Mittwoch, 17. Juni 2020

Mit Kind und Rad durch Norwegen - 1992 - Teil II


Text: Eva Irmler, Günter Schmidt
Fotos: Günter Schmidt



Von Bodø nach Brønnøysund



Günter:

Am Dienstag, dem 4.8., kauften wir ¼ kg OMO und konnten uns so an die Waschmaschine wagen, die nach Verschlingen von 60 Kronen unsere Schmutzwäsche wieder tragbar machte. Unterdessen suchten wir in Bodø erfolglos nach einer Pizzeria oder Ähnlichem, um mal wieder was „Vernünftiges“ zwischen die Zähne zu bekommen. Da aber die norwegische Küche hier ausschließlich aus Fastfood und Mikrowelle zu bestehen schien, landeten wir schlussendlich in einem Supermarkt-„Restaurant“, wo die Pizza so schlecht wie teuer war (ca. 20 cm Ø für 35 NOK).

Um 15 Uhr war dann die Wäsche trocken und so konnten wir unter grauem Himmel doch noch etwas radeln – 30 km in 2 ½ Stunden, die ersten 18 km immer auf einem Radweg entlang der Bodø-Stadtautobahn. Einen Kilometer vor dem berühmten Saltstraumen, Europas größtem Mahlstrom, errichteten wir unser Zelt in einer ziemlich versumpften Wiese.

Der Mittwoch begann, wie üblich, mit Regen und so harrten wir fast bis 11 Uhr im Zelt aus bis es endlich aufhörte.

Von der Brücke über den Saltstraumen beobachteten wir die tiefen Strudel, die sich bei beginnender Ebbe an der Engstelle bildeten. Bei besonders großen hörte man die Steine am Grund krachen und das schlürfende Einsaugen von Luft.




Mahlstrom-Ornamentik

Leider gab‘s wider Erwarten direkt an der Brücke keine Cafeteria und so mussten wir uns koffeinfrei bei teilweise sengender Sonne einen größeren Hügel hochschleppen. Oben angekommen versteckte sich die Sonne wieder, dafür kam ein kalter Wind auf, und auf Druck von Kind und Kegel nahmen wir dort unser zweites Frühstück ein – nach 8 kläglichen Kilometern.

Das Mittagessen gab’s dann bei Ertenvåg auf einer Raststelle in eisiger Kälte unter ständiger Regendrohung der grauen Wolken. Und zu allem Überfluss musste Daniel in einer Bushaltestelle noch gewickelt werden …

Den ersehnten Kaffee konnten wir erst auf halbem Weg nach Sundsfjord, unserer Übernachtungsstelle, genießen – dafür „garniert“ mit einem Eis. Unser Zelt bauten wir am Rand eines Ackers im Regen auf und …

… am folgenden Tag (Donnerstag, 6.8.) in einer Regenpause um 10.30 Uhr wieder ab. Anfangs ging‘s dann bei bereits wieder strömendem Regen durch drei Tunnel weit bergauf. Zum Glück erwartete uns oben in einem Kiosk-Videoladen ein heißer Kaffee mit „Raider“ (damals hieß das tatsächlich noch so, statt „Twix“ :D) und „Snickers“. So gestärkt ertrugen wir bei weiterem Bergab-Bergauf den ins Gesicht prasselnden Regen tapfer.


Nasskalt und bergauf - Spaß sieht anders aus ...

Leider war das laut Karte in Mevik vorhandene Restaurant nur ein Campingplatz-Imbiss, wo uns der Wirt mit improvisierten Lachs- und Marmeladenbroten verköstigte – etwas dürftig, aber besser als nichts (wir hatten kein Brot mehr) und vor allem: TROCKEN!

Bei auffrischendem Wind und nicht enden wollendem Regen strampelten wir weiter bis Ørnes. Ein kurzes Stück (ca. 3km) war der Wind heftig genug, um Eva + Fahrrad in den Graben zu befördern und auch ich musste ein paarmal schnell aus den Schlaufen springen …

In Ørnes warteten wir in einer Cafeteria bei Cola, Sprite und Spaghetti auf die Fähre nach Vassdalsvik. Das Wetter wurde besser und während der 50 Minuten Überfahrt schien sogar die Sonne.


Sonniger Abschied von Ørnes

Vom Hafen radelten wir bei schöner Abendstimmung noch 3km, um unser Zelt bei einem ehemaligen Campingplatz aufzuschlagen.


