Dienstag, 5. Januar 2021

Schweden im Herbst 2020 - Teil II

 Text: Eva Irmler
 Fotos: Günter Schmidt


Sånfjäll



Sonntag, 20. 9.

Gegen Morgen zogen Wolken auf und es begann tatsächlich zu tauen. Kalt genug war es für unser Gefühl trotzdem noch, weshalb wir das Aufstehen bis nach 8 Uhr verschoben, und selbst dann wurde es beim Frühstück im Camper nicht wirklich gemütlich. Erst als wir uns ans Spülen machen wollten, bemerkten wir, dass es neben der Küche einen großen beheizten Aufenthaltsraum gegeben hätte, in dem es mollig warm war. - Schade, aber wenigstens konnten wir das üppig sprudelnde Warmwasser noch für unser Geschirr nutzen und Günter sich unter der Dusche aufwärmen. 

Vor der Weiterfahrt füllten wir noch reichlich Wasser ab, da unser bei Kiel gekauftes Mineralwasser so langsam zur Neige ging und auch der mit Münchner Leitungswasser befüllte 20-Liter-Kanister bereits halb leer war.

Danach ging es in einer guten Stunde zum Sånfjälls Nationalpark, der die größte Bärenpopulation Schwedens beherbergen soll – oder, laut dem Flyer, den wir am Parkplatz mitnahmen, immerhin eine „gesunde und lebensfähige“ Population. Gezeigt hat sich uns freilich keines der Tiere, das wäre schon ein seltenes Glück gewesen, stattdessen konnten wir hier noch eine Steigerung der tollen Herbstfarben vom Vortag bewundern und das, obwohl es fast durchgehend bedeckt war. 


Herbstfarbenspiel am Sånfjäll

Die Aussicht von unserem anscheinend namenlosen und sturmumtosten Gipfel, den wir nach etwa einstündigem, schweißtreibendem Aufstieg erklommen hatten, war auch nicht zu verachten. Mir gefiel es hier insgesamt wesentlich besser als im Fulufjäll, da die Landschaft viel stärker gegliedert war in verschiedene „echte“ Gipfel mit deutlichen Taleinschnitten dazwischen. Und in der Ferne konnte man andere, noch höhere Berge zwischen den Wolken erspähen, die teils sogar schon Schneeflecken trugen.


Am Gipfel


Weitblick unter tiefhängenden Wolken

Zu Anfang der Wanderung waren wir noch von einigen Sonntagsausflüglern umgeben, wenn auch längst nicht so vielen wie tags zuvor, und auch hier war der – viel kleinere – Parkplatz bei der „Alm Nyvallen“ gut belegt. Später, nachdem wir weitere Gipfelmöglichkeiten links liegen gelassen hatten und lieber wieder ein Stück Richtung Sododalen abgestiegen waren, erst weglos über Felsblöcke und Schotter, dann einem Rundwanderweg um das Valmfjäll folgend, begegnete uns keine Menschenseele mehr.


Die Wanderer verlieren sich schnell in den Weiten des Fjälls.


Kaum zu glauben, dass sich wenige Höhenmeter unterhalb diese Steinwüste
 fast übergangslos in herbstfarbenfrohe Heidelandschaft verwandelte.




Für den Rückweg querten wir zu einem anderen offiziell markierten Weg, wobei sich die Pfadspur entlang eines Bächleins gelegentlich praktisch völlig im Blaubeer- und sonstigen Heidegestrüpp verlor. Doch dank GPS und Locus Maps trafen wir schließlich doch auf den rechten Weg, der uns erst zu einem halbwegs windgeschützten Plätzchen für unser Mittagsvesper inmitten der überwältigend bunten Heide und dann wieder zurück zum Ausgangspunkt brachte.


Die Farben ...



werden ...


immer surrealer.


Das Dach hatten wir auch heute auf dem Parkplatz morgens aufgeklappt, da es bei der Abfahrt in Lofsdalen immer noch ziemlich nass gewesen war. Nun war es trotz wenig bis gar keiner Sonne nahezu trocken. Ehe wir den nur 16 km vom Parkeingang an der Nyvallen-Alm entfernten Campingplatz „Sånfjällscampen“ ansteuerten, fuhren wir noch ein paar Kilometer weiter zum Essen nach Hede in ein Restaurant mit orientalisch angehauchter Küche (Restaurang Norran).


