakhirte, der uns tags zuvor zu sich eingeladen hatte, war tatsächlich heraufgekommen, um zu helfen, und schien sehr dafür zu plädieren, die Sache anzugehen, während der Pferdemann eher zögerte, vermutlich weil er ja schon ein Pferd eingebüßt hatte. Jimmy überließ mehr oder weniger uns die Entscheidung, schien aber (wie auch der Rest der Mannschaft) wenig Lust zu haben, noch einen Tag in dem ungemütlichen Lager hier oben zu verbringen, wenn auf der anderen Seite deutlich angenehmere Verhältnisse auf 4400 m winkten. Würden wir es heute nicht über den Pass schaffen, hätte der erste Gipfel sich zudem sowieso schon erledigt, da wir unseren Reservetag ja bereits für die Pferdesuche „geopfert“ hatten. Auch war eine grundlegende Wetterbesserung nicht absehbar und so beschlossen wir schließlich, es einfach zu versuchen.

Um 8.30 Uhr war unsere Entscheidung gefallen und eine knappe Stunde später waren wir abmarschbereit. Wenig später waren auch die Pferde schon unterwegs und überholten uns etwas oberhalb des ersten Aufschwungs.

Dem armen Maultier wurden unsere beiden Packen aufgebürdet
 und noch Dawas schwerer Benzinkocher dazu.

7 Pferde/Maultiere und 4 Begleiter auf dem Weg zum Shara La.

Zunächst war der Weg für Mensch und Tier problemlos zu bewältigen und auch das Wetter war anfangs noch angenehm, gelegentlich heizte uns die Sonne sogar mächtig ein. Nur allzu bald überzogen jedoch wieder dicke Wolken den Himmel und Schnee und Wind zwangen uns in immer mehr Kleidungsschichten.

Die Pferde schlugen sich wacker auf den rutschigen Felsen, wenn es ihnen auch mit zunehmender Steigung ganz offensichtlich unheimlich wurde und sie immer wieder stehen blieben. Eine echte Herausforderung war dann der allerletzte Hang vor dem Pass, über den ernsthaft steil die letzten 100 Hm erklommen werden mussten.

Die Pferdekarawane an einer kritischen Stelle des Steilhangs.

An einer Stelle strauchelte eines der Pferde und verlor seinen Packen, der aber zum Glück gleich liegen blieb und nicht den Hang runterkugelte. Nach dieser letzten Schrecksekunde, erreichten alle Pferde heil den Pass und auch wir überquerten ihn bald darauf – in dichtem Schneetreiben und nach etwa 3 Stunden Aufstieg.

Gleich ist's geschafft!

Am Shara La, 5777 m.

Auf der Rückseite des Passes klarte es schon nach kurzer Zeit auf, und obwohl wir relativ bequem auf Pappschnee den Berg hinabtraben konnten, brachte uns die Sonne alsbald ziemlich ins Schwitzen.

Abstieg in angenehmere Gefilde.

Der hilfsbereite Yakhirte kam uns etwas unterhalb des Passes auf seinem Heimweg entgegen und diesmal fand auch Jimmy, dass er für den großen Dienst, den er uns erwiesen hatte, etwas Geld bekommen sollte. Ohne ihn hätten der Pferdemann und der Rest der Crew es wohl nicht so ohne weiteres geschafft, bei so viel Schnee über den Pass zu kommen. Dafür ließen nicht nur wir gerne ein paar Rupien springen, sondern auch Jimmy und der Pferdemann steuerten etwas bei.

Unser Wohltäter.

Nach mehreren hundert Höhenmetern Abstieg hatten wir schließlich die Schneegrenze erreicht. Hier wollten wir endlich mal richtig rasten, da die Pausen bis jetzt eher ungemütlich und kurz ausgefallen waren. Doch just in dem Moment kamen auch wieder die Pferde in unser Blickfeld, die wir seit dem Pass nicht mehr gesehen hatten, und Jimmy stellte fest, dass sie soeben dabei waren, zu einem falschen Campingplatz abzusteigen. Er pfiff und winkte und rannte schnell hinunter, um sie auf die rechte Spur zu weisen. Wir dagegen hielten auf einem großen Felsen unsere wohlverdiente Rast und wanderten anschließend gemächlich hinterher.

