Text: Eva Irmler, Günter Schmidt
Fotos: Günter Schmidt
Eine ganz alte Geschichte
1992 – das Internet ist Zukunftsmusik und ein Mobiltelefon besitzt
praktisch auch noch niemand.
Damals war es durchaus nichts Ungewöhnliches für ein junges Studentenpaar,
in den Sommersemesterferien sechs Wochen in Norwegen zu verbringen und in
dieser Zeit kein einziges Lebenszeichen oder höchstens mal eine Postkarte nach
Hause zu schicken. Auch dass wir – Eva, 24, und Günter, 28 – planten, die
Strecke von Kiruna in Nordschweden bis in Norwegens Hauptstadt Oslo mit dem
Fahrrad zurückzulegen, war noch nichts Besonderes. Was aber völlig aus dem
Rahmen des Üblichen fiel, war die Tatsache, dass unser damals gerade
einjähriger Sohn Daniel mit von der Partie sein sollte.
Heute wäre dies
wohl ebenfalls eher noch die Ausnahme, obwohl in den letzten Jahren immer häufiger Berichte
von Eltern auftauchen, die gemeinsam mit ihren kleinen Kindern
abenteuerliche Reisen unternehmen.
Im Rückblick kann ich mich nicht mehr daran erinnern, ob jemand aus unseren Familien oder dem Freundeskreis Bedenken gegen unser
Unternehmen äußerte, das heißt jedoch nicht, dass es diese nicht gegeben
hätte. Wir selbst bezogen die Zuversicht, dass diese Tour gelingen könnte,
hauptsächlich daraus, dass uns schon im Frühjahr des gleichen Jahres eine
zweiwöchige Radtour durch Südfrankreich mit unserem Kind geglückt war. So glaubten
wir ungefähr abschätzen zu können, worauf wir uns einließen.
Zudem war Günter bereits vielfach mit dem Rad auf Achse gewesen, so zum Beispiel ein halbes Jahr lang kreuz und quer durch Südamerika, brachte also viel Radreise-Erfahrung mit.
Bei Saintes-Maries-de-la-Mer, Frühjahr 1992. |
Zudem war Günter bereits vielfach mit dem Rad auf Achse gewesen, so zum Beispiel ein halbes Jahr lang kreuz und quer durch Südamerika, brachte also viel Radreise-Erfahrung mit.
Auf dem Salar de Uyuni, Bolivien 1988 |
In einem Tübinger Reisebüro ließen wir uns die komplizierte
Anreise per Bahn zusammenstellen. Da wir dabei unser Hauptaugenmerk darauf
richteten, unsere Reisekasse nicht zu sehr zu strapazieren, lief es darauf
hinaus, überwiegend in Regionalzügen unterwegs zu sein – mit entsprechend
häufigem Umsteigen.
Die Fahrräder sollten uns voraus reisen: Einen Tag vor
unserer Abreise gaben wir sie bei der Bahn auf, in der Hoffnung, dass sie bei
unserer Ankunft in Kiruna bereits auf uns warten würden.
Die letzten Tage vor der Abfahrt waren natürlich ziemlich
hektisch und aufregend, was dann noch gesteigert wurde, als eines unserer
Portemonnaies samt den darin verstauten Travellerschecks aus dem im Tohuwabohu
des Packens kurz unverschlossen und unbeaufsichtigt gebliebenen Zimmer im
Studentenwohnheim „verschwand“. Glücklicherweise wurden die Schecks aber
schnell ersetzt und die Master-Card, die Günter noch zusätzlich als Backup
beantragt hatte, traf auch noch rechtzeitig ein, so dass die Reisefinanzen wieder
gesichert waren.
Norwegen war schon damals ein eher teures Reiseland und unser
Budget nicht allzu üppig. Trotzdem waren wir zuversichtlich, dass wir über die
Runden kommen würden, da wir ausschließlich im Zelt übernachten wollten und
möglichst oft „wild“, was dank des berühmten nordeuropäischen Jedermannsrechts
auch problemlos möglich war. Zudem wollten wir uns überwiegend selbst versorgen
und nur ausnahmsweise mal Essen gehen.
Der nun folgende Reisebericht basiert überwiegend auf meinem
Reisetagebuch, an dem sich auch Günter ein paarmal beteiligt hat, und das ich,
wo nötig und noch möglich aus der Erinnerung ergänzt habe. Längere Einschübe
sind kursiv gesetzt.