(Fast) spiegelglatter See an der Straße nach Hede


Unsere Bestellung wurde auch hier wieder direkt an der Bar aufgenommen, was leider wie immer bedeutete, dass es schnell gehen sollte, d.h. wenig Zeit blieb, die schwedische Speisekarte zu entziffern und in Ruhe etwas auszuwählen. Günter entschied sich für „Planksteak“ und bekam Schweinemedaillons mit kunstvoll drapiertem Kartoffelbrei aufgetischt. Als weitere Beilagen waren immerhin eine grüne Spargelstange, die in eine Speckscheibe gewickelt war (um zu verbergen, dass es sich um Gemüse handelte?), und eine halbe mit Käse überbackene Tomate dabei. 

Mein Kebab bestand leider aus Dönerfleisch der übelsten Sorte. Nicht, dass es schlecht geschmeckt hätte, es war sehr intensiv und mit viel Kreuzkümmel gewürzt, aber die gummiartige Konsistenz der hauchdünnen Scheibchen hatte halt so gar nichts mit Fleisch gemein. Ansonsten waren die Pommes sehr gut und das wenige Grünzeug (schwedisch:„Grönsaker“) bestand aus sehr frischem Salat, Gurke, Tomaten - und jeder Menge rohen Zwiebeln …

Satt wurden wir sowieso und nach einem Tankstopp schräg gegenüber vom Restaurant fanden wir auf dem Campingplatz schnell einen hübschen Stellplatz am See.


Sånfjällscampen


Dann noch eine Dusche und anschließend stand einer ruhigen Nacht wenig im Weg, die hoffentlich mal wieder etwas angenehmere Temperaturen bereithalten würde. Der Regen, der sich im Lauf des Tages gelegentlich abzuzeichnen schien, hatte uns bis jetzt verschont. Blieb abzuwarten, wie lange unser Glück noch anhalten würde, denn in den kommenden Tagen sollte sich das Wetter laut Vorhersage verschlechtern – vor allem im hohen Norden, dem wir uns im Zickzack entgegen hangelten.

Anfangs hätten wir nicht gedacht, dass wir so schnell vorankommen würden, doch mittlerweile schien es uns durchaus realistisch, den Sarek Nationalpark als nördlichsten Punkt anzupeilen. Eventuell könnten wir anschließend sogar über Finnland wieder nach Süden reisen und von Helsinki nach Travemünde per Fähre übersetzen, denn die Einreise aus Schweden (und diversen anderen Ländern, auch aus Deutschland) war offenbar seit kurzem wieder ohne Probleme möglich.


Montag, 21. 9.

Beim Frühstück am nächsten Morgen nach endlich mal wieder angenehm warmer Nacht – relativ zu den letzten jedenfalls – beschlossen wir, doch nicht gleich Richtung Meer weiterzufahren, wie wir es zunächst geplant hatten. Stattdessen wollten wir den Bären rund ums Sånfjäll noch eine zweite Chance geben, sich uns zu zeigen. – Na ja, so richtig glaubte ich zwar nicht daran, aber weiß man‘s?

Jedenfalls steuerten wir dann den Parkeingang bei Valmen an, wo wir an diesem Montag mit mäßigem Wetter die einzigen Besucher waren. Sowieso schien dies ein eher unbedeutender Zugang zu sein, da es nur einen recht übersichtlichen Parkplatz gab. Von hier schlugen wir einen Wanderweg nach Süden durch mal lichteren, mal dichteren Wald ein, der auch nicht der aller ausgetretenste sein konnte, da des Öfteren Baumhindernisse zu überwinden waren und der Weiterweg nicht immer offensichtlich.


Wo versteckt sich denn nun der Bär ...?


Bis zur Umkehr hatten wir uns eine Frist von etwa einer Stunde gesetzt, da wir in dieser Zeit dann längst nicht so weit gekommen waren wie gehofft, hängten wir aber noch was dran. So stiefelten wir eine weitere halbe Stunde bergauf und querten noch einen Bachlauf, ehe wir es gut sein ließen und auf dem weichen Moos- und Flechtenpolster am Weg rasteten.



