Dienstag, 26. Juni 2018

Chile 2018 - Teil III: Auf den San Pedro und zum Meer

Text: Eva Irmler
Fotos: Günter Schmidt


San Pedro


Am Karfreitag ließen wir uns von der Sonne wecken und blieben noch bis kurz vor neun im warmen Bett. Beim Frühstück zeigte sich, dass die eigentliche Hotelbesitzerin die sehr resolute Schwiegermutter der jungen Frau vom Vortag war. Die beiden machten uns Rührei und Espresso und backten Brötchen auf. Am Tisch warteten schon Marmelade, Butter, Wurst und Käse und von allem hätten wir noch nach bekommen können.

Anschließend packten wir in aller Ruhe zusammen, saßen noch ein wenig in der Sonne und beobachteten Hund und Katz‘, die sich gegenseitig umschlichen und provozierten. Nach dem Zahlen (unsere günstigste Unterkunft für 47000 Pesos) rollten wir zur Laguna Inca Coya. Diese große Süßwasserquelle mit einem benachbarten Bach, an dem Lamas weideten, unzähligen Libellen, einer Art Blässhühner und sogar kleinen Fischen im Flachwasser, ist für Einheimische wie Touristen eine der Hauptattraktionen von Chiu Chiu. 

Die Laguna Inca Coya vor San Pedro (links) und San Pablo


Am Ufer campierte ein Wohnmobil mit Münchner Kennzeichen und im Vorbeigehen sprachen wir den Besitzer an, der gerade an seinem Motor herumbastelte. Es entspann sich ein nettes Gespräch, bei dem wir erfuhren, dass seine Frau und er schon seit 2015 in Südamerika unterwegs sind, das Wohnmobil (eher ein Kleinlaster mit Campingaufbau, Marke Bremach), solange sie jeweils Heimaturlaub machen, in Uruguay unterstellen und die anfängliche Überfahrt mit dem Frachtschiff kein Problem gewesen sei. Diesmal wollten sie noch bis Mitte Juni bleiben – beneidenswert!


So viel Zeit hatten wir leider nicht und so langsam mussten wir auch sehen, dass wir weiterkamen. Für ein Mittagessen im Restaurant „Muley“ gleich am Ortseingang von Chiu Chiu reichte es aber noch, wo wir nach anfangs ärgerlich langer Wartezeit von einem jungen Kellner bemerkenswert zuvorkommend bedient wurden.

Mehr als satt wälzten wir uns dann wieder ins Auto und machten uns endlich auf den Weg zum San Pedro. Zunächst folgten wir dabei aber nicht der Hauptstraße, sondern machten noch einen Abstecher in eine sehr fruchtbare, von einem Bach plus Bewässerungskanal (den „Levadas“ auf Madeira nicht unähnlich) durchflossene und intensiv landwirtschaftlich genutzte Schlucht.

Am Rio Loa

Offenbar war dieses Tal schon seit Urzeiten bewohnt: auf einem Hügel etwas oberhalb gab es ein ganzes Ruinendorf aus Prä-Inka-Zeit. (Die Inkas eroberten den Norden Chiles am Ende des 15. Jahrhunderts, Spuren von Besiedlung gibt es aber in den fruchtbaren Ecken der Atacama schon ab 12000 v. Chr.)

Auf den Felsen oberhalb des (Markt-?)Platzes
 befinden sich die Ruinen eines Dorfes aus Vor-Inka-Zeit.

Dann ging es endlos in der Weite der Wüste dahin bis es Zeit war, mal wieder Richtung El Tatio abzubiegen, auf eine Schotterstraße, der wir bis zu einer Brücke über den kleinen Bach folgten, der parallel zur Straße das Tal durchfloss. Spätestens ab hier waren unsere Informationen über die weitere Anfahrt zum Berg eher dürftig, da sie nur auf einem Video, sowie Fotos und wenigen Hinweisen in zwei Besteigungsberichten bestanden. 

Crossing the Bridge - was uns wohl auf der anderen Seite erwartet?

Nachdem wir den Bach überquert hatten, brachte uns eine teils extrem holprige, oft auch sandige Piste immer näher an den Fuß des Berges, wobei die Spur allerdings mit der Zeit immer schlechter und undeutlicher wurde. 

Wo geht's hier lang?