Nach Kiruna und auf die Lofoten
Am Montag, dem 20. Juli, fuhr
unser Zug um 6.33 Uhr von Tübingen ab.
Da hatten wir schon die erste große Hürde hinter uns: Fast
wären wir zu spät gekommen, weil wir den Bus zum Bahnhof verpassten und unsere
Unmengen von Gepäck + Kind nahezu im Laufschritt zu Fuß zum Bahnhof befördern
mussten. Wäre uns nicht ein netter Straßenkehrer mit seinem Rad zu Hilfe gekommen,
hätte unsere Reise schon hier ganz am Anfang schief gehen können.
Über Stuttgart, Göttingen, Hamburg, Puttgarden – Rødby
(mit der Fähre) und Kopenhagen ging es nach Stockholm – Ankunft am 21.7. morgens
um sieben.
In
Stockholm verbrachten wir den ganzen Dienstag, einen herrlich sonnigen und
heißen Sommertag, und besichtigten die Stadt, soweit das in unserem übermüdeten
Zustand und mit Daniel eben möglich war, bis dann um 17.45 Uhr unser Zug nach
Kiruna ganz im Norden Schwedens weiterfuhr.
Am Springbrunnen im Stockholmer Stadshusparken. |
Warten auf den Zug nach Kiruna - mit ein wenig Gepäck. |
In
diesem letzten Zug hatten wir Plätze im Liegewagen gebucht, so dass wir uns
nach 36 Stunden endlich mal wieder richtig ausstrecken konnten.
Auf
der ganzen Anreise war es sonnig und oft schrecklich heiß gewesen, doch als wir
uns schließlich am Mittwochmorgen langsam unserem Ziel näherten, begann es leise
zu regnen. Und als wir mittags um zwölf endlich in Kiruna angekommen waren,
mussten wir feststellen, dass genau eingetreten war, was wir uns als schlimmsten
Fall ausgemalt hatten: Es regnete, war saukalt und zu allem Überfluss waren
unsere Fahrräder noch nicht da …
So
mussten wir unser ganzes Gepäck – Günter mit Rucksack und 2 Fahrradtaschen auf
dem Rücken und den anderen beiden Fahrradtaschen unter dem Arm, ich mit Daniel,
Isomatten und Zelt auf dem Rücken und dem Kindersitz mit allem möglichen Kram
im Arm – noch einmal eine halbe Stunde zum Campingplatz schleppen. Dabei hatte
ich schon auf dem Stockholmer Bahnhof, wo wir es am Ende wieder mal geschafft
hatten, den Zug nur gerade noch rechtzeitig zu erreichen, geschworen, dass ich
das keine 500 m mehr durchhalten würde.
Schließlich
war aber auch das geschafft und als wir am späteren Nachmittag noch einmal beim
Bahnhof vorbeischauten, waren zum Glück auch unsere Räder eingetroffen.
An
Kiruna selbst habe ich nur wenig Erinnerung, eigentlich nur je ein Bild vom
kleinen Bahnhofsgebäude, dem Campingplatz, bei dem es einen Pool gegeben haben
muss, in dem noch bis spät abends die abgehärteten norwegischen Kinder ihren
Spaß hatten, und – schon beim Wegfahren – den riesigen, hässlichen
Industrieanlagen der Eisenerzmine.
So
konnte es am nächsten Tag, dem 23. Juli, Daniels erstem Geburtstag, also wie geplant losgehen auf unsere
große Tour. Auf der E10 radelten wir aus Kiruna hinaus Richtung Torneträsk,
einem riesigen See, der sich fast bis zur norwegischen Grenze erstreckt. Auch
das Wetter spielte an diesem ersten Tag mit, denn es blieb trocken bis wir am
Abend unser Zelt an einem Fluss mit romantischer Hängebrücke aufgeschlagen
hatten.
Am Freitag, 24.7., ging es dann den ganzen
Tag am Torneträsk entlang Hügel auf, Hügel ab bis zur Abisko-Turiststation, die
im Wesentlichen aus einer Bahnstation, einem Campingplatz und sonstigen
Unterkünften, sowie dem Besucherzentrum des gleichnamigen Nationalparks bestand.