Danach ging’s auf selber Strecke zurück, doch leider wollten auch jetzt weder Bär noch Elch sich sehen lassen. Eine junge Schwedin, die uns auf dem Rückweg begegnete, meinte, sie hätte in der Gegend um die Alm Nyvallen Bärenspuren gesehen, hier jedoch nicht.

Wir rätselten zwar noch über die eine oder andere „Losung“ am Weg oder ob die Kerben am Fuß mancher Stämme vielleicht von einem Bär oder doch eher (wahrscheinlich) von einem Specht stammten, doch ansonsten mussten wir einsehen, dass uns heute wohl kein Tierbeobachtungsglück beschieden sein würde. Abgesehen davon war es aber eine durchaus lohnenswerte Wanderung durch sehr schöne, alte und schon lange der Natur überlassene Wald- und Heidelandschaft.



Bei unserer Rückkehr zum Auto war es schon nach 14 Uhr und uns dämmerte so langsam, dass wir es wohl nicht mehr bis ans Meer schaffen würden. Unterwegs wollten wir unbedingt noch einkaufen und möglichst essen gehen und, da schon die pure Fahrzeit zu dem Campingplatz am Meer, den Günter anvisiert hatte, fast 4 Stunden betrug, wäre es bis zu unserer Ankunft dort arg spät geworden.

Vielleicht wäre die Rechnung ja noch aufgegangen, wenn alles ohne Umstände und Umwege geklappt hätte. Doch wir fuhren leider an der ersten Einkehrmöglichkeit vorbei, im Glauben, dass wir ein paar Kilometer weiter was Besseres bei Google entdeckt hätten. Dieses „Restaurang“ bei einem Golfresort in der Pampa war dann aber leider gerade nur an den Wochenenden geöffnet. Auch bei der nächsten Adresse, die wir ansteuerten, hatten wir kein Glück: Das Kafé an einem See hatte montags geschlossen … 

Weil es mittlerweile schon nach 16 Uhr war und die Mägen entsprechend lang, vesperten wir am See unser restliches Brot mit Käse und Speck und ließen uns dann zu einem Supermarkt lotsen. In Ånge, einer größeren Ortschaft am Weg, erledigten wir in einem großen ICA unsere Einkäufe. So waren wir wieder bestens ausgerüstet, sogar an Batterien für meine arg funzlig gewordene Stirnlampe hatten wir gedacht. Einzig (Sprudel-) Wasser gab es keins zu kaufen und Gas für unseren Kocher konnten wir auch nicht entdecken.

Nächster Programmpunkt: essen gehen! Nochmal gut eine Stunde weiter sollte es eine Pizzeria geben, an die wir beide bis kurz vor unserer Ankunft kaum glauben mochten. Doch siehe da, integriert in das Gemeindezentrum (Folketshus) der kleinen Ortschaft Ljungaverk war eine veritable Pizzeria (Viking Ala Carte Pizzeria). Wie anscheinend in Schweden üblich, zwar auch eher ein Takeaway mit ein paar Tischen, doch die Pizza, die wir nach recht langer Wartezeit serviert bekamen (offenbar hatten wir um kurz nach sechs just das Ende der Rushour erwischt), war um Längen besser als die letzte ein paar Tage zuvor.

Durch die Warterei dauerte unser Restaurantbesuch eine gute Stunde und so erreichten wir den recht abgelegenen Jannesland Camping erst mit Einbruch der Dunkelheit. Bis auf ein Wohnwagengespann, das offenbar ebenfalls Deutschen gehörte, waren wir die einzigen Gäste. Der Sanitärbereich war ziemlich neu eingerichtet im ehemaligen Stall des Bauernhauses, das die Rezeption beherbergte. Und man konnte sich zwar fragen, ob es sinnvoll war, für Frauen und Männer je 1 Toilette und 2 Duschen einzubauen und sich die Heizung zu sparen, doch an diesem Abend war es mit 16°C zum Glück recht warm und bei der aktuellen Belegung die beiden WCs auch völlig ausreichend.


Jannesland



Höga Kusten



Dienstag, 22. 9.