Doch gerade als uns langsam dämmerte, dass dies nicht die richtige Route sein konnte, stießen wir auf einen vorläufig wesentlich besseren Weg, dem wir nun folgten. Auch dessen Zustand verschlechterte sich zwar wieder, insbesondere gab es ein paar sehr steile und sandige Stellen, die Günter und das Auto aber wieder nahezu mit links meisterten. So hatten wir es bald geschafft und erreichten das Basislager für die Besteigung des San Pedro auf 4325 m, ohne einen Schritt zu Fuß gegangen zu sein!

Kleiner Mensch vor großer Landschaft - unser Basislager,
 im Hintergrund der San Pablo.

Hier schlugen wir unser Zelt auf einer der Plattformen auf, die von unseren offenbar zahlreichen Vorgängern praktischerweise schon hergerichtet und auf der Windseite mit Mäuerchen versehen worden waren. Den restlichen Nachmittag bei zunächst sehr sonnigem, mildem, nahezu windstillem Wetter verbrachte ich damit, das Reisetagebuch auf den neuesten Stand zu bringen, während Günter Fotos von der genialen Aussicht schoss.

Gleich schluckt uns wieder mal der Schatten.

Vesper gab es im Auto mit Blick auf die anderen Berge (unter anderen der sehr markante Paniri, siehe Bild oben) und den Salar im Tal.

Nach Sonnenuntergang flüchteten wir bald ins Zelt, denn gegen Abend war doch wieder ein recht garstiger Wind aufgekommen und auch Wolken verhüllten teils die Berge, „unseren“ San Pedro und seinen Nachbarn San Pablo.

Und dann versuchten wir zu schlafen, was leider mal wieder gar nicht so einfach war. Der Wind pustete gefühlte Tonnen von feinem Sand ins Zelt und reizte meine Nase, die eh schon unter der chronischen Trockenheit litt. Dann war es zunächst recht kühl, so dass ich das Bedürfnis hatte, den Schlafsack um Kopf und Hals fest zuzuziehen, aber irgendwann erwachte ich schweißgebadet und fror anschließend umso mehr… Kurz: die Nacht war lang, aber alles andere als erholsam. Günter ging es wohl ähnlich, auch wenn die Zahnschmerzen, die ihn seit dem Vortag geplagt hatten, zum Glück mit der Zeit schwächer wurden.

Nachts ist der Himmel über dem San Pedro wieder klar.

So krochen wir morgens erst weit nach Sonnenaufgang aus den Schlafsäcken und begannen gemütlich mit dem Packen unserer großen Rucksäcke, denn heute, am Karsamstag, 31.3., stand der Aufstieg in unser „ABC“ (= Advanced Base Camp) an: Im Sattel zwischen San Pedro und San Pablo auf ca. 5300 m sollte es nach unseren Informationen mindestens einen riesigen Felsen geben, der genügend Windschutz für ein Zelt bot, und diesen peilten wir für unser nächstes Nachtlager an.

11 Uhr war eigentlich unsere Zieluhrzeit, zu der wir abmarschbereit sein wollten. Doch schließlich dauerte es doch länger und ging schon stark auf 12 Uhr zu bis alles konvergierte. Aber es war allemal wichtiger, genau zu überlegen, was mit ins Hochlager sollte und musste, als ein künstliches Zeitlimit einzuhalten. Außerdem hatten wir so den Vorteil, dass wir unser Mittagessen noch beim Auto verspeisen und Knäckebrot, Käse und Wurst anschließend dableiben konnten.

Während wir da so saßen und unsere Brote knabberten, kamen doch tatsächlich zwei Wanderer vorbei, die allerdings nicht einen der beiden Berge besteigen wollten, sondern nur eine Tageswanderung bis zu einem gefrorenen Wasserfall auf ca. 5000 m vorhatten. Andererseits hatten sie bis hierher auch schon einiges an Höhenmetern und Strecke hinter sich gebracht, da sie ihr Auto lieber schon vor den tückischen sandigen Stellen der Anfahrtspiste geparkt hatten.

Auch wir brachen nun endlich auf und machten uns an den mühseligen Aufstieg mit unseren dicken Packen, in denen wir ja, weil bis zum „ABC“ nirgends mit Wasser oder Schnee zu rechnen war, zu allem anderen jeweils noch 4 Liter Wasser (plus 1l Tee für unterwegs) transportierten.

Die erste Stufe ist überwunden - Blick zurück zum Basislager.