Dieser erstreckt sich jenseits der E10 nach Südwesten und ist Ausgangspunkt des bekannten Weitwanderwegs „Kungsleden“. Abends war wieder schönstes Wetter, nachdem es tagsüber eher trübe gewesen war, und da Abisko nördlich des Polarkreises liegt und Mittsommer erst vier Wochen her war, schien die Sonne bis spät nachts auf unser Zelt, so dass an Schlaf, trotz des anstrengenden und noch ungewohnten Radelns, lange nicht zu denken war.
Mehr oder weniger müde Radler. |
Ursprünglich
war angedacht, die Tour hier für mindestens einen Tag zu unterbrechen, um im
Nationalpark zu wandern. Doch jetzt entschieden wir uns – aus Gründen, die
heute nicht mehr wirklich zu rekonstruieren sind - dagegen und
radelten gleich am nächsten Morgen weiter Richtung norwegische Grenze.
Weiter geht's! |
Noch ein Blick zurück unter grauem Himmel. |
Gegen Morgen hatte es in Abisko, dem angeblich niederschlagsärmsten Ort Schwedens, noch geregnet, aber als wir am Samstagvormittag von dort aufbrachen, war es zunächst wieder trocken.
Doch
schon als wir den Ort Vassijaure 7 km vor der norwegischen Grenze erreichten, verließ
uns das Wetterglück endgültig und wir wurden zum ersten Mal so richtig patschnass.
Nach der unkomplizierten Einreise nach Norwegen radelten wir daher nur noch ca.
15 km weit bis wir bei einem Rastplatz ein passendes Plätzchen für unser Zelt
entdeckten.
Der
folgende Sonntag war zum Ausgleich ein traumhafter Sonnentag, an dem wir es
endlich bis ans Meer schafften.
An
dem schlängelten wir uns entlang bis Bjerkvik (Narvik ließen wir dabei knapp
links liegen), von wo es mit 9 % Steigung wieder hoch in die „Berge“ ging.
Hier konnten wir endlich auch von der Hauptstraße abzweigen, auf der uns die vielen Wohnwagengespanne zunehmend genervt hatten.
Die
folgende Nacht verbrachten wir in einem Wäldchen einige Kilometer vor dem
Grovfjord, wo wir arg von Mücken, Bremsen und allerhand anderem blutsaugendem
Geschmeiß geplagt wurden. – Glücklicherweise blieb dies aber auf der ganzen
Reise die einzige derartige Erfahrung. Vermutlich zahlte sich hier aus, dass
wir doch schon relativ spät im Jahr unterwegs waren.
Am
nächsten Morgen bereuten wir bitterlich, dass wir den einzigartigen Sonnentag
nicht genutzt hatten, um noch ein paar Kilometer weiter zu radeln, denn eine
dicke dunkelgraue Wolkendecke drohte uns Regen an, welche Drohung dann auch
schon nach wenigen Kilometern wahr wurde. Diesmal war der Regen heftiger und
hielt auch länger an als zwei Tage zuvor, so dass wir unser Mittagessen unter
dem Vordach einer Schule verspeisen mussten. Nachmittags um halb vier
erreichten wir trotz allem unser Tagesziel, den Campingplatz bei der „Tjeldsund
bru“, der Brücke, die das Festland mit den Lofoten-Inseln verbindet.
Den verregneten Nachmittag verbrachten wir mehr schlecht als recht im Zelt – Daniel nervig, wir genervt. Die Norweger waren mit ihren Kindern natürlich viel besser auf solches Wetter eingestellt: Wir beobachteten eine Familie auf dem Zeltplatz beim Sandeln im strömenden Regen, alle in Regenjacke und -hose und mit Gummistiefeln. Dagegen mussten wir Daniel die ganze Zeit im Zelt bespaßen, weil uns die passende Ausrüstung für ihn fehlte. Bei unserer Abreise war er ja noch ein Krabbelkind und so hatten wir nicht mal Schuhe für ihn, von Gummistiefeln und einer wasserdichten Buddelhose ganz zu schweigen …
Anderntags
regnete es erst noch den halben Tag weiter, doch gegen 13 Uhr hatte sich das
Wetter dann so weit gebessert, dass wir aufbrechen konnten. So überquerten wir die Brücke auf die Insel
Hinnøya, wo unser Weg erst am Meer entlang und dann quer
über die Insel nach Straumen am Øysundet führte. Bald nach
dem Ort fanden wir ein Fleckchen am Wegesrand, wo wir unser Zelt mit Blick aufs
Meer aufschlagen konnten.