Nach einer absolut ruhigen und erstaunlich warmen Nacht, die anfangs nur ein paarmal durch das Geheul von – vermutlich – Schlittenhunden unterbrochen wurde, stellte ich mich morgens gleich mal unter die Dusche. Leider war dies aber nicht das entspannte Erlebnis, das ich mir gewünscht hätte, denn erstens war es im Sanitärbereich jetzt doch recht kühl und zweitens kam aus der Dusche nach dem ersten echt heißen Schwall nur noch so einigermaßen warmes Wasser und das noch dazu mit eher wenig Druck aus einem Duschkopf, der in ca. 2,50 m Höhe an die Wand geschraubt war. Zudem handelte es sich wieder einmal um eine „Drücker“- Dusche, bei der alle paar Sekunden das Wasser aufhörte zu laufen … Gut, so kennt man das leider von vielen Campingplätzen dieser Welt. Ich frage mich dann immer, ob die Leute, die diese Konstruktionen ersonnen oder eingebaut haben, sie auch mal am eigenen Leib ausprobiert haben, insbesondere an einem kühlen bis kalten Tag.

Nach dem Frühstück ging es für uns nun endlich bis zur Küste, die wir bei der Hafenstadt Härnösand erreichten. Anschließend rollten wir an dieser entlang nach Norden, über die „Högakustenbron“, eine Hängebrücke, die das Delta des Ångermanälven überspannt, und schließlich bis zum Südeingang des Skuleskogen Nationalparks. 



Dieser schützt einen Teil der „Höga Kusten“, eines Küstengebirges, das erst nach Ende der letzten Eiszeit durch die stärkste Landhebung der Welt entstanden ist. Seit dem Abschmelzen der mehrere Kilometer dicken Eisschicht hat sich die Küste hier um 285 m gehoben, momentan kommen jährlich noch weitere 8 mm dazu.

Am Nationalpark angelangt, war es schon höchste Zeit fürs Mittagsvesper, das wir wegen des recht kalten Windes, der draußen über den Parkplatz zog, lieber im Campingmobil verspeisten. Frisch gestärkt ging es dann auf eine große Wanderrunde, die uns erst entlang des Weitwanderwegs „Högakustenleden“ durch Wald und Moor führte, dann vorbei an ehemaligen Geröllstränden, die infolge der Landhebung bis zu 150 m über dem heutigen Meeresniveau zu finden sind, und schließlich auf den Slåttdalsberget, einen Granithügel, an dem man beim Aufstieg sogar etwas kraxeln musste.


An der Küste dominieren im Wald noch Grüntöne.


Am "Strand"


Moorgebiet - und wieder ohne Elch ...


Auf dem Slåttdalsberget

Von hier genossen wir bei einer Rast die Aussicht aufs Meer und den Wald und diverse Seen unter uns, ehe wir durch die imposante Schlucht Slåttdalsskrevan zunächst zu eben diesen Seen hinabstiegen. Im weiteren Verlauf ging’s dann bis ans Meer, wobei der Weg anfangs ziemlich steil und felsig, später zwar flacher aber immer undeutlicher durch Wald führte.


Weiter Blick von oben - Slåttdalsberget


Tief in der Schlucht - Slåttdalsskrevan


Steil geht's zum Meer hinab.


Irgendwo müssen wir hier eine falsche Abzweigung genommen haben, jedenfalls wurde der Weg immer abenteuerlicher und die Markierungen wurden immer blasser bis sie ganz aufhörten. Günter vermutete, dass wir eine alte Variante des Wegs erwischt hatten, die nicht mehr aktiv in Stand gehalten wurde. Und so war es wohl auch, denn wir kamen bald auf den Weg entlang der Küste, der uns zurück zum Auto bringen sollte, und wenig später trafen wir auf die Einmündung des offiziellen Wanderwegs.

Am Meer legten wir noch eine zweite Rast ein, dann nahmen wir endgültig den Rückweg in Angriff, der sich leider als recht länglich erwies. Eine vielköpfige Wandergruppe mit extrem voluminösem und schwer wirkendem Gepäck zog hier nach und nach an uns vorbei. Die letzte in der Gruppe war zu alledem auch noch barfuß unterwegs … 

Am Strand von Kälsviken befindet sich einer der offiziellen Übernachtungsplätze im Nationalpark und von entsprechend vielen Högakustenleden-Wanderern war er jetzt gegen Abend belagert. Hier hatten wir das Ende unserer Tour schon nahezu erreicht und ein kurzer rollstuhltauglicher Weg brachte uns zurück zum Parkplatz. 