Eva:

Auch am Freitag, 7.8., sind wir spät von unserem Übernachtungsplatz weggekommen (11.30 Uhr), auch an diesem Tag sind wir nicht besonders weit gekommen (45 km) und wieder gab es jede Menge Regenschauer – kurz: ein ganz normaler Tag auf unserer Norwegen-Radtour … 

Dabei waren wir zunächst im allerschönsten Sonnenschein losgefahren, nachdem es allerdings morgens schon ein paar Stunden heftig geregnet und gestürmt hatte. Anfangs lief dann auch alles bestens, wir kamen flott voran und waren nach einer Stunde schon am Ende des Fjords, den wir umrunden mussten, um nach Forøy zur nächsten Fähre zu kommen. 

Die zweite Hälfte der Strecke hatte es dann aber in sich: erstens blies uns jetzt ein heftiger Wind ins Gesicht, den wir zuvor als Rückenwind gar nicht bemerkt hatten, und zweitens hatten wir einige steile, nicht enden wollende Steigungen zu überwinden. Glücklicherweise kam auf halber Höhe eines besonders üblen Hügels ein Laden, in dem es wieder einmal als kostenlosen Kundenservice Kaffee gab, was wir natürlich dankbar in Anspruch nahmen. Das schien hierzulande tatsächlich fast üblich zu sein in den kleinen Läden auf dem Land, die für die Einheimischen sicher auch als Treffpunkt dienten.


Der Svartisen-Gletscher und seine Ausläufer befinden sich zwar
weiter im Landesinneren, doch die blank-geschliffenen Felsen zeigen,
 dass auch hier in Küstennähe einst Eis die Landschaft bedeckte.

Anschließend erreichten wir recht bald den Fähranleger in Forøy, wo wir bei einem Blick auf den Fahrplan aber leider feststellen mussten, dass wir schon zu spät dran waren: wir würden zwar noch nach Ågskaret kommen, hatten aber keine Chance mehr, rechtzeitig zur letzten Fähre Richtung Kilboghamn in Vågaholmen zu sein. 

Wir setzten dennoch über, was nur zehn Minuten dauerte, und radelten weiter, wobei wir noch dreimal von heftigen Schauern durchnässt wurden. Zuletzt erwischte es uns, als wir schon dabei waren, direkt neben dem Fähranleger unser Zelt aufzuschlagen, wo wir campierten, um am nächsten Morgen auf keinen Fall die Fähre um 10.30 Uhr zu verpassen.

In der Nacht gab es einen richtigen Sturm, so dass wir zeitweise dachten, unser letztes Stündlein hätte geschlagen. Unser Zelt stand ziemlich exponiert und Wind und Regen drohten, es wegzupusten oder -schwemmen. 

Soweit ich mich nach so vielen Jahren noch erinnern kann, kroch Günter ein paarmal in dieser Nacht nach draußen, um die Zeltleinen nachzuspannen und die Heringe mit Steinen zu beschweren, was mich ziemlich beeindruckte – mich hätten keine fünf Pferde aus meinem Schlafsack geholt –, aber vermutlich absolut notwendig war.

Mit der Fähre klappte dann morgens alles ganz prima: wir waren rechtzeitig da und die Überfahrt verging recht angenehm, da wir ein modernes Schiff erwischt hatten. Es war erst seit ein paar Jahren in Betrieb und sehr komfortabel eingerichtet, sogar eine Spielecke für Kinder gab es und der „Salong“ war viel geräumiger als bei den alten Fähren.

Mit uns setzten zwei andere deutsche Radler über (auch ein Paar, aber ohne Kind), mit denen wir uns beim Aussteigen noch eine Weile unterhielten. Sie waren vor einigen Tagen in Narvik gestartet und wollten nun weiter nach Mo I Rana. So hatten wir zunächst denselben Weg und trafen uns auch tatsächlich im Lauf des Tages noch zweimal wieder.

Die Radelei gestaltete sich dann zunächst ziemlich anstrengend: eisiger Gegenwind, steile Hügel und ständig drohender Regen machten uns zu schaffen. Wenigstens fanden wir noch einen Laden, der trotz Samstag erst um 14 Uhr schloss, so dass wir ein paar Sachen fürs Wochenende einkaufen konnten. Gegen Mittag kam uns ein Campingplatz/Motel in Ranheim gerade recht, wo wir freundlicherweise mit Pizza-Baguette bewirtet wurden, obwohl dort eigentlich wegen einer goldenen Hochzeit geschlossen war.