Zunächst ging es aber überraschend gut, der Anstieg war zwar stramm, aber nirgends übertrieben steil oder rutschig. Wir suchten uns aus den verschiedenen Spuren jeweils die flachste aus, im Gegensatz zu den beiden Tageswanderern, die wir ein Stück voraus immer die steilen Hänge hochkraxeln sahen. Dabei beobachteten wir, dass der jüngere der beiden immer ein Stück weit ziemlich schnell aufstieg und sich dann wieder neben einen Stein zu Boden plumpsen ließ. – Auch eine Methode mit der Höhe klar zu kommen, die wir uns aber heute nicht leisten konnten, bei uns war langsames, gleichmäßiges Steigen angesagt.


Leider passierte auch jetzt wieder, was wir schon tags zuvor beobachtet hatten: Am späten Nachmittag bildeten sich Wolken über den Gipfeln und ein heftiger kalter Wind kam auf. So suchten wir uns für eine Rast auf etwas mehr als der halben Strecke gleich einen großen Stein als Windschutz, bei dem offenbar auch schon öfter Wanderer campiert hatten, den zurückgelassenen Wasserflaschen nach zu urteilen.

Anschließend kamen wir am Ende einer längeren Querung erst über einen kleinen Bach, der tatsächlich sogar etwas Wasser führte (!), und anschließend ging es über eine relativ steile Stufe, an der wir keinen klaren Pfad mehr erkennen konnten. Später, als wir diese Problemstelle schon mit Hängen, Würgen und Gezeter überwunden hatten (weglose Querungen an steilen oder zumindest in dem Moment von mir als steil empfundenen Hängen sind einfach immer noch nicht meins…), sahen wir von oben, dass es auf der anderen Seite des Bachs eine wesentlich überzeugender wirkende Alternative gegeben hätte.

Die Stufe war dann leider noch nicht das Ende, denn so langsam hätte es mir gereicht. Es ging noch einmal einen zum Glück wesentlich sanfteren Hang hoch bis zum eigentlichen Sattel und dann musste in der weiten Ebene noch „der Stein“ gefunden werden, was sich als schwieriger herausstellte, als gedacht. Große Felsbrocken gab es einige, aber keiner sah als Windschutz so richtig überzeugend aus. Beide waren wir langsam entkräftet und vom ständig an uns zerrenden Wind entnervt und so einigten wir uns auf einen leidlich ausreichenden Felsen, hinter dem wir unser Zelt aufbauten.

Hinter den Stein gequetscht - unser "ABC"

Zunächst dachten wir, dass die Standfläche eben genug wäre, aber da hatten wir uns sehr getäuscht: Im Lauf der Nacht kämpften wir beide mit der schiefen Ebene – ich, weil ich gefühlt am Steilhang lag und ständig auf Günter rollte, und er, weil an seinem Kopfende offenbar ein besonders ausgeprägtes Loch war. Kurzum – auch diese Nacht wurde nicht erquicklich.

Dabei waren wir anfangs beide so froh, endlich im Zelt und im Warmen zu sein. Die Suppe (wieder eine Asia-5-Minuten-Terrine, diesmal aber nur ein Pott für uns beide, was völlig ausreichte) tat gut, schmeckte und machte satt. Und der Schlafsack gab warm in den eisigen Höhen… Eisige Höhen? Tatsächlich war diese Nacht wärmer als die vorige 700m tiefer! Das Wasser gefror diesmal mitnichten im Zelt, der Wind legte sich bald komplett und ich hatte die halbe Nacht eher mit „zu warm“ zu kämpfen, da ich natürlich auch für nachts lauter warme Sachen mitgenommen hatte.

Der Morgen kam dann viel zu schnell und leider gerade, als ich dem Gefühl nach zum ersten Mal wirklich fest eigeschlafen war… Aber da half nun nichts, denn dieser Ostersonntag (1.4.) sollte ja unser Gipfeltag sein. Jetzt bei Tagesanbruch um 7.30 Uhr war es daher schon allerhöchste Zeit (oder, wie Günter bald meinte, eigentlich schon 2h zu spät), sich fertig zu machen und aufzubrechen. Die Innenschuhe der Bergstiefel und praktisch alles an Kleidung für den Tag hatten unnötigerweise über Nacht mit im Schlafsack gesteckt, da wir ja von bitterer Kälte ausgegangen waren. Geschadet hatte es, abgesehen von der Komforteinbuße, aber auch nicht. Zusätzlich zu den üblichen Verrichtungen wollten die am Cordon del Tatio gelaufenen Blasen noch verpflastert und getapt werden und so wurde es schließlich 8.20 Uhr bis wir abmarschbereit waren.