Spüldienst am Strand von Kälsviken

Blieben noch die Probleme Essen und Übernachten, die heute auch wieder nicht einfach zu lösen waren. Wegen des Essens fuhren wir erst nach Süden, nur um zweimal hintereinander vor verschlossenen Türen im einsetzenden Regen zu stehen. So düsten wir wohl oder übel anschließend 20 Minuten nach Norden bis nach Bjästa, wo es im „Charlie Chaplin Pizzeria und Restaurang“ unter arabischer Leitung mexikanisches Essen gab. Zu Tacos und Enchiladas mit Huhn durften wir uns zusätzlich am Salatbuffet bedienen, was den ansonsten auch hier vorherrschenden Mangel an Grünzeug etwas kompensierte.

Beim Essen entschieden wir uns dann, die Nacht auf dem Parkplatz am Westeingang des Nationalparks zu verbringen, weil dieser von Bjästa aus näher lag und zudem der Campingplatz (eher ein Wohnmobilstellplatz) am Südeingang nicht sehr einladend gewirkt hatte.


Mittwoch, 23. 9.

Die Nacht auf dem Parkplatz, wo außer uns noch die Bewohner eines VW-Busses mit Stuttgarter Kennzeichen, sowie ein älteres, vermutlich schwedisches Paar mit Hund im Wohnmobil nächtigten, war sehr ruhig, angenehm warm und der Regen vom Abend hörte glücklicherweise bald wieder auf. Auch morgens kamen erst mal keine Autos oder Wanderer vorbei, so dass wir bis 7 Uhr ungestört durchschlafen konnten.

Nach dem Frühstück packten wir dann schnell unsere Rucksäcke und begaben uns in den Park, in der Hoffnung, vielleicht das eine oder andere Wildtier zu überraschen, das so früh am Tag noch nicht mit Besuchern gerechnet hatte.

Zunächst ging es zu einem Aussichtspunkt über diesen Teil des Parks, seine Wälder, Hügel, Moorflächen und auch ein idyllischer See war von oben zu bewundern. Anschließend wanderten wir zu letzterem hinab, dem Långtjärnen, wo wir zur Lillruten-Hütte abzweigten.


Guten Morgen, Skuleskogen!


Auf Bohlenpfaden durch den Wald

Schachtelhalme


Die Übernachtungshütten in den schwedischen Nationalparks waren in diesem Sommer zwar grundsätzlich geöffnet, überall hingen aber Zettel aus, die ihre Benutzung nur für den Notfall empfahlen. Und selbstverständlich sollten keinesfalls mehrere Leute aus verschiedenen Gruppen gemeinsam darin nächtigen.

Übernachten war für uns hier zwar sowieso kein Thema, doch im Faltplan des Parks war von der Hütte aus ein nicht markierter Pfad eingezeichnet, der unsere Wanderung zu einer Runde ergänzt hätte. Trotz mehrerer Versuche gelang es uns jedoch nicht, den richtigen Weg zu finden, dabei gab es ganz am Anfang sogar noch ein Hinweisschild! Entweder wir versackten im Sumpf oder wir kamen zu weit nach Norden, was wir auch probierten, irgendwann mussten wir jedes Mal umkehren.

So trotteten wir zuletzt wohl oder übel auf gleichem Weg zurück zum See und wanderten anschließend auf dem gut markierten und ausgetretenen, aber teils auch recht aufgeweichten Pfad zum Skrattabborrtjärnen, einem weiteren See, an dem wir dann auf einer improvisierten Bank eine längere Rast einlegten.


Am Skrattabborrtjärnen


Wo die Wege nicht mit Bohlen versehen sind, wird es eher holprig.

War bei unserer Ankunft am See noch ungetrübt blauer Himmel gewesen, so zogen später innerhalb weniger Minuten Wolken auf. Bald war die Sonne hinter dichtem Grau verschwunden und es wurde deutlich kühler, so dass wir gerne unsere Rast beendeten und den Rückweg antraten. 