Danach ging’s weiter nach Stockvågen, wo wir unsere letzte Hoffnung auf eine bequeme Fährfahrt nach Nesna leider begraben mussten. Offenbar hatte sich der Fährbetrieb nicht mehr gelohnt seit eine Straße um den Sjonafjord existierte – was sind denn schon 70 km mit dem Auto …? 

Also strampelten wir weiter, immer am Meer entlang, wobei der Wind uns jetzt zum Glück half. Einmal kamen wir durch einen fast 3 km langen Tunnel, den bis dahin längsten auf unserer Tour. Alles in allem schafften wir 56 km an diesem wahrhaft historischen Tag, an dem es zum ersten Mal seit langem nicht geregnet hatte, während wir auf dem Fahrrad unterwegs waren! Zum Ausgleich war es aber tierisch kalt - schätzungsweise 10°C - und der heftige Wind machte es auch nicht besser.


Einsame Sonneninsel

Am Abend bauten wir unser Zelt bei Nordsjona auf einem hübschen mit Moos und Gras bewachsenen Uferstreifen in totaler Hektik auf, weil wir fürchteten, dass es jeden Moment zu regnen anfangen würde. Tatsächlich fiel dann während der ganzen Nacht kein einziger Tropfen. 

Erst morgens (Sonntag, 9.8.), nachdem wir schon fast alles zusammengepackt hatten, gab es einen kurzen Schauer und als wir wieder unterwegs waren, schüttete es auch nochmal eine halbe Stunde. Schon bald kamen wir durch einen knapp 3 km langen Tunnel, den wir aber schnell hinter uns lassen konnten, weil er in unserer Richtung ein leichtes Gefälle hatte. 

Und dann folgte wieder mal das ewig Gleiche: Wir umrundeten das Ende des Fjords, um danach auf der anderen Seite wieder zurückzufahren. Und wieder stellte sich die zweite Fjordseite als äußerst anstrengend heraus, mit steilen Bergpassagen, die kein Ende nehmen wollten, und quälend kaltem Wind auf der Höhe.


Fast schon eine gespenstische Erscheinung: weißes Ren vor
düsterer Kulisse.

Beim Bergaufstrampeln wurden wir hier von mehreren deutschen Wohnmobilisten überholt und einmal sogar als Kuriosität gefilmt. 

Zur Entschädigung für diese Strapazen folgten dann herrliche 4 km Abfahrt zum Meer. Dabei bemerkte ich, als wir schon nahezu unten angelangt waren, dass irgendwas an meinem Hinterrad streifte, konnte aber nicht gleich die Ursache feststellen. Erst Günter entdeckte nach genauerer Inspektion, dass eine Gepäckträgerschraube fehlte, was sich zum Glück gleich beheben ließ. 

An diesem Tag schien mein Fahrrad (ein Raleigh-Trekkingrad, das ich mir im Herbst 1991 gekauft hatte) überhaupt die ersten Abnutzungserscheinungen zu zeigen, denn am Morgen knackste und klapperte es ständig im linken Pedal, so dass wir schon dachten, das Lager würde demnächst seinen Geist aufgeben. Im Lauf des Tages verloren sich die Geräusche aber wieder. 

Da wird wohl eine Kugel aus dem Lager gesprungen sein, die dann mit der Zeit zerrieben wurde. Jedenfalls hielt das Pedal danach noch Jahre.

Am Meer war das Wetter gleich wieder deutlich angenehmer, sogar die Sonne zeigte sich noch, und in Nesna konnten wir unser Abendessen (Tiefkühlgemüse mit „Hurtig“-Reis und Käse) im Freien genießen. Nur Daniels „Nebengeräusche“ störten etwas die Idylle.


Seltener Luxus: ein Abend im Freien.


Leider habe ich im ganzen Reisetagebuch nie wirklich beschrieben, wie wir das überhaupt gemacht haben mit Daniel und heute sind meine Erinnerungen nur noch bruchstückhaft. 