Trotz relativ leichtem Rucksack (außer ein paar Klamotten enthielt er nur 1l Wasser und die Steigeisen plus der außen befestigte Pickel, falls Richtung Gipfel tatsächlich Schneefelder zu queren wären) fiel mir der Aufstieg von Anfang an schwer.

Erst mal durchschnaufen...

Nach einiger Zeit kam ich dann aber doch in einen einigermaßen gleichmäßigen Trott, da auch die Spur, der wie folgten, in eher gemächlicher Steigung über einen Schotterhang querte.

Etwa nach einer Stunde machten wir jeweils eine bitter nötige Pause, vor allem um uns auszuruhen und zu trinken, selten auch was zu essen. Von den eigentlich eingeplanten Müsli- und Schokoriegeln war die Hälfte versehentlich im Zelt geblieben, aber letztlich war unser Appetit so viel kleiner als gedacht, dass wir sogar davon noch welche zurück brachten. Jedes Mal stellte Günter per GPS fest, wie hoch wir inzwischen gekommen waren, und nachdem wir anfangs noch 200 Hm pro Stunde geschafft hatten, pendelte es sich bald auf 150 Hm ein. 

Schließlich wurde der Hang, den wir querten immer steiler und die bis jetzt deutliche Spur verschwand, wo vor noch nicht allzu langer Zeit Wasser in einer Rinne abgeflossen sein musste. Wir entschieden uns nach kurzer Diskussion dafür, in einem mit Felsen durchsetzten Hang weiter aufzusteigen, was ich ungleich mühsamer fand, da ich nun nicht mehr stur und gleichmäßig vor mich hin marschieren konnte, sondern mir einen Weg über die Felsen suchen und ganz unterschiedlich hohe Stufen überwinden musste. So blieb ich bald immer öfter stehen, um Atem zu holen, ehe ich bereit war, die nächsten paar Stufen zu überwinden.

Von hier oben wird erkennbar, dass der Sattel
zwischen Pedro und Pablo in Wirklichkeit ein Krater ist.

Noch ein paar Worte zu Wetter und Temperaturen: Wieder war es morgens ein strahlender, klarer Tag mit zunächst kaum Wind. Losgegangen waren wir beide mit unseren dicksten Daunenjacken, aber während Günter seine anbehielt (die vermutlich auch nicht ganz so warm ist wie meine), wurde mir schon ganz am Anfang zu warm und ich wechselte zu Fleecepulli und Goretexjacke, was ziemlich lang völlig ausreichte (zusammen mit Stirnband, Buff und Skihandschuhen). Erst im oberen Drittel des Berges, als sich auch schon wieder die ersten mittäglichen Quellwolken bildeten und der übliche garstige Wind aufkam, brauchte ich dann wieder die Daunenjacke.

Dieses oberste Drittel bis zum Vor- und dann vollends zum glücklicherweise nicht mehr weit entfernten Hauptgipfel schaffte mich so gründlich, dass ich auch Günters an sich harmlosen Witz, dies sei wohl wieder nur der nächste Vorgipfel, überhaupt nicht mehr lustig finden konnte…

Das Ziel ist nah - am Vorgipfel.

Aber dann war es doch geschafft und wir standen gegen 14.30 Uhr auf 6145 m am Gipfel des San Pedro!

Geschafft! - Freude über den Gipfelerfolg

Bei mir überwog erst mal die Erleichterung, es einfach nur geschafft zu haben und nicht mehr weiter aufsteigen zu müssen. Erst nach und nach konnte so etwas wie Freude aufkommen und konnte ich auch die herrliche Aussicht würdigen.

Geschafft! - Im Sitzen lässt sich die Aussicht am besten genießen.

Etwa ein halbe Stunde rasteten wir auf unserem ersten Sechstausender auf dieser Reise, der nebenbei bemerkt, ebenfalls zu den noch aktiven Vulkanen zu zählen ist, da es aus einem Nebenkrater intensiv schweflig rauchte.