Trotz unseres frühen Starts und obwohl wir über weite Strecken mutterseelenallein blieben (erst beim Rückweg so gegen 11 oder halb 12 kamen uns vermehrt andere Wanderer entgegen), konnten wir leider auch heute wieder keinen Elch und auch sonst so gut wie kein „Wildlife“ entdecken. Einzig ein paar Birk- oder Haselhühner flüchteten an verschiedenen Stellen vor uns und ein Dreizehenspecht war so in seine Klopfarbeit vertieft, dass er uns erstaunlich nah an sich herankommen ließ - allerdings auch wieder nicht so nah, dass es für ein gutes Foto gereicht hätte.


Die Königslibelle ließ sich erst geduldig ablichten, ...


... ehe sie dann doch davonschwirrte.

Morgens hatten wir wieder das Dach aufgeklappt gelassen und auch diesmal war bei unserer Rückkehr alles wunderbar getrocknet. So packten wir nun schnell zusammen, zogen uns um und machten uns dann auf nach Örnsköldsvik, der nächsten größeren Stadt, wo wir hofften, noch Mittagessen zu bekommen – da es mittlerweile schon wieder stramm auf 14 Uhr zuging, alles andere als selbstverständlich … Beim ersten Versuch in einem Thai-Restaurant blitzten wir denn auch gleich ab, doch schon wenige hundert Meter die Straße runter wurden wir bei einem indischen Restaurant fündig, das uns eine halbe Stunde vor der Schließung noch als Gäste akzeptierte. 

Das All-you-can-eat-Mittagsbuffet war um diese Zeit freilich schon ziemlich abgeräumt, doch für uns fand sich noch genug, es schmeckte – endlich mal wieder Reis! – und satt waren wir auch bald. Inklusive Getränke kostete das Essen faire 20 € für uns beide, insofern tat es uns auch nicht leid, dass wir nicht mehr „reinhauen“ konnten.

Bei der Weiterfahrt mussten wir uns bald schon wieder vom Meer verabschieden und es ging auf den langen Weg durch das Landesinnere, der uns letztlich bis zum Sarek-Nationalpark bringen sollte. Für heute war so etwa die halbe Strecke angedacht, hinter Lycksele, einer größeren Ortschaft, an deren Rand wir einen Tankstopp einlegten, begann der „Blåvägen“, der entlang einer endlosen Folge von Seen als E12 nach Nordwesten (und letztlich laut Beschilderung nach Mo I Rana in Norwegen!) führt.

Hier sollte es irgendwo im Nirgendwo einen hübschen, empfehlenswerten Campingplatz geben (Åskilje Camping), doch als wir dort ankamen, hatte es nicht nur schon seit einer viertel Stunde geschüttet und ließ gerade erst wieder ein wenig nach, an der Einfahrt zum Platz prangte auch ein riesiges Schild: „Camping Closed – Covid 19“ … Und was nun? – Zum Glück entdeckte Günter auch diesmal recht schnell, dass es im „nur noch“ knapp 50 km entfernten Storuman einen ganzjährig geöffneten Platz geben sollte.

Und tatsächlich brauste dort die zuständige Frau auf Günters Anruf hin (die Nummer war an der verschlossenen Rezeption angeschlagen) innerhalb von kürzester Zeit heran, drückte ihm den Schlüssel für das Servicegebäude in die Hand und verschwand wieder. Wo wir uns hinstellten? – Egal! Zahlen? – Konnten wir auch noch am nächsten Morgen … So suchten wir uns auf dem ausgedehnten Gelände einen Platz, der möglichst weit weg von Straße und Ort und möglichst nah am See lag.

Der Regen hörte abends bald auf und nach Einbruch der Dunkelheit gab es noch das Tüpfelchen auf dem I: Nordlichter!


Polarlichter über dem Storuman-See


Nach Lappland und bis zum Polarkreis



Donnerstag, 24. 9.

Über Nacht blieb es entgegen allen Befürchtungen trocken und als wir beide nochmal raus mussten, war am Himmel noch immer diffuses Nordlicht zu sehen. Morgens war es dann zwar grau in grau, aber nach wie vor trocken, so dass es ohne Regenschirm auf den langen Marsch zum Servicegebäude gehen konnte.