Gleich vorneweg: soweit ich mich erinnere, war unser Kind ganz schön geduldig und auch hart im Nehmen. So lange wir geradelt sind hat er meist geschlafen (oder umgekehrt: wenn er wach war, haben wir öfter auch mal eine Pause eingelegt), die häufigen Regenschauer musste er wohl oder übel unter einem Regenüberzug mit Kapuze überdauern. Eigentlich für Buggys gedacht, war dieser zufällig auch ziemlich exakt passend für unseren aus einem alten Storchenmühle-Autokindersitz selbst gebauten Fahrradsitz. Vom kalten Wind bekam er glücklicherweise nicht so viel ab, da sein Sitz entgegen der Fahrtrichtung auf Günters Gepäckträger montiert war, was darüber hinaus mir die Möglichkeit gab, nach ihm zu sehen, wenn ich, wie meistens, hinter Günter herfuhr.



Fröhliches Radelkind

Was Daniel zu essen bekam, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr, aber die eben erwähnten „Nebengeräusche“ während unseres Abendessens sind wohl ein Hinweis, dass er noch nicht wirklich bei uns mitgegessen hat. Morgens und abends habe ich ihn meines Wissens sogar noch gestillt, was aber vermutlich – zumindest abends – eher der Beruhigung, als der „Nahrungsaufnahme“ diente. Wahrscheinlich hat er sonst schon auch was von unserem Essen bekommen und was zu grob für ihn war, habe ich ihm eben vorgekaut. Gläschenkost dürfte uns zu teuer und schwer gewesen sein und noch einmal extra Babybrei zu kochen einfach zu aufwendig.

Wir hatten auch das Glück, dass unser Sohn, was das Schlafen angeht, von Anfang an völlig unkompliziert war und keinerlei vertraute Umgebung dazu brauchte. Ihm genügte völlig meine/unsere Anwesenheit beim Einschlafen. Spielsachen oder Kuscheltiere waren ebenfalls nie ein Thema, wir hatten zwar zwei oder drei Dinge mitgenommen, aber die waren ziemlich schnell uninteressant verglichen mit unserem Campingequipment wie z.B. Kochtopf und Besteck.



Daniel "kocht" ...



Günter:

Nach fast wolkenloser Nacht in Nesna begann der Tag wie üblich mit dem Morgenregen. Und Daniel weckte uns, wie leider in letzter Zeit öfters, schon um 6.30 Uhr. Da unsere Fähre nach Låvong erst um 11.20 Uhr fahren sollte, ließen wir uns mit dem Aufstehen recht viel Zeit, mussten aber trotzdem in einer kurzen Regenpause das Zelt nass einpacken. Gegen 11 Uhr sahen wir im Hafen das Hurtigruten-Schiff „King Olav“, stiegen aber nicht ein – ein lästiger Fehler, wie sich noch herausstellen sollte! 

Gleich nach der kurzen Fährfahrt ging‘s steil im Nieselregen über einen kleinen Pass nach Leland. Von dort leicht hügelig durch Agrar-Land und dann über eine 1991 fertiggestellte Hängebrücke, die Helgelandsbrua, nach Sandnessjøen. Dort vesperten wir im etwas dürftigen Stadtpark auf einer Bank. Da das eine recht kühle Angelegenheit war, wärmten wir uns anschließend im Café wieder auf. 

Der graue Himmel machte den Entschluss etwas leichter, doch mit der teuren Hurtigruten bis Molde zu fahren. Im Touribüro erkundigten wir uns nach Abfahrtszeiten und Fahrpreisen. Beides klang nicht sehr nett: Das nächste Schiff würde erst am folgenden Tag um 13 Uhr ablegen und die Fahrt sollte 918 NOK (≈ 230 DM) pro Person kosten.

Da es in Sandnessjøen keinen Campingplatz gab, wollten wir ein paar Kilometer rausfahren und in der Pampa übernachten. Zu unserem großen Ärgernis wurden aus den paar Kilometern dann leider ziemlich viele (neun, genau genommen) und aus der Pampa ein Sumpf: Nach endloser Fahrt durch Wohngebiete, oft steil hoch und runter, erreichten wir die Stadtgrenze und auch dann war nach langer Fahrerei eine Feuchtwiese das einzige Fleckchen, wo wir ungestört unser Zelt aufbauen konnten.

Zum Abendessen gab’s dafür einen „Japp“ (= Mars) Kingsize-Schokoriegel und relativ essbares Tiefkühlfertigessen.