Aussicht Richtung Bolivien

Auf der anderen Seite des Gipfels liegt reichlich Schnee,
 rechts der rauchende Nebenkrater

Dann machten wir uns an den Abstieg, wobei wir nur anfangs in etwa auf unserer Aufstiegsroute über die Felsen abkletterten und bald den Einstieg in den direkt auf unseren Übernachtungsplatz zu laufenden, schier endlosen Schotterhang suchten und fanden. Über diesen schlitterten und rutschten wir in nur wenig mehr als anderthalb Stunden hinab, wofür wir im Aufstieg über sechs quälende Stunden gebraucht hatten.

Da wir also deutlich früher als gedacht zurück am Zelt waren, wo mittlerweile wieder mindestens genauso hässliches Wetter herrschte wie tags zuvor beim Aufbauen, beschlossen wir, zum Aufwärmen und für den weiteren Abstieg noch eine Kanne Tee zu kochen. Dann hieß es die übrigen Sachen und das Zelt einpacken und der zweite Teil des Abstiegs folgte. 


Auch jetzt nahmen wir die jeweils gut abfahrbaren, meist steileren Pfade und erreichten recht flott das Auto. Die Füße, die in der Zwischenzeit immer mal wieder neu getapt worden waren, machten es ganz gut mit. Nur mein Kreuz tat gegen Ende zunehmend weh, so dass ich das Auto wieder mal eher kriechend erreichte…

Steigeisen hatten wir im übrigen auch diesmal wieder nicht gebraucht, da das Schneefeld, das wir schon vom Tal aus gesehen hatten, nicht auf unserer Aufstiegsroute lag. So waren die dicken Bergstiefel höchstens unter dem Wärmeaspekt sinnvoll gewesen.

Gleich zurück beim Pickup -
und schon wieder lauert der nächtliche Schatten.

Immerhin war es entgegen allen düsteren Prognosen noch hell als wir abfahrbereit waren (ca. 19 Uhr) und erst nachdem wir die schwierige Sand- und Schotterpiste schon hinter uns gelassen hatten und auf der zwar auch nur geschotterten, aber wesentlich besseren Straße im Tal unterwegs waren, nachtete es vollends ein.

In Rekordzeit (< 1h) ging es dann zurück nach Chiu Chiu und in Rekordzeit bezogen wir unser neues, altes Zimmer und duschten, damit wir noch eine kleine Chance hätten, im Dorf etwas zu essen zu bekommen. Tatsächlich ließ man uns schon beim zweiten Restaurant, das wir ausprobierten, dem „Talatur“, noch hinein und bewirtete uns, obwohl offensichtlich alles schon für den Feierabend aufgeräumt war und keiner mehr ernsthaft mit Gästen gerechnet hatte. Um 22 Uhr wollte man schließen, 21.30 Uhr kamen wir an und um 22.05 Uhr waren wir fix und fertig und hatten gezahlt – noch ein Rekord! Das Essen war ok und wir anschließend, nach dem ansonsten recht hungrigen Tag, wieder pappsatt – Ziel erreicht! 

So konnten wir zurück im Hotel endlich ins wohl verdiente Bett fallen und eine ruhige Nacht mit viel Schlaf genießen.


Ans Meer


Nach der entspannten Nacht und einem gemütlichen Frühstück packten wir ebenso geruhsam unsere Sachen, wurden den angesammelten Müll los und zuletzt ergab sich sogar noch ein kurzes nettes Gespräch mit der jungen Hauswirtin, bei dem ich erfuhr, dass ihr Töchterchen zu Hause zur Welt kam und damit seit 14 Jahren das erste Kind war, das in Chiu Chiu selbst geboren wurde. Günter hatte sie zuvor erzählt, dass sie selbst schon einmal zwei Wochen mit dem Rad in Bolivien unterwegs gewesen war, und Tipps für ein lohnenswertes Ziel auf unserer weiteren Route mit auf den Weg gegeben.

Abschied von Chiu Chiu und von Pedro und Pablo.

Um ca. 11 Uhr waren wir schließlich startklar und machten uns auf die lange Fahrt zurück an die Küste. Bei Calama schloss sich dabei ein erster Kreis, als wir die Abzweigung nach San Pedro passierten.

Ab da ging es zunächst auf gleicher öder Wüstenstrecke zurück nach Antofagasta, was mir die Möglichkeit bietet, hier noch auf ein sehr spezielles Phänomen entlang der chilenischen Straßen einzugehen, das gerade dort besonders ausgeprägt war: die vielen, vielen oft aufwendig gestalteten Gedenkstätten für Verkehrstote.