Schließlich trafen wir Jimmy wieder, der auf uns gewartet hatte, und weiter ging’s bergab über Felsen, Bäche und durch kratziges Gestrüpp. Dabei bewegten wir uns schon wieder auf eine bedrohlich dunkle Wolkenwand zu, die uns zur Eile antrieb. 

Der nächste Schauer kommt bestimmt ...

Leider schafften wir es nicht mehr trocken ganz bis zum Camp, auf den letzten paar hundert Metern erwischte uns ein heftiger Schauer. Doch unser Zelt stand zum Glück schon bereit, in das wir uns nun schnell flüchten konnten. Hier genossen wir auch endlich sehr verspätet den Lunch, den Dawa offenbar morgens für uns gekocht und Jimmy ohne unser Wissen den ganzen Tag sinnlos herumgeschleppt hatte.

So heftig der Regenschauer war, so schnell war er auch wieder vorbei. Und kurz schien dann noch die Sonne ehe sie hinter den Bergen versank. Nachts schüttete es allerdings wieder unermüdlich weiter, so dass wir langsam aber sicher am Wetter verzweifeln wollten.

Shara Peak


Am folgenden Tag standen uns wieder einige hundert Höhenmeter Aufstieg bevor zum Basislager am Fuß des Shara Peak. Während wir vom Pass bis in Sichtweite des Dorfes Phugtse abgestiegen waren, das in ein paar Tagen der Endpunkt unserer ersten Trekkingwoche sein sollte, und die Nacht auf nurmehr 4400 m verbracht hatten, ging es nun in ein Seitental und wieder auf über 5000 m Höhe.

Das Wetter zeigte sich noch immer nicht von seiner besten Seite, doch zunächst blieb es immerhin trocken. Als wir schon wieder relativ weit aufgestiegen waren, trieb uns aber extrem garstiger Schneeregen in die Deckung eines riesigen Felsbrockens und wir beschlossen, erst mal auf die Pferde zu warten.

Pferde und Crew kommen in hässlichstem Schneeregen an.

Nachdem diese zu uns aufgeschlossen hatten, fiel dann ziemlich schnell die Entscheidung, es hier gleich gut sein zu lassen, da absehbar war, dass bei dem zunächst für das Camp anvisierten Gletschersee oberhalb der nächsten Geländestufe eine geschlossene Schneedecke liegen würde. So schlugen wir auf einer von Yaks ziemlich gut gedüngten, aber ansonsten sehr idyllischen Wiese am Bach in 5040 m Höhe unsere Zelte auf.


Da von hier aus die übliche Route zum Shara Peak zusätzlich zu den gut 1000 zu bewältigenden Höhenmetern auch noch einen ziemlich weiten Anmarsch bedeutete, schlug Jimmy zunächst vor, eventuell einen anderen Anstieg zu versuchen, über den er schon einmal abgestiegen war. Streckenmäßig wäre dieser deutlich kürzer, andererseits aber anspruchsvoller, da es hier über einen Gletscher gehen würde. So verlockend es klang, sich den Talhatscher zu sparen, waren wir doch unsicher, ob wir uns auf diese völlig unbekannte Route einlassen sollten. Jimmy glaubte zwar, dass sie für uns zu schaffen wäre, aber noch hatte er keinen Gipfel mit uns bestiegen und wir nicht mit ihm … Letztlich wurde uns aber die Entscheidung abgenommen: Stanzin, unser Küchenhelfer, wollte gerne mit zum Gipfel gehen. Da er aber keine Steigeisen hatte, kam die Gletschervariante nicht infrage und wir mussten uns mit dem „Normalweg“ anfreunden.