Gegen 19 Uhr setzte dann der übliche Regen ein, der bis 19 Uhr am folgenden Tag mit nur kurzen Unterbrechungen anhielt.

Morgens prasselte das unerwünschte Nass heftig aufs Zelt und die Sumpflöcher ums Zelt herum wurden tiefer und tiefer … So harrten wir verzweifelt bis 13 Uhr aus, immer auf eine Regenpause hoffend. Doch diese wollte und wollte nicht eintreten und so ermutigten uns lediglich eine Regenabschwächung und aufkommender Hunger (wir hatten nichts mehr außer Müsli und Tütensuppen) zum Abbrechen des Zeltes und zur Weiterfahrt nach Brønnøysund. Das Schiff in Sandnessjøen hatten wir ja eh schon verpasst …

In ständigem Nieselregen mit immer länger werdendem Magen mussten wir 26 km radeln, um einen Supermarkt zu erreichen. Dort stopften wir uns je (!) zwei Snickers rein und wärmten uns mit (kostenlosem) Kaffee.

In etwas besserer Stimmung waren die nächsten 8 km bis zur Fähre in Tjøtta schnell geradelt und dort hoben ½ Hähnchen mit Pommes und Cola die Laune gleich noch mehr. Das Essen gab’s nicht in einem Restaurant oder Café, sondern im Warteraum der Fährstelle, nachdem wir’s bei der Imbissbude nebenan bestellt hatten …

Die eine Stunde Fährfahrt auf einer neuen Fähre (Baujahr 1989) war sehr angenehm (es gab sogar einen Laufstall mit Spielzeug für Kleinkinder), die Ankunft in Forvik jedoch ganz und gar nicht: es goss mal wieder wie aus Kübeln. Doch nach etwa 5 km fanden wir ein nettes Plätzchen direkt am Meer und einen Bach und der Regen hörte erstaunlicherweise auch auf.

Eva:

Die restliche Strecke bis Brønnøysund gestaltete sich anderntags relativ angenehm, kurz und schmerzlos: Bis zur Fähre in Anndalsvåg waren es nur noch 12 km und – o Wunder – die Sonne schien! Dieses Glück war allerdings nur von kurzer Dauer, denn später an diesem Tag, kurz vor Brønnøysund begann es schon wieder zu nieseln.

In Anndalsvåg, das sich als reine Fähranlegestelle ohne dazugehöriges Dorf entpuppte, lief unsere Fähre gerade ein und wir Fahrradfahrer genossen das Privileg, sofort einsteigen zu dürfen, während die Autofahrer noch warten mussten bis jemand ihnen einen Platz zuwies. So hatten wir bei der Abfahrt schon längst unseren Kaffee getrunken und unsere "süßen Stückle" verspeist.

Nach 20 Minuten Überfahrt kamen wir in Horn an und setzten unseren Weg fort; schon bald konnten wir von weitem den berühmten Torghatten sehen, einen durchlöcherten Felsen auf der Insel Torget vor Brønnøysund, das Felsentor allerdings war von hier aus leider nicht zu erkennen.



Mit der Huritgruten von Brønnøysund nach Molde



So erreichten wir also am 13.8. Brønnøysund, nach ungefähr 950 mit dem Rad zurückgelegten Kilometern. Dort angekommen erkundigten wir uns zuallererst nach der Hurtigruten, denn wir wollten das Schiff ja nicht wieder verpassen oder keinen Platz mehr bekommen. Wir erfuhren dann, dass wir zwar Tickets im Voraus kaufen könnten, diese aber nicht als Reservierung für ein bestimmtes Schiff gelten.


Das Hurtigrutenschiff "Midnatsol"

Also vertagten wir den Ticketkauf bis zum Einschiffen und setzten uns, da gerade wieder ein heftiger Schauer niederging, in das „Restaurant“, das im Übrigen auch die Touristen-Information beherbergte und als Passagier-Terminal für die Hurtigruten diente. Hier genehmigten wir uns eine Pizza (stor! = groß), die laut Günter „gar nicht so schlecht schmeckte, wie das Restaurant vermuten ließ“, wobei sich auch Daniel seinen Anteil zu sichern wusste. 