Hier war es angenehm warm und, da außer uns nur wenige weitere Camper auf dem Platz waren, hatte ich den ganzen Sanitärbereich für mich allein. Offenbar wurde es im Sommer dort ziemlich voll, da dieser sehr großzügig bemessen war. Und für die Wintergäste des tatsächlich ganzjährig geöffneten Platzes gab es sowohl im Frauen- als auch im Männerbereich jeweils eine Sauna zur freien Benutzung. Mir genügte an diesem Morgen aber die heiße Dusche, die hier gottlob wieder mehr als genug Wasser hergab und sogar zusätzlich zum festen Duschkopf von oben eine Handbrause hatte. Einen etwas schwachbrüstigen Föhn gab es auch (Modell "Schwimmbad") – was will man mehr. 

Als wir gegen halb 10 den Platz verließen, hatte die Rezeption geöffnet und Günter durfte seine 18 € für die Übernachtung loswerden, was im Übrigen sensationell günstig war – bis jetzt hatten alle anderen Plätze in Schweden 20 € und mehr verlangt – und das, wo der Service hier (zumindest bei so geringer Belegung) schon fast überragend gut war.

Bei der Weiterfahrt stand als erstes „sich die Beine vertreten“ auf dem Plan, denn bis zu unserem Tagesziel Jokkmokk sollten es wieder fast 4 Stunden Fahrzeit sein. Schon nach einer guten Stunde erreichten wir einen kleinen Naturpark namens „Gimegolts“, den Günter bei Google als Sehenswürdigkeit am Wegesrand entdeckt hatte. An der E45 (dem Inlandsvägen) war dieser erstaunlicherweise mit keinerlei Hinweisschild angekündigt, doch wir fanden trotzdem ohne Umstände hin, schnürten unsere Wanderschuhe und begaben uns auf den recht übersichtlichen (1,5 km einfache Strecke), aber erstaunlich gut und neu ausgebauten Wanderweg. 


Schwindelerregender Blick in die Gimegolts-Schlucht




Dieser führte erst zu einer Schlucht hin und anschließend an deren oberem Rand entlang, die offenbar am Ende einer Eiszeit entstanden ist, als das Schmelzwasser zu einem gigantischen See aufgestaut wurde und sich schließlich, als der Druck ausreichend groß geworden war, hier einen Weg ins Tal bahnte. Stellenweise befindet sich heute in der Schlucht (schwedisch: „Kanjon“) wieder ein See, ansonsten hauptsächlich Moorlandschaft. 

Die Tiefblicke waren atemberaubend, auch hier nicht zuletzt durch die Herbstfärbung der Bäume, Büsche und Kräuter. Doch wieder wartete kein Elch auf uns, obwohl wir fast die ganze Zeit allein blieben. Erst als wir schon fast wieder zurück beim Auto waren, begegnete uns doch noch ein älteres Paar, dessen Wohnmobil denn auch direkt neben unserem Isuzu geparkt war.


Kurz vor dem Parkplatz fallen die ersten Tropfen ...


Letzterer bereitete uns an diesem Tag zum ersten Mal Sorgen, da er neuerdings bei jedem Starten darauf hinwies, dass der erste Motorservice (Ölwechsel und alle möglichen anderen Flüssigkeiten und Filter tauschen) anstehe, und von da an permanent ein Warnlicht leuchtete. Die Befürchtung, dass die Karre, sowie die 20 000 km erreicht wären (was im Lauf dieses Tages irgendwann passiert sein müsste) nur noch im Notfallmodus agieren würde, bewahrheitete sich zwar nicht, doch schätzten wir, dass zumindest der Ölwechsel nicht unnötig lang aufgeschoben werden sollte. So wäre es voraussichtlich nicht zu vermeiden, dass wir hier in Nordschweden oder, falls wir tatsächlich über Finnland zurückfuhren, irgendwo kurz nach der Grenze eine Isuzu-Werkstatt ansteuerten … 

Nach erfolgreicher Kurzwanderung ging’s dann weiter bis zum Städtchen Arvidsjaur, wo wir zum Mittagessen heute wirklich in einem „Thai“-Restaurant (Kanjana Thaikök & Catering) einkehrten. Auch hier war wieder Mittagsbuffet angesagt, was uns die Inhaberin in Sekundenschnelle erklärte. Bezahlen könnten wir auch später meinte sie noch, ehe sie erstmal über eine knarzende Treppe ins Obergeschoss verschwand. 