Am späten Nachmittag, nachdem sich das Wetter vorläufig gebessert hatte, machten wir noch einen Ausflug zum Gletschersee, wo tatsächlich schon jede Menge Schnee lag.

Bei weniger Schnee sicher auch ein nettes Plätzchen für unser Lager.

Auf der Fährte eines Schneeleoparden?

Jimmy meinte, wir sollten anderntags schon nachts um eins oder allerspätestens um vier losgehen, was wir aber für deutlich zu früh befanden. Wir schafften es dann, als Weckzeit 4.30 Uhr heraus zu handeln, Abmarsch sollte um 5 Uhr sei.

Schon über eine Stunde vor dem Wecken begann es im Küchenzelt zu rumoren und so war die Nachtruhe auch für uns erledigt. Wie ich schon befürchtet hatte, schafften wir es nicht, in einer halben Stunde abmarschbereit zu sein. Bis ich endgültig entschieden hatte, was ich anziehen sollte – vor diesem ersten Gipfel fiel mir das besonders schwer, da ich noch nicht einschätzen konnte, welche Temperaturen uns erwarteten – , unseren Porridge-ohne-Milch-plus-Müsli gefrühstückt und den recht leichten Rucksack geschultert hatte, war es doch eher schon 5.30 Uhr und es begann gerade zu dämmern. So marschierten wir zwar noch mit Stirnlampen los, konnten sie aber nach spätestens einer halben Stunde ausschalten.

Bis zum Gletschersee ging es auf der schon bekannten Route, wobei wir jetzt häufiger über Schnee stapften. Und obwohl es gefühlt nicht sonderlich kalt war, knirschte der doch ordentlich unter unseren Stiefeln und die Bächlein und Wasserlöcher waren zum Teil mit Eis bedeckt. Oberhalb vom See ging es über eine weitere Stufe und mit leichtem Gegenabstieg ins nächste Hochtal. Dem folgten wir bis zum Ende, um dann links in den endlosen Hang einzusteigen, der zum Gipfelgrat des Shara Peak hochzieht.

Schon die ersten Sonnenstrahlen, heizten uns gewaltig ein, so dass bald die eine oder andere Jacke im Rucksack verstaut, die Belüftungsschlitze an den Überhosen weit geöffnet, Sonnencreme aufgetragen und die Gletscherbrillen aufgesetzt wurden.

Ready?

An diesem Morgen sah der Himmel endlich mal so aus, wie wir uns das vorgestellt hatten: tiefblau und mit weißen Haufenwolken – beste Voraussetzungen also für unsere Tour.

Tückische, wacklige Felsen im unteren Drittel des Aufstiegs.

Doch alles hat auch eine Kehrseite und so ließ mich die Sonne, die erbarmungslos in den Hang knallte, trotz aller Gegenmaßnahmen zunehmend im eigenen Saft kochen. Und auch der Schnee, der anfangs noch ganz gut trug, wurde im Lauf der Zeit immer weicher.

Puh, ist das heiß!

So tasteten wir uns den Hang hoch, wirklich nicht besonders schnell, da Jimmy vor nahezu jedem Schritt erst festzustellen versuchte, wo wir nicht einbrechen würden, was aber natürlich trotzdem immer mal wieder passierte. Dennoch blieb ich nach jeder Pause aufs neue hinter Jimmy und Günter zurück, während Stanzin, obwohl er sicher mit der Fitteste von uns vieren war, sich hinter mir einsortiert hatte. Hier daher ein extra großes Lob an ihn: ob ich mit dem Stiefel feststeckte, an einem Felsen keinen Halt fand oder mich sonst wie schwer tat, immer stand er bereit, um mir zu helfen und sei es nur mit einem kleinen Schubs von hinten, der mich auf die nächste Stufe brachte!

Beim Aufstieg kommen vereinzelte Wolkenschleier wie gerufen.