Ganz vereinzelt sah man auch einfache blumengeschmückte Kreuze, wie sie bei uns daheim zu finden sind, aber der „Normalfall“ waren hier eher hundehütten- bis kapellengroße Häuschen, teils sogar mit einem Gärtchen drum herum, das in der Wüste (!) am Leben zu erhalten eine echte Aufgabe sein musste. Oft gab es noch einen schattenspendenden Baldachin über dem ganzen, Bänkchen, Sofas, sogar eine Hollywoodschaukel habe ich gesichtet, und nahezu allgegenwärtig: die Nationalflagge.

Manche dieser „Schreine“ waren sehr kreativ ausstaffiert, manche auch eher makaber mit Teilen von oder dem kompletten Unfallauto „geschmückt“. Und dies sind nur die Eindrücke, die sich mir im flotten Vorbeifahren einprägten. Wenn man sich die Zeit nähme, den einen oder anderen davon genauer zu inspizieren, könnte man sicher noch viel mehr entdecken.

Besonders traurig stimmte dabei (abgesehen davon, dass die schiere Menge auf sehr viele tödliche Unfälle schließen ließ) der Anblick der Stätten, die keiner mehr pflegen mochte oder konnte und die in einem mehr oder weniger desolaten Zustand des Zerfalls waren.

Nicht das allerschönste Beispiel für eine Gedenkstätte, da es an
der Hauptroute der Panamericana eher schwierig war anzuhalten.

Kurz vor Antofagasta bogen wir diesmal Richtung Süden ab und hatten eigentlich geplant, gleich im Anschluss zu tanken und essen zu gehen, wo sich, wie wir dachten, eine kleine Ortschaft befand. Leider zeigte sich nun, dass dies so ungefähr das hässlichste Industriekonglomerat seit dem Ruhrpott Mitte des 20. Jahrhunderts war. Tanken war kein Problem, aber mit einem ordentlichen Restaurant sah es mau aus. So ließen wir uns schließlich darauf ein, in einem der Schuppen einzukehren, die als Fernfahrerkneipen den Straßenrand säumten, wofür wir extra sogar noch einmal umgekehrt waren, da Google uns hier ein empfehlenswertes „Restaurant“ anzeigte. 

Mittagessen im Container

Das Essen war dann im Rahmen des unter diesen Umständen zu Erwartenden ok, aber der Zustand des Geschirrs machte uns ziemliche Sorgen. Doch wir hatten Glück und gravierende Folgen blieben aus.

Als wir danach wieder unterwegs waren, stellten wir zu unserem Bedauern fest, dass hier nach wenigen Kilometern ein „richtiges“ Restaurant gekommen wäre, das uns Google leider nicht angezeigt hatte…

Noch einige Kilometer weiter bogen wir von der Hauptroute der Panamericana nach Westen Richtung Küste ab. Bei der folgenden recht einsamen Querung passierten wir den Abzweig zur Europäischen Südsternwarte (ESO) El Paranal und aus einer Laune heraus bogen wir ab, um zumindest mal einen Blick auf die Kuppeln zu werfen, die die Teleskope beherbergen. Eine sehr gute Straße führte dort hinauf und bald kam die ganze Kuppelansammlung sowie die Wohnquartiere der Astromomen in Sicht – bei Tag an sich wenig eindrucksvoll, aber abends, wenn zwar nicht die Teleskope als solche, aber der hier besonders klare Nachthimmel seinen großen Auftritt hätte, wollten wir ja schon am Meer sein.

El Paranal

Auf den Weiterweg wurde bald das zunehmende Gefälle deutlich spürbar und die bis dahin über weite Strecken schnurgerade Straße wand sich in Serpentinen hinab zum Meer. Auch der Verkehr verdichtete sich merklich, vermutlich vor allem weil die Laster sich durch ihr Kriechtempo hier stauten.

Das Fischerdorf Paposo, bei dem die Route das Meer erreichte, machte einen eher trostlosen Eindruck. Aber wir wollten ja sowieso noch ein Stück die Küste entlang nach Süden fahren, um dort an einem möglichst lauschigen Strand zu zelten… 

Ja, so hatten wir uns das ausgemalt und iOverlander wies auch diverse Stellplätze aus, aber bei jedem, den wir ansteuerten, mussten wir feststellen, dass die Strände hier offenbar vorzugsweise als Müllkippe genutzt wurden. Oder aber (wahrscheinlich) im Sommer in der Urlaubszeit tobte hier die Party und die Hinterlassenschaften wurden, abseits bestimmter Gemeinden, die Wert auf Sauberkeit legten (die gab es auch, wie wir später feststellten!), von niemandem weggeräumt. Ein weiteres Problem: nahezu in jeder Bucht stand eine Hütte oder ein Zelt, wo offenbar jemand wohnte und oftmals Hunde frei herumliefen.