Also packten wir unsere Teller voll mit Reis, gebratenen Nudeln mit Gemüse, einer gelben Sauce mit Tofu und Gemüse und einer roten Sauce mit Huhn und Gemüse, sowie Frühlingsrollen und im Backteig frittiertem Fleisch (wahrscheinlich Huhn …). Das Ganze sollte pro Person 90 Kronen kosten, die Getränke kamen noch dazu, aber insgesamt wurden wir beide wieder für höchstens 21 € satt. Qualitativ fand ich das Essen mindestens so gut wie beim Inder tags zuvor, eher sogar besser. Die Frühlingsrollen waren jedenfalls selbstgemacht, wie wir am Ende noch beobachten konnten, und auch sonst schmeckte alles recht frisch zubereitet, wenn auch in jedem Gericht dasselbe Gemüse aus einer Tiefkühl-Gemüsemischung enthalten war. 

Weil wir befürchteten, dass unser Gas ausgehen könnte, wenn wir uns beim Sarek-Nationalpark ein paar Tage komplett selbst bekochen würden, suchten wir im Coop schräg gegenüber vom Restaurant noch nach einer passenden Kartusche. Gas war dann leider komplett Fehlanzeige, stattdessen fiel uns aber allerlei ein, was wir sonst noch brauchen könnten: Äpfel, Panini und Lachs fürs Vesper am Abend, Joghurt, Schinken und zwei Flaschen Sprudelwasser (das es hier immerhin gab) und zu guter Letzt auch noch eine Thermoskanne (für 99 Kronen), da wir wieder mal von zuhause keine mitgenommen hatten …

[Letztere wanderte nach der Rückkehr unbenutzt in unsere „Sammlung“, weil wir es versäumten, sie vor dem Ausflug zum Sarek, wo sie durchaus praktisch gewesen wäre, zu spülen und es später nie mehr so kalt war, dass wir Tee hätten zum Wandern mitnehmen wollen.]

Im Laden war gerade erstaunlich viel los und es ging fast so zu wie zu den Stoßzeiten zuhause in München. Von der Vorsicht und dem Achten der Leute auf den nötigen Abstand, wie wir es bisher hier in Schweden erlebt hatten, blieb unter diesen Umständen dann leider nicht mehr viel übrig. 

Weiter ging’s, jetzt endgültig nach Jokkmok. Unterwegs gab es keine größeren Siedlungen mehr, dafür viel Natur, aber auch die verlor im mehr oder weniger heftigen Regen, der mittlerweile eingesetzt hatte, viel von ihrem Reiz. Nur einmal legten wir noch einen Stopp ein, um einen der vielen Flüsse zu fotografieren, die wir im Lauf des Tages überquerten.



Von Jokkmokk selbst sahen wir dann zunächst nicht viel, denn wir bogen schon am Ortsrand zum auserwählten Übernachtungsplatz, dem „Skabram Camping och Stugby“ ab. Hier hatten wir nun den Polarkreis erreicht, nachdem wir tags zuvor schon ganz offiziell die Grenze zu Lappland überschritten hatten. 

Da es im Lauf des Tages zunehmend regnerisch geworden war, es draußen schon nachmittags nur noch 5°C hatte, wir von Samstag auf Sonntag eine – voraussichtlich zapfig kalte – Nacht am Sarek Nationalpark planten und weil es hier für 70 € pro Nacht ganz nette Hütten („Stugar“) gab, fiel uns die Entscheidung relativ leicht, uns hier in eine solche einzumieten. Anstatt im Auto zu frösteln und was das Campingleben sonst noch an Komplikationen mit sich bringt, saßen wir so ab dem späten Nachmittag im herrlich Warmen und hatten Dusche, WC und Küche für uns alleine. 

Mit der Zeit wurde es in der Hütte derart warm, dass wir schließlich im T-Shirt dasaßen – das eine oder andere Glas des von zuhause mitgebrachten Rotweins wird aber wohl auch dazu beigetragen haben …


Und hier der Link zu Teil III.