Danach ging’s dann trockenen Fußes zum Brønnøysund-Camping, wo wir einen geruhsamen Nachmittag und Abend verbrachten. Dort trafen wir auch einen älteren Mann wieder, der uns schon auf der Fähre Nesna - Låvong interessiert angesprochen hatte und, wie sich jetzt herausstellte, in Brønnøysund lebte.

Diese Begegnung sollte noch Folgen haben, denn am anderen Tag, als wir gerade bei strahlendem Sonnenschein (!) unter wolkenlosem Himmel (!) unsere Sachen zusammenpackten, hechtete plötzlich ein rasender Reporter von der Brønnøysund-Lokalzeitung auf uns zu und bestürmte uns mit allerhand Fragen über unsere aberwitzige Radtour mit einem erst 1 Jahr alten Kind. So würde bald die ganze Gegend über uns Bescheid wissen (sogar mit Bild!) …

Die Zeit bis zur Ankunft des Schiffs verbrachten wir dann noch am Hafen, wobei es in der Sonne und im Windschatten der Gebäude ganz schön hitzig wurde.


Gelbe Haarqualle im Hafenbecken.


Sieht nach Urlaub aus :)

Gegen 16 Uhr kam schließlich die "Midnatsol" und wir stiegen schnell ein. Die Fahrräder kamen in den Laderaum (über Rampe und Lift) und wir machten uns mit unseren Sachen auf drei „Sleeperetten“ breit, schmalen Liegesofas in einem Raum neben der Cafeteria, der als Schlafplatz für Passagiere diente, die, wie wir, keine Kabine gebucht hatten.


Abschied von Brønnøysund

Brønnøysundbrua

Der Torghatten

Unser Hauptaufenthaltsort auf dem Schiff wurde denn auch die Cafeteria, wo wir recht häufig der Versuchung erlagen, die das dort angebotene Essen für uns nach mittlerweile fast vier Wochen Selbstversorgung darstellte. So kam von dem Proviant, den wir zuvor extra für die Schiffsreise eingekauft hatten, nicht viel weg, viel lieber verdrückten wir teures Wiener Schnitzel bzw. „Hackebiff“ mit Pommes und Salat (65 bzw. 75 Kronen).

Ansonsten verlief die Fahrt ruhig; zum Glück schaukelte es diesmal auch nicht so arg, dass ich mich vor Seekrankheit hätte fürchten müssen. Daniel genoss die Bewegungsfreiheit auf dem Schiff, war er doch auf unserer Tour meist entweder auf dem Kindersitz festgeschnallt oder im Zelt gefangen. So kam es, dass er hier auch seine ersten selbständigen Schritte machte!

In Trondheim, wo wir morgens um 6 Uhr ankamen (und dank Daniel waren wir da sogar schon wach), hatten wir vier Stunden Aufenthalt, die wir nutzten, um kurz an Land zu gehen. Für eine Stadtbesichtigung reichte die Zeit freilich nicht, aber immerhin kamen wir bis zum Bahnhof und konnten dort die passende Karte für unsere Weiterfahrt (Sørnorge- Nord) erstehen. Das „Nordland“ hatten wir nun endgültig hinter uns gelassen.

Abends um 20 Uhr waren wir endlich in Molde, wo wir zum Glück schnell einen Campingplatz fanden (2,5 km vom Hafen entfernt) und erfuhren, dass wir uns wegen der Fähre nach Vikebukt am nächsten Tag keine Sorgen machen mussten, denn die Abfahrt um 11.40 Uhr konnten wir auf jeden Fall schaffen.

Auf diesem Campingplatz gab es dann noch etwas, das wir so in Norwegen bislang nicht erlebt hatten: Um das Service-Haus zu betreten brauchte man eine Schlüssel-Karte, Nicht-Camper mussten also draußen bleiben. Da merkte man doch gleich, dass die Uhren im dichter besiedelten Süden anders gehen, vielleicht auch insbesondere in der Nähe von beliebten Hurtigruten-Anlegestellen und Touristenattraktionen wie dem Trollstig. Zudem war das Duschen hier mit 10 Kronen/4 Minuten noch einmal deutlich teurer als im hohen Norden, weshalb wir alle drei (auch der widerstrebende Daniel musste mal wieder dran glauben) uns gemeinsam unter die geräumige Behindertendusche stellten.