Stunde um Stunde quälten wir uns den nicht enden wollenden Hang empor, und immer öfter blieben wir stehen, um Atem zu holen. Irgendwann brachten dann auch die Pausen nicht mehr die erhoffte Erholung und so war es kein Wunder, dass mich allmählich der Wille verließ, es unbedingt bis zum Gipfel zu schaffen. Dann, nach etwa 7 Stunden, hatten wir immerhin den Grat erreicht.

Endlich am Grat!


Die Aussicht ist herrlich.

Der Gipfel war von da nach Jimmys Schätzung noch 1 Stunde entfernt, schien also greifbar nah. Nach einer Pause rafften wir uns deshalb doch noch einmal dazu auf weiterzugehen, aber auch hier oben lag der Schnee so hoch, dass das Vorankommen sehr, sehr mühsam war.

Noch geben wir nicht auf.

Nach etwa einer halben Stunde Quälerei beschlossen Günter und ich, dass es jetzt endgültig genug sei, und ließen uns auf einem Felsbrocken nieder. Hier wollten wir einfach nur noch rasten, die geniale Aussicht auf die Berge rundum genießen und uns für den langen Abstieg stärken.

Jimmy war schon ein Stück voraus und zu Stanzin sagten wir, dass sie beide von uns aus gerne noch zum Gipfel gehen könnten, wir würden hier auf sie warten.

Der (Vor-?)Gipfel - zum Greifen nah und doch unerreichbar für uns.

Doch schon bald kamen sie gemeinsam zurückgestapft und Jimmy meinte, dass es für sie wenig Sinn hätte, ohne uns zum Gipfel zu gehen. Außerdem hatte Stanzin in seinen wenig überzeugenden Stiefeln offenbar so kalte Zehen, dass er Erfrierungen befürchtete. Daher rannte er auch gleich in einem wahnsinnigen Tempo den Hang hinab, während Jimmy wartete bis wir uns nach einer Weile an der Aussicht sattgesehen und einigermaßen erholt hatten.

Auch der Abstieg wurde uns nicht geschenkt an dem steilen, verschneiten, felsdurchsetzten Hang. Anfangs ging es noch ganz gut, da genügend Schnee die Felsen bedeckte. Durch die noch vor Mittag vom Tal heraufgezogenen Wolken war er zudem wieder etwas fester.

Abstieg vor traumhafter Kulisse.

Weiter unten jedoch wurde die Schneedecke immer dünner und weicher und brachte mich kurz hintereinander zweimal ins Straucheln – ein deutliches Zeichen, dass so langsam die Konzentration gewaltig nachließ und schleunigst eine Pause eingelegt werden musste.

So langsam wird's haarig.

Anschließend zitterten wir über große, unangenehm wacklige Felsbrocken mit dünner Schneeauflage das letzte Stück zum Fuß des Hangs hinab. Hier verspeisten wir auf ein paar Felsen endlich unseren Lunch, den Jimmy wieder den ganzen Tag herumgetragen hatte.

Dann hieß es weiter absteigen und so langsam fehlte mir jetzt wirklich die Kraft. Immer langsamer kroch ich über Bach, Fels und Wassergraben bergab.

Im obersten Hochtal, noch ist kein Ende absehbar.

Erst gegen 18 Uhr, als schon beinahe die Sonne unterging, hatten wir es geschafft und konnten endlich unsere schweren Stiefel vor dem Zelt abwerfen.

Der erlösende Anblick:
unser Camp (schon fast nicht mehr) im Abendlicht.

Stanzin war da schon seit zwei Stunden zurück und brachte uns bereits wieder den Tee vorbei. Seine Zehen hatten glücklicherweise keinen weiteren Schaden davongetragen.

Und wir fielen nach dem Abendessen wie Steine in die Schlafsäcke. Dass wir „nur“ bis auf knapp 6000 m gekommen waren und den erstrebten Gipfel nicht erreicht hatten, war uns in dem Moment völlig schnuppe.