Da es in dieser Form sehr schön illustriert, wie ein
typischer Tag auf unserer Tour aussah und was uns vor allem zu Anfang am
meisten beschäftigte, hier mein Tagebucheintrag vom 29. 7. 1992 im Original:
„Heute sind wir nicht sehr
weit gekommen, nur 39 km, von denen fünf eigentlich völlig überflüssig waren.
Hierher nach Sigerfjord mussten wir nämlich nur des schnöden Geldes wegen: wir
müssen mal wieder Norwegische Kronen tauschen. Unseren eigentlichen Weiterweg
sieht man von dem Platz, an dem ich gerade sitze, ganz genau; er ist von hier
Luftlinie höchstens einen Kilometer entfernt auf der anderen Seite de Fjords.
Nur leider gibt’s hier keine Brücke oder Fähre, und so werden wir morgen wieder
5 km zurück radeln müssen (zu allem Überfluss auch noch bergauf) und dann noch
einmal mindestens fünf bis wir auf der anderen Seite wieder auf gleicher Höhe
sind. Das wird uns sicher eine Stunde kosten, grr, grr…
Wenigstens hat es heute nur
kurz geregnet, meistens schien sogar die Sonne, so wie jetzt auch noch.
Trotzdem war es mittags durch den Wind ganz schön kalt für ein Picknick am
Wegesrand.
Heute morgen sind wir zunächst 10 km gefahren, dann haben
wir mit der Fähre von Revsnes nach Flesnes übergesetzt (ca. 20 min. Fahrt).
Danach ging’s weiter über – wie üblich – sehr hügeliges
Gelände nach Langvassbukt, wo wir vor der Kirche Mittag machten. In einem Rasthaus genehmigten wir uns anschließend sogar noch einen Kaffee (10 NOK mit
unbegrenztem Nachschub – das einzige, was man hierzulande billig bekommt), weil
wir ja schon wussten, dass wir heute nicht mehr sehr weit fahren konnten. Und
jetzt sitzen wir hier am Meer auf den Steinen und genießen die Sonne, solange
sie noch scheint.
Ein Platz an der Sonne. |
Der Platz hier gehört zu einem „Campingplatz“, der allerdings
nicht sehr gefragt zu sein scheint. Eigentlich gibt es hauptsächlich 3 Hytter
und ein paar Gästezimmer. Dass jemand zelten will, ist wohl eher die Ausnahme,
daher auch sensationell billig (20 NOK + 10 NOK Dusche). Der Besitzer ist sehr
alt und spricht deutsch, die Dusche ist im Keller seines Hauses neben seinen
beiden Gefriertruhen.“
Am folgenden Tag brachen wir erst relativ spät (10.30 Uhr) auf, da es immer wieder kurz schüttete, während wir unsere Sachen zusammenpackten. Danach strampelten wir wohl oder übel zur Abzweigung zurück und bis wir am anderen Ufer wieder gleichauf mit unserem Campingplatz waren hatten wir schon 15 km auf dem Tacho. Bald darauf kamen wir durch einen Tunnel, in dem es ziemlich finster war. Zum Glück war nur wenig Verkehr, denn mir war es dabei ganz und gar nicht wohl ohne Beleuchtung am Fahrrad.
In
diesem Punkt hatten wir uns bei der Vorbereitung wirklich eine grobe Fehleinschätzung
geleistet: Wir hatten nur daran gedacht, dass die Tage in Norwegen noch lang
sein würden im Juli/August und die Gefahr, beim Radeln in die Nacht zu kommen,
praktisch null. Die vielen, vielen Tunnel hatten wir dabei leider unterschätzt
und so war ich ganz ohne Beleuchtung gestartet. Günter hatte zwar ein ziemlich
schweres, unhandliches Batterielicht (mit Blockbatterie!) für den Lenker, aber das nützte auch nicht
sehr viel. Es genügte wohl, um gesehen zu werden, aber selbst sah man sehr,
sehr wenig. – Damals war das Thema (Batterie-)Fahrradbeleuchtung allerdings auch noch ein arges Trauerspiel, überhaupt kein Vergleich zum heutigen Angebot an ordentlichen Scheinwerfern mit LEDs und leistungsstarken Akkus.