Über den Trollstig zum Geirangerfjord



Am Samstag ging’s dann zuerst mit einer neuen, ziemlich gut ausgestatteten Fähre nach Vikebukt und danach, teils am Meer entlang, teils über Hügel Richtung Åndalsnes, das am landseitigen Ende des Romsfjords liegt. Das Wetter blieb an diesem Tag erstaunlich stabil, mit der Zeit klarte es zunehmend auf und abends schien schließlich die Sonne.

Kurz vor Åndalsnes mussten wir unseren bis dahin längsten Tunnel durchstrampeln, den 6594 m langen Innlandsfjord-Tunnelen. Dabei herrschte auf den mittleren 4 – 5 km ziemlich dicke Luft, weshalb wir – besonders auf der leicht ansteigenden ersten Hälfte – einigermaßen kurzatmig wurden. Da wir uns nicht länger unter Tage aufhalten wollten, als unbedingt nötig, heizten wir auch ziemlich drauflos, so dass wir schon nach ungefähr 20 Minuten wieder draußen waren.



Achtung - Trolle queren!

Am Ortseingang von Åndalsnes zweigten wir dann gleich rechts ab Richtung „Trollstigen“.
Da wir keinen gesteigerten Wert darauf legten, die Nacht schon wieder auf einem teuren Campingplatz zu verbringen, wollten wir uns ein hübsches Plätzchen möglichst nahe am Bach suchen. 

Wie immer beim Übernachten in der „Wildnis“ brauchten wir Wasser zum Kochen, Spülen und auch als Trinkwasser. Offenbar gelang es uns fast auf der ganzen Tour, ausreichend klare und unverdächtige Quellen zu finden, denn Micropur setzten wir dem Wasser nur einmal kurz vor Oslo zu und gesundheitliche Probleme gab es trotzdem keine.

Das stellte sich allerdings als nicht so einfach heraus, weil das Tal, das zum Trollstig hinaufführte, sich ziemlich bald so verengte, dass nur noch die Straße und ganz weit unterhalb der Bach Platz fanden. Also strampelten wir weiter und immer weiter, wobei die Steigung auch hier schon nicht zu verachten war, bis ich schon glaubte, wir müssten die Nacht stehend am Hang verbringen. Erst unmittelbar vor dem Trollstig kam im Talschluss der Bach wieder nahezu auf gleiche Höhe mit der Straße und wir fanden auf einem baumbestandenen Grünstreifen noch ein Fleckchen für unser Zelt. Allerdings war dort höchste Vorsicht angesagt, wollte man nicht in einen Kuh- oder sonstigen Fladen treten …


Campingplatz am rauschenden Bach -
von weitem recht hübsch anzusehen ...

Am Sonntagmorgen bauten wir unser Zelt im gewohnten Nieselregen ab, um uns dann der Herausforderung des Trollstigen zu stellen. Während wir uns bei bis zu 10% Steigung mühsam Serpentine um Serpentine hochkämpften, düsten unzählige Autos, Wohnmobile und Motorräder an uns vorbei, von denen mindestens 50% aus Deutschland kamen. Natürlich wurden wir wieder mal von vielen bestaunt, belächelt und bekopfschüttelt, ein paarmal auch fotografiert oder gefilmt.


Auffi muass i!

Schon fast geschafft.


Wasserfall-Nahaufnahme

Nach 1 ½ Stunden hatten wir es dann auch geschafft und durften uns bei Kaffee und Kuchen von den Strapazen erholen. Dabei trafen wir einen Radler aus Stuttgart, der erzählte, dass er nur den Trollstig (und vermutlich auch noch andere interessante Strecken) geradelt, ansonsten aber mit zwei Freunden im Auto mit Wohnwagen unterwegs sei.


Familie Troll.


Noch ein Tiefblick vom Aussichtsbalkon.

Radler begegneten uns im Lauf dieses Tages noch jede Menge, die meisten davon kamen uns allerdings entgegen, als wir schon wieder nach Valldal hinabrollten.

Bevor wir wieder in die Pedale traten, genossen wir noch die Aussicht von einer Plattform oberhalb des Trollstigen, von wo man trotz Wolken fast bis ans Meer sehen konnte. Danach stieg die Straße zunächst noch weiter unerwartet steil an, nur gab es eben keine spektakulären Zickzack-Kurven mehr, bis wir schließlich die eigentliche Passhöhe auf geschätzten 1000 m Höhe (Aussichtspunkt am Trollstig: 870 m) erreicht hatten. 