Nach längerem Suchen und schon fast bei Sonnenuntergang entdeckten wir doch noch ein leidlich sauberes Fleckchen für unser Zelt – zwar nicht direkt am Strand, aber mit Meerblick und umgeben von dekorativen Kakteen. 


Hier vesperten wir auf der Ladeklappe und sahen der Sonne beim Untergehen zu, und so warm war es, dass wir auch anschließend noch eine ganze Weile in kurzen Hosen sitzen bleiben konnten.


Das Aufräumkommando ist nach dem Vesper
schnell zur Stelle: Großohrenmaus (Auliscomys boliviensis).

Am Dienstag, 3.4.,erwachten wir nach ruhiger, milder, aber durch die Nähe zum Meer auch recht feuchter Nacht zu einem herrlichen Morgen. 

Morgendunst am Meer

Frühstück gab es wieder auf der Ladeklappe, danach ging Günter erst mal auf die Geierpirsch. Auf einem Felsen in der Nähe hatte sich ein Exemplar der, wie wir später feststellten, hier an der Küste sehr häufigen Truthahngeier niedergelassen und seine beeindruckenden Schwingen zum Trocknen oder Aufwärmen aufgespannt.


Nachdem wir zusammengepackt hatten, drehten wir noch eine kurze Runde über die Felsen, wobei die Vögel aber leider gerade entweder ausgeflogen oder eher inaktiv waren, nur ein paar Pelikane saßen müde herum.

Statt der Vögel gab es Echsen (Liolaemidae) ...

... und Kakteen (Copiapoa columna alba) zu bewundern.

Dann ging es weiter an der Küste entlang nach Süden und später erst auf der Panamericana Richtung Copiapó, ehe wir noch einen Schlenker durch den Nationalpark „Pan de Azucar“ machten, der wirklich gigantische weiße und total aufgeräumte Strände bot. Hier wollten wir auf der Rückfahrt auf jeden Fall noch einmal Station machen.

Neben den Stränden und der "Zuckerbrot"-Insel ...

... sind hier auch die durch unterschiedliche Mineralien
 bunt gefärbten Hügel sehenswert.

Nach einem ordentlichen Mittagessen im Restaurant „Quechua“ im Ortszentrum von Chañaral erreichten wir nachmittags schließlich die Stadt Copiapó, die Hauptstadt der Region Atacama. Diese liegt in einem weiten, offenbar sehr fruchtbaren und intensiv landwirtschaftlich genutzten Flusstal ca. 60 Kilometer landeinwärts von der Küste und auf ungefähr 400 m Höhe.

Noch vor der eigentlichen Stadt befand sich, ziemlich versteckt zwischen Feldern und unter Bäumen, das Hotel „Wara“, unsere mit Abstand luxuriöseste Unterkunft in Chile. Unser „Zimmer“ bestand aus zwei Rundhütten mit eigenem Garten und Terrasse und hatte auch sonst alle erdenklichen Annehmlichkeiten. Abends gönnten wir uns im hoteleigenen Restaurant ein mehrgängiges Mahl, das direkt am Pool serviert wurde. 

Kurzum: wir ließen es uns noch einmal so richtig gut gehen, denn nach dieser letzten Nacht im Luxusdomizil stand der zweite Teil unseres Bergsteigerprogramms unmittelbar bevor. In den nächsten 7 Tagen wollten wir versuchen, zwei weitere 6000er zu besteigen, den San Francisco (6018 m) und schließlich als Höhepunkt den Ojos del Salado (6893 m).

Doch zunächst mussten dafür noch unsere Vorräte an Wasser und Essen ergänzt werden, da Copiapó hierzu die letzte Gelegenheit bot. Überhaupt wartete jenseits von dieser Stadt die absolute Wildnis auf uns. Selbst der Diesel musste von jetzt an reichen bis wir am 11.4. hoffentlich heil und ganz wieder hier eintreffen würden, um uns noch einmal im Hotel Wara von den dann überstandenen Strapazen zu erholen.