Ein
paar Kilometer nach dem Tunnel machten wir Kaffeepause – in einem Dorfladen,
bei dem wir durch das Fenster gesehen hatten, dass es dort eine Café-ähnliche
Sitzecke gab. Nachdem wir ein paar Sachen eingekauft hatten, meinte der Ladenbesitzer,
der Kaffee sei gratis! Noch ein paar Kilometer weiter bei Fiskfjord (sollte
eher „Quallenfjord“ heißen, da dort viele große rotbraune Quallen im Wasser
trieben), hörte die Teerstraße auf, und wir mussten uns den Rest des Tages über
eine matschige, mit Schlaglöchern übersäte Schlammpiste quälen. Da es von Zeit
zu Zeit regnete und wohl auch schon in den Tagen (Wochen, Monaten …?) davor
geregnet hatte, wurden unsere Fahrräder und wir ganz schön eingesaut.
Glücklicherweise
konnten wir in Kaljord, wo wir auf die Fähre nach Kongselv warteten, die Räder
wieder sauberspritzen. Auf der Fähre war es draußen ziemlich kalt und zugig,
aber wegen der herrliche Aussicht, wollten wir trotzdem nicht die ganze Zeit
unter Deck im „Salong“ sitzen.
Dass Daniel sich dabei nasse Socken geholt hatte, bemerkten wir erst 5 km später, als wir am Raftsundet-Camping unser Zelt aufschlugen … Es war zwar keine Menschenseele da, weder andere Camper noch irgendjemand, der den Platz beaufsichtigt hätte, aber die Gebäude waren unverschlossen, so dass wir duschen konnten. Erst am nächsten Morgen kam jemand vorbei, um nach dem Rechten zu sehen und uns unser Geld (30 Kronen) abzuknöpfen, das wir aber auch sonst ehrlicherweise dort zurückgelassen hätten.
Abgelegt. |
Dass Daniel sich dabei nasse Socken geholt hatte, bemerkten wir erst 5 km später, als wir am Raftsundet-Camping unser Zelt aufschlugen … Es war zwar keine Menschenseele da, weder andere Camper noch irgendjemand, der den Platz beaufsichtigt hätte, aber die Gebäude waren unverschlossen, so dass wir duschen konnten. Erst am nächsten Morgen kam jemand vorbei, um nach dem Rechten zu sehen und uns unser Geld (30 Kronen) abzuknöpfen, das wir aber auch sonst ehrlicherweise dort zurückgelassen hätten.
Am
Freitag radelten wir dann erst nur bis nach Digermulen, das von unserem
Übernachtungsplatz etwa 15 km entfernt war. Allerdings ging’s dabei mal wieder
über viele Hügel, immer am Raftsundet entlang, der anfangs sehr schmal war,
fast wie ein Fluss oder Kanal. Dabei konnten wir auch einen Blick in den
berühmten Trollfjord werfen, der hier vom Raftsundet abzweigt. An einer Stelle,
an der die Straße über eine kleine Bucht führte, beobachteten wir zwei Delfine
(oder kleine Wale?), die uns nahe genug kamen, dass wir sogar ihr Prusten hören
konnten.
In
Digermulen erfuhren wir im Laden, dass um 15 Uhr ein „Hurtigbåt“ nach Svolvær abfahren würde. Wir aßen
also in aller Ruhe zu Mittag (Knäckebrot, Käse, Makrelen in Tomate, Joghurt)
und rollten dann zum Steg hinab, wo schon einige Leute warteten. Nach kurzer
Zeit kam das Boot angerauscht, bei dessen Anblick ich erst dachte, dass es uns
ausgeschlossen mitnehmen könnte. Es schien mir viel zu klein und
außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, wie wir unsere schwer bepackten
Fahrräder an Bord hieven sollten. Zum Glück stellte sich das alles aber
als völlig unproblematisch heraus, da es natürlich eine Rampe gab, über die wir die Räder
hochschieben konnten. Von der Mannschaft wurden sie dann auf Deck festgezurrt.
Hurra,
dachten wir, gleich sind wir in Svolvær! Aber von wegen: das
dauerte und dauerte, denn dieses Boot war zwar einerseits recht „hurtig“
unterwegs, klapperte aber andererseits sämtliche winzigen Häuseransammlungen
ab, die auch nur im Entferntesten am Weg lagen. Es musste die gleiche Funktion
haben wie bei uns zuhause ein Provinzbus.