Ab da ging’s dann nur noch bergab – eine sehr angenehme Abfahrt, denn man konnte wegen des relativ geringen Gefälles und der sanften Kurven fast immer einfach dahinrollen, ohne ständig bremsen zu müssen. Zudem wurde das Wetter mit jedem Kilometer besser, während in den Bergen, die wir hinter uns ließen, die Wolken immer dichter zu werden schienen.


Bergabrollen.

Auf halbem Weg ins Tal kamen wir an einer eindrucksvollen Klamm vorbei, wo ein Gebirgsbach sich tief in den Fels gegraben hatte.




Bald darauf legten wir auf einem der vielen Campingplätze am Weg unsere Mittagsrast ein. Dort gab es ein kleines Restaurant, in dem wir uns dankbar eine warme Mikrowellenpizza genehmigten, weil uns beim Bergabrollen zuletzt ganz schön kalt geworden war. 

Danach waren wir schnell in Valldal, einem eher hässlichen Nest, das fast nur aus Campingplatz und der dazugehörigen Infrastruktur bestand, und bald darauf auch in Linge, von wo uns eine Fähre in 5 Minuten auf die andere Fjordseite nach Eidsdal brachte.




Dort angekommen beschlossen wir, trotz der allmählich schon fortgeschrittenen Tageszeit, nicht auf dem erstbesten Campingplatz zu nächtigen, sondern das außergewöhnlich gute Wetter zu nutzen, um noch möglichst weit voran zu kommen. Wir radelten also wieder vom Meer weg und hatten es prompt auch wieder mit einer nicht unbeträchtlichen Steigung zu tun. 

So gaben wir doch schon nach ungefähr drei schweißtreibenden Kilometern, die wir bei Sonnenschein und tatsächlich mal im T-Shirt zurückgelegt hatten, bei einem Campingplatz erschöpft auf. Dabei sah man schon von weitem, dass der Platz nicht allererste Wahl war. Hier wollte wohl jemand mit wenig Aufwand möglichst viel Geld verdienen, denn die 50 Kronen, die wir obendrein auch noch 200 steile Meter oberhalb bei einem Bauernhaus ablöhnen mussten, war die bucklige Wiese ganz sicher nicht wert.

Als das Zelt soeben stand, begann es zu tröpfeln, und aus dem Tröpfeln wurde Regen und der hörte die nächsten 24 Stunden nicht mehr auf …

Der folgende Montag,17.8., war also wieder ein total verregneter Tag, was uns aber nicht davon abhielt, den 650 m hohen Pass zwischen uns und dem Geirangerfjord in Angriff zu nehmen, und entsprechend widerlich wurde es: 

Zwar hatten wir relativ bald einen Großteil der Steigung hinter uns und waren auf einer Hochebene angelangt, aber kurz zuvor hatte die Teerstraße aufgehört, sodass wir wieder einmal einige Kilometer Matschpiste vor uns hatten, die an einigen Stellen durch Bauarbeiten noch zusätzlich umgepflügt war. 

So wurden unsere erst in Brønnøysund frisch gewaschenen Hosen schon wieder richtig schön eingesaut und auch die Fahrräder mussten ziemlich leiden. Insbesondere meiner Kettenschaltung tat die Schlammpackung überhaupt nicht gut, denn die Hebel für den vorderen Umwerfer ließen sich schwerer und schwerer und am folgenden Tag sogar trotz Ölbehandlung erst mal gar nicht mehr bewegen.

Kurz nachdem wir wieder Asphalt unter den Rädern hatten, erreichten wir einen Tunnel und nach einem weiteren kurzen Anstieg hatten wir endlich die Passhöhe erklommen. Von da an ging’s in vielen Serpentinen steil zum Geirangerfjord hinab, was wegen des heftigen Regens, der uns dabei ins Gesicht prasselte und in die Augen stach, diesmal ganz und gar nicht angenehm war.

Um den trotz alledem eindrucksvollen Ausblick auf den Fjord zu genießen (und die beschlagene Brille und die laufende Nase zu putzen …), legten wir ein paar Zwischenstopps ein bis wir schließlich bei der Ortschaft Geiranger wieder Meeresniveau erreichten.


Begossene Eva


Geiranger in Sicht.


Und noch eine Stufe tiefer - bald sind wir am Fjord.




Fortsetzung folgt in Teil III.