... um nicht zu sagen sehr viele Gehöfte an. |
Daniel hatte nach einer halben Stunde die Nase voll von dem Geschaukel, bei dem er nicht mal krabbeln, geschweige denn Laufübungen machen konnte. Tja, und von da an meckerte er ständig herum, bis er nach ungefähr zwei Stunden erschöpft auf einem der Sitzpolster unter Deck einschlief.
Doch schon bald sollte er wieder
unsanft geweckt werden: Die See war hier gerade besonders rau, da wir nahezu
auf dem offenen Meer unterwegs waren. Günter und ich ahnten, Landratten die wir
sind, trotzdem nichts Böses und waren gerade wegen der besseren Aussicht beide ein
paar Stufen höher zum Steuermann hinaufgestiegen, als eine besonders hohe Welle
unser Boot traf. Zum Glück besaß der zweite Bootsmann die nötige Erfahrung und
Geistesgegenwart und hechtete gerade noch rechtzeitig nach vorne, um Daniel
aufzufangen …
Mich stürzte dieser Vorfall in ein Wechselbad der Gefühle, die
vielleicht am besten mit Schreck, Entsetzen und Scham über die eigene
Blauäugigkeit/Nachlässigkeit gemischt mit Erleichterung und Dankbarkeit, dass
es noch einmal gut ausgegangen ist, zu beschreiben sind. Dem aufmerksamen
Seemann können wir nicht genug danken, dass er unser Kind womöglich vor
schweren Verletzungen bewahrt hat.
Nach
dreieinhalb Stunden waren wir endlich in Svolvær, einem richtigen
Städtchen, wo wir in einem richtigen Supermarkt einkauften – zum ersten Mal in
Norwegen. Die Läden in den kleineren Ortschaften, durch die wir bisher gekommen
waren, nannten sich zwar teilweise auch so, waren aber höchstens insofern
„super“, als sie auf engstem Raum ein erstaunlich weitgefächertes Sortiment
anboten.
Eigentlich
hatten wir vorgehabt, unser Zelt einfach irgendwo außerhalb von Svolvær aufzuschlagen, aber da die Umgebung sich doch als ziemlich
zersiedelt herausstellte, radelten wir noch bis zum nächsten Campingplatz im 6
km entfernten Kabelvåg weiter (25 NOK, heißes
Duschwasser extra: 5 NOK für 5 min.)
Am
nächsten Morgen regnete es dann wieder laufend. Gerade als wir das Zelt
abgebaut hatten und bereit zur Abfahrt waren kam wieder ein Schauer. Also
flüchteten wir uns noch ins Café bei der Rezeption und warteten dort, bis wir
uns endlich auf den Weg machen konnten.
Ein Wort zum Wetter: Insgesamt hat es auf dieser Tour fast
jeden Tag irgendwann mal geregnet und wir mussten oft auch im Regen radeln.
Nachdem wir uns aber mal damit abgefunden hatten, dass das in Norwegen eben so
ist, ließ es sich ganz gut aushalten – und das obwohl unsere Ausrüstung alles
andere als „high end“ war: während unsere Jacken immerhin schon aus halbwegs
wasserdichtem und atmungsaktivem Material bestanden, waren die Regenhosen
einfach nur nach dem Motto „möglichst dicht und möglichst billig“ gewählt. Und
Daniel schützte auf seinem Kindersitz ein Regenüberzug mit Kapuze, der
eigentlich für Buggys gedacht war. Das von Günters Eltern „geerbte“ Zelt
scheint ebenfalls noch ausreichend dicht gewesen zu sein, da wir im
Reisetagebuch keinen ernsthaften Wassereinbruch erwähnt haben. Zudem waren die
Regenepisoden nie sonderlich lang und so ist es uns praktisch jedes Mal gelungen,
alles wieder komplett trocken zu bekommen.
Nach dem Regenschauer ist vor dem Regenschauer ... |
Später
an diesem Tag erreichten wir dann die ersten beiden eigentlichen
Lofoten-Inseln, die jeweils über eine Brücke von der Nachbarinsel zu erreichen
waren.
Und
obwohl wir im Lauf des Tages mindestens fünfmal geduscht wurden und es dabei
jedes Mal empfindlich kalt wurde, waren wir tief beeindruckt von dem Panorama,
das sich uns bot, wenn es denn mal ein Sonnenstrahl durch die Wolken schaffte.
Die Berge kamen uns hier noch zackiger, das Gras noch grüner vor – und Bäume
gab es tatsächlich fast gar keine mehr. Auch konnten wir einen Seeadler erspähen. Unser Weg führte uns immer an der Küste entlang und war
zwar wellig, aber nicht mehr so steil, wie oft in den Tagen zuvor.
Abends
steuerten wir in Storfjord auch wieder den Campingplatz an, der allerdings mit
65 NOK für eine Übernachtung ziemlich teuer war und trotzdem auch noch
Extrageld fürs Duschen verlangte.
Am Sonntag, 2. August, kamen wir, wie inzwischen fast immer, erst so gegen
11 vom Campingplatz weg. Zunächst ging es ein paar Kilometer steil den Berg
hoch und danach nach Leknes runter, wo wir feststellten, daß wir den 2,5 km
langen Untersee-Tunnel zur nächsten Insel würden nehmen müssen, da wir
keinerlei Hinweise auf eine Fährverbindung entdecken konnten.
Aber
zunächst folgten wir noch einem Schild, das uns zu einer Raststätte lockte, wo
wir als einzige Gäste unseren Kaffee schlürften und ein Stück Schokoladentorte
(4 Kronen) verspeisten. Danach kam der Tunnel, der nicht nur elend lang war, es ging
darin auch noch in der ersten Hälfte steil bergab und anschließend genauso steil
bergauf. Die Fahrt gestaltete sich also relativ unangenehm, wenn auch die
Vorstellung, unter dem Meer durchzufahren, durchaus ihren Reiz hatte. Autos
mussten übrigens Maut zahlen für den Tunnel, für Fußgänger und Radler war er zum Glück gratis.
Danach
ging’s über mehr oder weniger hohe Hügel weiter, meistens nahe am Meer entlang.
Bis nach dem Mittagessen regnete es immer wieder (Mittagessen in Ramberg zuerst
unter dem Vordach der Schule, danach in einer teuren Cafeteria bei Kaffee und
Waffel aufgewärmt), am späten Nachmittag hellte es sich auf und abends kamen
sogar noch ein paar Sonnenstrahlen durch. Die Landschaft war auch an diesem Tag
wieder herrlich, besonders natürlich bei Sonnenschein. Gegen Abend kamen wir
durch ein paar hübsche Ortschaften (Hamnøy, Kvalvik und Reine – Hamnøy mit Mövenkolonien in den Felsen), die teilweise auf Pfählen
im Meer errichtet waren.
Wir schlugen unser Zelt kurz vor Moskenes auf, dem
letzten Ort auf den Lofoten, den wir auf unserer Tour per Rad erreichen
wollten. Von dort aus würden wir anderntags mit der Fähre nach Bodø übersetzen.
Reine - oder doch noch einmal Hamnøy? |
Günter:
Ich musste von unserem Übernachtungsplatz 2 km zum Wasserholen fahren und das in Norwegen!
Im Zelt - der letzte Morgen auf den Lofoten. |
Am nächsten Tag (Montag, 3.8.) regnete es recht heftig und so schlugen wir uns die lästige Warterei auf die Fähre um 16 Uhr in der Nähe der Anlegestelle mehr schlecht als recht um die Ohren. Zuerst in einem Supermarkt, dann davor, dann im Touribüro, dann in einer Cafeteria, dann wieder im Touribüro etc.
Den Platz im Salon der Fähre teilten wir uns mit zwei Bussen aus Bayern und Reutlingen, was wegen der netten Omas und Opas für Daniel nicht unangenehm war. Das Schiff schaukelte dann aber so heftig, dass unsere anfangs sehr gesprächige Bus-Oma sehr still wurde und auch Eva ganz grün im Gesicht sich an die Reling hängte…
(Eva: viel frische Luft um die Nase reichte zum Glück noch aus, um das Schlimmste zu vermeiden.)
Nach langen viereinhalb Stunden kamen wir bei gutem Wetter in Bodø an und steuerten nach Befragung der Tourist-Info direkt auf den nächsten Campingplatz. Dieser stellte sich leider als ziemlich halsabschneiderisch heraus, denn außer den 75 NOK (4 NOK≈ 1DM) für die Übernachtung musste man noch 5 NOK fürs Duschen extra zahlen. Doch es gab einen Mini-Supermarkt mit Tiefkühlkost/-gemüse, so dass ich zum Abendessen mal was Besseres als Tütensuppe (die zehnte) servieren konnte.
Abschied von den Lofoten |
Auf der Fähre nach Bodø. |
Und hier geht's weiter zu Teil II: